Fliegende Blätter (30.1859 (Nr. 705-730))

164 Dativ und Akkusativ.

Soll ich sie bessern, soll ich sic
Durch meine Lehre bekehren? —

Doch halt! jetzt weiß ich selbst nicht wie:
Dir lehren oder Dich lehren?

Regula <le tri.

Drei Dinge müssen zusammen sein:

Erstens fiir sich der gute Wein,

Und ihn zu trinken in Fried und Ruh '
Wenigstens zwei Menschen dazu.

Denn der Mensch fiir sich allein ist stumm,

Und der Wein fiir sich allein ist dumm,

Und einsam getrunken bekommt er nicht:

Man muß damit anstoßcn, sonst frommt er nicht.

Ariihlingsblick.

Im Kämmerchen oben dort unter dem Dach
Da sitzet ein Mädchen früh Morgens schon wach,
Sie müht sich bis Abends in Arbeit und Noth
Und weinet dariiber die Aenglein sich roth.

Es sitzt gegenüber ihr Einer, der schreibt
Bom Morgen zum Abend, >vie jene, cr's treibt;

Er darbt so wie sic, und er hat sich bei Nacht
Wohl öfter dieselben Gedanken gedacht.

So sitzet sie dorten, so sitzet er hier,

Vergehend in Mühsal und Einsamkeit schier,

Sic bleiben sich fremd im benachbarten Raum,

Sie sind sich so nahe, — sie sehen sich kaum.

Sie sind sich so nahe, sic kennen sich nicht,

Ihr Aug' ist ermattet am flackernden Licht,

Die Scheiben sind trübe; der schneeige Schein
Er dringt nur gar schräge in's Dachkämmerlcin.

So schleppt sich der Winter ans eisiger Bahn;

Ob Alles auch sehnet den Frühling heran,

Die Erde, sic dreht sich, es wechselt der Mond,

Es kreisen die Welten, so tvie fie'g gewohnt -

Nicht ruhet der Stürme, der Schicksale Macht;

Sie schivellet und hebt, und versenkt über Nacht
Das schwankende Segel — das mächtige Reich —
Das Leben im Kämmerchen, das blieb sich gleich.

Da blickt ans den Wolken ein. Maisonnenstrahl,

Er öffnet die Fenster, — die Herzen zumal,

Das Mädchen blickt auf, und ihr Nachbar wie sie,
Sie lieben einander, sie wissen nicht Ivie.