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114 Ter letzte

„Ich will meine Seele trunken machen durch die heiligen
Klänge der Musik," sagte sie, „und wenn der Genius kommt,
so wird er mir den Namen nicht vorenthalten."

„Weib," sagte der Kapellmeister, „das war ein großer
Gedanke: ich beneide dich darum. Ja, wir wollen sie an-
stimmen die große Phantasie, jenes Werk, dessen Schöpfung
mich den größten Meistern aller Zeiten gleichsetzt, oder viel-
mehr mich über sie erhebt, und wenn wir im heiligen Feuer
emporschweben, wenn unsere Geister frei vom Stoffe nur in
Gedanken sich bewegen, dann kann es nicht fehlen, daß durch
unsere Ohren das himmlische Wort rieselt, mit welchem wir
unser Kind benennen werden."

Und Sebastian reichte Luitgarden ihre Cither und griff
nach seiner Violine und sie begannen ein sanftes Adagio, das
aber bald in ein brausendes Furioso überging.

Plötzlich warfen beide Gatten ihre Instrumente zur Seite,
und mit dem Ausdrucke: „ich hab's!" der aus beider Munde
zugleich kam, stürzte Sebastian Dampf in die Arme seiner Ehe-
gemahlin Luitgarde Dampf, geborne Wagen. Es war ein unaus-
sprechlich erhabener Moment, als der große Componist die ihn
weich umschlingenden Arme seiner Gattin auflöste und mit
gen Himmel gerichteten Blicken zurücktretend die Worte sprach:

„Dank dir, o Genius, Dank deiner heiligen Eingebung,
die mir das treffendste Wort gelehrt hat, mit welchem ich
das Kind benennen soll. Ja so soll es heißen, herbrausen
wird es einst wie ein ..."

„Lokomotiv!" schrie Luitgarde und sank ohnmächtig auf
ihr Kissen zurück.

„Ja, Lokomotiv," fuhr er fort, „Lokomotiv, welche un- j
endlich geheimnißvolle Kraft liegt in diesem Worte, welch eine ;
unergründliche Tiefe, und zugleich, wie einfach und natürlich,
da ich Dampf und meine Frau Wagen heißt. Die Welt wird
es ganz natürlich finden, ohne das Große davon zu begrei-
fen: ja, wie ein Lokomotiv wird er einst dahin sausen vor-
i wärts und unaufhaltsam vorwärts; wie ein Lokomotiv wird
: er Alles zermalmen, was sich ihm entgegenstemmt, was sein
Borwärtsdringen aufhalten will; wie ein Lokomotiv wird er

Virtuose.

die anderen Künstler an die Schleppkette nehmen, und ein
Jeder wird glücklich sein, der ihm folgen darf."

Und sich zur Wiege hinabbeugend, rief er: „Ja, mein
Knabe, du wirst einst groß sein und glücklich, denn dein Name
schon wird dir alle Wege ebnen."

Unterdessen erwachte die Mutter aus ihrer Ohnmacht und
stimmte mit ein in den Jubel ihres Gatten. Für den andern
Tag wurde die feierliche Taufe festgesetzt und alle Componisten
und Virtuosen der ganzen Stadt zur Taufe gebeten. Aus
deni Namen des Täuflings machten die Eltern bis zum Augen-
blicke der Taufe öin Geheimniß; um so größer war dann die
allgemeine Ueberraschung, als er genannt wurde. Allgemein
bewunderte man Dampfs Muth, der sich über das alte Her-
kommen, einen Taufnamen aus dem Kalender zu wählen und
ihn als ein Vorwort zum Familiennamen zu nehmen, hinweg-
zusetzen wagte, und fand den Namen höchst originell und für
des Täuflings zukünftige Bestimmung bezeichnend. Sebastian
Dampf und seine Ehefrau lächelten aber stillvergnügt: es war
der erste Triumph, den das Kind ihnen bereitet hatte.

2.

Wie Lokomotiv groß wurde und anfing alle seine
Zeitgenossen zu überfliegen.

Wir übergehen einen Zeitraum von drei Jahren, in wel-
chen Lokomotiv die Größe eines achtjährigen Knaben erreicht
hatte. Mit dem Beginn seines vierten Lebensjahres begann
Lokomotiv erst sein eigentliches Leben; denn an seinem vier-
ten Geburtstage fing er an Clavierspielen zu lernen.

Bis jetzt hatte er seine Zeit mit Spielen mancherlei Art
zugebracht, die alle auf seinen zukünftigen Beruf Bezug hat-
ten. Sein Spielzeug bestand in lauter kleinen Instrumenten
mit Tasten und Saiten, wobei Vater Dampf vorzüglich Sorg-
falt auf die Ausdehnung des obern und untern Fingers sei-
nes Sohnes verwendete. Niemals durfte Strumpf oder
Schuh an seine Füße, sondern weiche seidene Handschuhe dien-
ten als Bekleidung für dieselben: niemals durfte das Kind
weiter gehen, als über das Zimmer; auf der Straße wurde
es getragen oder gefahren.

Als Lokomotiv sechs Jahre alt war, vermochte er bereits
mit Einer Hand zwölf Tasten zu umspannen, und wenn er mit
seinem untern Finger spielte (denn er lernte es mit beiden zu-
gleich) gelang es ihm bis auf 11 Tasten mit Einem Fuße zu
greifen, und sein Name war bekannt geworden in seiner Vater-
stadt. Er war, wie man sagte, ein Wunderkind. Bis jetzt
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der letzte Virtuose."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

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Signatur

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Violinspiel
Karikatur
Klavierspiel
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 39, S. 114

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