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178 Kein System- aber totaler Pers

Hier wäre die passendste Gelegenheit des Weiteren zn
erörtern, wie geeignet ein Nachtwächterposten zur Anfädelüng
von Liebesverhältnissen ist und wir enthalten uns der Mit-
theilung unserer desfallsigen Gedanken nur ans patriotischer
Scheu vor der Gefahr, unsere freundlichen Leser mehr als
nöthig damit zu ermüden. Nachdem wir aber gezeigt haben,
wie begründet des Grenadiers Franz Klinge Aussicht auf ein
Christgeschenk war, das seinen geistigen und körperlichen Menschen
erheben und kräftigen sollte, dürfen wir über einen freudigen
Fluch nicht erschrecken, den derselbe ausstieß als ihn am Tage
vor Weihnachten der Briefträger mit einer umfangreichen Kiste
in der Kaserne aufsuchte. Frei mit Expreß-Bestellgeld war die
Sendung auch, was den erregten Grenadier aber nicht abhielt,
dein Briefträger einen Silbergroschen ersparter Löhnung ge-
waltsam in die Hand zu drücken. Gewaltsam, weil der Post-
bote, der fünfzehn Jahre Militär gewesen war, trauriger
Reminiscenzen halber nichts annehmen wollte. Lange stand der
Gardist in stummer Entzückung vor dem ersehnten Pfände der
Liebe, bevor er, es vollständig zu enthüllen, die Kaltblütigkeit
erlangt hatte.

War aber seine Aufregung vor und bei Ankunft der
Kiste schon ein durchaus nnmilitairischer Seelenzustand, eine
moralische Verletzung der Kriegsartikel gewesen, so stieg dieselbe
nach Eröffnung der Kiste ans eine Höhe, deren Beschreibung
der gewandteste Tourist und Ersteiger psychischer Gebirgsketten
nicht versuchen würde. Allerdings bot die geöffnete Kiste einen
Anblick dar, der sogar dem uninteressirtesten Zuschauer in dieser
Umgebung ein Lächeln des Staunens der absoluten Befrcmd-
ung abgenöthigt haben würde.

Ein Pelzmuff für Damen! Was konnte der in den Augen eines
Tabak, Semmel und Wurst dringend erwartenden Grenadiers
anders bedeuten, als die gräßlichste Verhöhnung seiner thenersten
Wünsche und Gefühle.

Mechanisch verglich der Exnachtwächter und activc Bater-
landsvcrtheidiger die Adresse mit dem Poststück. Signatur und
Gewicht, die allgemein bekannten Regulatoren des Postdienst-
bctriebs, stimmten crstcre augenscheinlich und letzteres anscheinend
auf Packet und Adresse überein. Ein dumpfer Seufzer entrang
sich der hochgewölbten Brust des Gardisten, dann schob er die
Kiste verächtlich bei Seite und öffnete eine andere, die er unter
dein etwas pomhasten Titel „Koffer" mit aus der Heimath
gebracht hatte. Aus dieser entnahm er jene verderblichen Werk-
zeuge, die mehr als Pulver und Eisen die Welt verwüsten
und die Herzen entzweien: Dinte, Feder und ein Blatt Papier.

Wilder als in seinem Absagebrief hatte der Grenadier
in seinen überschwenglichsten Liebesbriefen nicht gegen die
deutsche Sprache gewüthet und wir unsererseits sind außer
Stande zu entscheiden, wem in diesem Briefe übler mitge- |
spielt wurde, der Grammatik oder der aufgegebenen Geliebten.

Ueberlassen tvir den rauhen Krieger seiner gerechten Ent-
rüstung und wenden tvir uns zn einem zarteren Bilde.

II.

In dem Hause des Hofraths Berchtold in Potsdam con-
ditiouirte seit einem Jahre, mit lobenswerther Führung als

n e n w e ch s el d ur ch B e r w e ch s l u n g.

Beschließerin Fräulein Eva Heidtmann, die Tochter einesj
Schusters aus einem Schlesischen Landstädtchen. Die seltene
Ausnahme, ein Dienstmädchen zu besitzen, das trotz einem hüb- !
scheu Gesichte und leidlicher Tournüre keine Liebschaft mit einem '
Glieds der bewaffneten Macht einging, erhob den Hofrath zum .
Gegenstand des Neides aller Gesinde haltenden Hofräthe — :
ihre Zahl ist Legion! — Potsdams. Dem Hofrath selbst war '
das Unglaubliche sehr angenehm, nichts destowenigcr tvar er ;
mit der angenehmen Thatsache allein nicht zufrieden, sondern
mühte sich ab, die Motive ihres Vorhandenseins zn ergründen.
Vergebliche Mühe! Ein Potsdamer Hofrath wäre der aller- >
letzte Mann gewesen, dein die Geheimnisse der keuschen Brust
einer ehrbaren Schnsterstochter sich erschlossen hätten.

War sic doch eigens zn dem Zwecke nach der größeren
Stadt gezogen, um sich einige Jahre das feine Leben in der Nähe
anzusehen und um dann dem würdigen Altgesellen ihres Vaters
mit dem sie die Empfindungen der Liebe ausgetanscht und dem
sie bei dieser Gelegenheit die Sehnsucht nach einer über dem
Niveau stehenden Zukunft abgelauscht hatte, die Freuden der
Häuslichkeit mit mehr als provinzialem Comfort anbieten zu
können. Und diese ihre schöne Idee sollte sic dem Spotte eines
blasirten Hofraths Preis geben? Nimmermehr! Mail kann
es der hübschen Eva nicht verüblen, daß sie für ihre Enthal-
tung von den Genüssen, die Potsdam der weiblichen Diener-
schaft in so reicher Fülle spendet am ersten Weihnachten, den
sic hier verbrachte, genügend entschädigt zn werden hoffte.
Kannte sic doch den immer nach dem Höchsten strebenden Sinn
ihres Zukünftigen zu wohl, um iiicht erwarten zn dürfen
seine reiche Phantasie werde mit seinem zwar weniger reichen ;
aber doch nie leeren Portemonnaie wetteifern, ihr ein so
exorbitantes Christfest zu bescheeren, daß der Neid aller ihrer ,
Colleginnen ihr hinreichenden Ersatz für das Jahr der frei- ;
willigen Abstinenz gewähren würde.
Bildbeschreibung

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Titel/Objekt
"Kein System- aber totaler Personenwechsel durch Verwechselung"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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G 5442-2 Folio RES

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Entstehungsort (GND)
München

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Provenienz

Restaurierung

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Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Synkope <Medizin>
Enttäuschung <Motiv>
Küche <Motiv>
Köchin <Motiv>
Karikatur
Wurst
Postsendung
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Fliegende Blätter, 30.1859, Nr. 727, S. 178

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