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186 Kein System- aber totaler Personenwechsel durch Verwechselung.
(Schluß.)
III.
Wir bcfindcn uns also in dem Burcau der Postdirektion
in Potsdam.
Den fleißig schreibenden Direktor unterbricht der Eintritt
eines Grenadiers, der eine Kiste unter dem Arme trägt.
Der Pvstdirektor mochte ihn schon erwartet haben, denn er
redete ihn ohne Verzug mit der Frage an: „Sie sind gewiß der I
Grenadier Franz Klinge vom ersten Garde-Regiment zu Fuß?"
„Der bin ich," erwiederte der Gefragte.
„So setzen Sie sich ein wenig. Ihr Packet ist mit einem
andern verwechselt worden, das gleiches Gewicht und dieselbe
Bezeichnung — gewiß ein seltener Zufall! — hatte. In ge-
wöhnlichen Zeiten wäre die Verwechselung trotzdem nicht vor-
gekommen, weil dann auf alle Einzelheiten z. B. den Ab-
gangsort, genau gemerkt wird. In den Weihnachtstagen geht
cs jedoch auf der Post wegen der Menge der Sendungen
etwas bunt her und so hoffe ich, daß Sie das Versehen ent-
schuldigen und keinen Ersatz beanspruchen werden, den in
diesem Falle ein armer Briefträger zu leisten haben würde.
Ich habe die Person, die Ihr Packet irrthümlich empfangen
hat, ebenfalls hierher bestellt, um die Auswechselung zu be-
wirken. Gedulden Sie sich also einige Augenblicke."
Wir finden keinen Ausdruck, den Grad moralischen
Katzenjammers zu schildern, mit dem der Grenadier diese
milden Worte anhörte. Den Jrrthum hatte er schon durch
einen in der Kiste gefundenen Brief entdeckt, leider aber erst,
nachdem er den Absagebrief, der eine chinesische Mauer zwi-
schen seinem und dem Herzen Louisens aufthürmtc, abgcsandt
hatte. Das war nicht wieder gut zu machen. Was seine
Melancholie vermehrte war der schwarze Gedanke, daß jetzt
auch noch der Inhalt der ihm rechtmäßig zukommendcn Kiste
höchst wahrscheinlich verdorben sein werde.
Glücklicherweise wurde sein klägliches Brüten durch den
Eintritt der Jungfer Heidtmann, der ein kleiner' Bettcljunge
eine große Kiste nachschleppte, unterbrochen.
Ihr Antlitz war schmerzumflort, denn auch sie hatte den
Jrrthum der Post durch einen leider zu spät in der Kiste
aufgefundcnen Brief, adressirt: „an ten Krähnatir Vrans
Glingä" entdeckt.
Ein schmerzlich trübes Lächeln erhellte für einen Augen-
blick ihre Züge, als sie den kostbaren Pelzmuff erblickte.
Der Postdirector erhielt von den durch die Schläge des
Schicksals mürbe gewordenen Gcmüthern leicht die Zusage,
daß auf Schadenersatz beiderseits verzichtet werde und über-
gab nun Jedem das ihm Zukommende.
Zum Unglück für die Herzensruhe der beiden Parteien
hielt es der penible Beamte jetzt für nöthig, über das Vor-
gefallene ein kurzes Protokoll aufzunchmen.
Diese Operation währte viel zu lange für den Seelen-
frieden zweier Leutchen von verschiedenem Geschlecht und einigen
zwanzig Jahren Lebensalter, die sich noch dazu durch die
Vorfälle der letzten Tage in einer so leicht entzündbaren Ge-
müthSverfassung befanden. Konnte sie denn gleichgültig bleiben
bei dem Anblicke eines Mannes, dem ein gleiches Verhängniß
das Christfest verdorben hatte, wie ihr? Und dieser Mann
war ein Grenadier des ersten Garde - Regiments zu Fuß,
unter dessen ehernem Tritt die Fenster der Paläste erklirrten,
wenn er die Straßen der Residenz nach den Klängen des
Preußcnliedes im Parademarsch durchzog!
Konnte er sich enthalten, Vergleiche zwischen der nun
doch einmal für ihn verlorenen Louise und dem weiblichen
Gegenüber anzustellen, die sehr zum Nachtheile der Ersteren
ausfielen? Als der Büreaukrat, der nichts von diesen in seiner
unmittelbarsten Nähe stattgcfundenen folgenschweren Wand-
lungen bemerkt hatte, sein zierlich mundirtes Protokoll von
zwei zitternden Händen unterschreiben sah, ahnte er entfernt
nicht, daß hier mehr als zwei tobte Kisten, daß zwei feurig
schlagende Herzen ausgewcchselt worden waren, von welcher
Auswechselung in seinem Protokoll daher auch nichts zu lesen ist.
Gleich vor dem Posthause begann schon die Entwickelung
des Romans.
„Das war ein seltsamer Zufall, nicht wahr Mamsell?
Darüber müssen wir uns nächstens noch einmal unterhalten,"
begann der streitbare Grenadier das Gefecht.
„Ja, das müssen wir," meinte Eva erröthend.
„Kann man denn erfahren, wo die Mamsell wohnt und
wann sie zu sprechen ist," fuhr der Krieger fort.
„Warum nicht? Ich wohne bei Hofrath's Bechtold, die
Mittwochs und Samstags in Gesellschaft sind," replizirte die
schlesische Auflage der Paradies-Verliererin.
„Nun, dann werd' ich 'mal 'ran kommen," sagte der
Grenadier, „jetzt muß ich zum Appell."
„Und ich muß auf den Markt, also Adieu bis zum Samstage,"
schloß die des Erröthcns inzwischen Herr geworvene Mamsell.
Die weitere Entwickelung und der Abschluß dieses Romans
bieten so wenig Ungewöhnliches, daß wir uns nicht entschließen
186 Kein System- aber totaler Personenwechsel durch Verwechselung.
(Schluß.)
III.
Wir bcfindcn uns also in dem Burcau der Postdirektion
in Potsdam.
Den fleißig schreibenden Direktor unterbricht der Eintritt
eines Grenadiers, der eine Kiste unter dem Arme trägt.
Der Pvstdirektor mochte ihn schon erwartet haben, denn er
redete ihn ohne Verzug mit der Frage an: „Sie sind gewiß der I
Grenadier Franz Klinge vom ersten Garde-Regiment zu Fuß?"
„Der bin ich," erwiederte der Gefragte.
„So setzen Sie sich ein wenig. Ihr Packet ist mit einem
andern verwechselt worden, das gleiches Gewicht und dieselbe
Bezeichnung — gewiß ein seltener Zufall! — hatte. In ge-
wöhnlichen Zeiten wäre die Verwechselung trotzdem nicht vor-
gekommen, weil dann auf alle Einzelheiten z. B. den Ab-
gangsort, genau gemerkt wird. In den Weihnachtstagen geht
cs jedoch auf der Post wegen der Menge der Sendungen
etwas bunt her und so hoffe ich, daß Sie das Versehen ent-
schuldigen und keinen Ersatz beanspruchen werden, den in
diesem Falle ein armer Briefträger zu leisten haben würde.
Ich habe die Person, die Ihr Packet irrthümlich empfangen
hat, ebenfalls hierher bestellt, um die Auswechselung zu be-
wirken. Gedulden Sie sich also einige Augenblicke."
Wir finden keinen Ausdruck, den Grad moralischen
Katzenjammers zu schildern, mit dem der Grenadier diese
milden Worte anhörte. Den Jrrthum hatte er schon durch
einen in der Kiste gefundenen Brief entdeckt, leider aber erst,
nachdem er den Absagebrief, der eine chinesische Mauer zwi-
schen seinem und dem Herzen Louisens aufthürmtc, abgcsandt
hatte. Das war nicht wieder gut zu machen. Was seine
Melancholie vermehrte war der schwarze Gedanke, daß jetzt
auch noch der Inhalt der ihm rechtmäßig zukommendcn Kiste
höchst wahrscheinlich verdorben sein werde.
Glücklicherweise wurde sein klägliches Brüten durch den
Eintritt der Jungfer Heidtmann, der ein kleiner' Bettcljunge
eine große Kiste nachschleppte, unterbrochen.
Ihr Antlitz war schmerzumflort, denn auch sie hatte den
Jrrthum der Post durch einen leider zu spät in der Kiste
aufgefundcnen Brief, adressirt: „an ten Krähnatir Vrans
Glingä" entdeckt.
Ein schmerzlich trübes Lächeln erhellte für einen Augen-
blick ihre Züge, als sie den kostbaren Pelzmuff erblickte.
Der Postdirector erhielt von den durch die Schläge des
Schicksals mürbe gewordenen Gcmüthern leicht die Zusage,
daß auf Schadenersatz beiderseits verzichtet werde und über-
gab nun Jedem das ihm Zukommende.
Zum Unglück für die Herzensruhe der beiden Parteien
hielt es der penible Beamte jetzt für nöthig, über das Vor-
gefallene ein kurzes Protokoll aufzunchmen.
Diese Operation währte viel zu lange für den Seelen-
frieden zweier Leutchen von verschiedenem Geschlecht und einigen
zwanzig Jahren Lebensalter, die sich noch dazu durch die
Vorfälle der letzten Tage in einer so leicht entzündbaren Ge-
müthSverfassung befanden. Konnte sie denn gleichgültig bleiben
bei dem Anblicke eines Mannes, dem ein gleiches Verhängniß
das Christfest verdorben hatte, wie ihr? Und dieser Mann
war ein Grenadier des ersten Garde - Regiments zu Fuß,
unter dessen ehernem Tritt die Fenster der Paläste erklirrten,
wenn er die Straßen der Residenz nach den Klängen des
Preußcnliedes im Parademarsch durchzog!
Konnte er sich enthalten, Vergleiche zwischen der nun
doch einmal für ihn verlorenen Louise und dem weiblichen
Gegenüber anzustellen, die sehr zum Nachtheile der Ersteren
ausfielen? Als der Büreaukrat, der nichts von diesen in seiner
unmittelbarsten Nähe stattgcfundenen folgenschweren Wand-
lungen bemerkt hatte, sein zierlich mundirtes Protokoll von
zwei zitternden Händen unterschreiben sah, ahnte er entfernt
nicht, daß hier mehr als zwei tobte Kisten, daß zwei feurig
schlagende Herzen ausgewcchselt worden waren, von welcher
Auswechselung in seinem Protokoll daher auch nichts zu lesen ist.
Gleich vor dem Posthause begann schon die Entwickelung
des Romans.
„Das war ein seltsamer Zufall, nicht wahr Mamsell?
Darüber müssen wir uns nächstens noch einmal unterhalten,"
begann der streitbare Grenadier das Gefecht.
„Ja, das müssen wir," meinte Eva erröthend.
„Kann man denn erfahren, wo die Mamsell wohnt und
wann sie zu sprechen ist," fuhr der Krieger fort.
„Warum nicht? Ich wohne bei Hofrath's Bechtold, die
Mittwochs und Samstags in Gesellschaft sind," replizirte die
schlesische Auflage der Paradies-Verliererin.
„Nun, dann werd' ich 'mal 'ran kommen," sagte der
Grenadier, „jetzt muß ich zum Appell."
„Und ich muß auf den Markt, also Adieu bis zum Samstage,"
schloß die des Erröthcns inzwischen Herr geworvene Mamsell.
Die weitere Entwickelung und der Abschluß dieses Romans
bieten so wenig Ungewöhnliches, daß wir uns nicht entschließen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kein System- aber totaler Personenwechsel durch Verwechselung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 30.1859, Nr. 728, S. 186
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg