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aber totaler Personenwechsel durch Berwcchselung.
Kein System-
können, den geehrten Leser als Zuschauer einzuladcn. Da-
gegen können wir, um der historischen Wahrheit willen, die
Thatsache nicht unterdrücken, daß zwei Katzen und sechs neu
angeschaffte Fallen von diesem Tage an nicht mehr im Stande
waren, der Ratten und Mäuse Herr zu werden, die dem
Brode, Käse und Fleische, ja sogar den Weinflaschen des Herrn
Hofraths Bcchthold den Untergang geschworen zu haben schienen.
IV.
Wir waren lange genug in dem gefährlichen Potsdam,
wo man zum Nachtheile seines Rufs als kluger Kopf sich
leicht zu lange aufhält und wo es für einen Rheinländer,
dem wegen der Nachbarschaft Frankrcich's manchmal Fremd-
wörter entschlüpfen, ebenfalls nicht geheuer ist.
Marschircn wir lieber nach Schlesien, der sogenannten
Perle in der Krone Preußens. In der Stube des Schusters
Heidtmann in Z. steht der Altgeselle Gottfried, den wohlbe-
packten Ranzen auf dem Rücken, den mit Wachstuch emballirten
Hut schief auf dem Kopfe und den knotigen Wanderstab in der Hand.
Der Meister Heidtmann steht verdrießlich neben ihm.
„Sehen Sic sich die Geschichte doch lieber noch 14 Tage
mit an, Gottfried. In der Zeit können wir schon wissen,
wo wir d'ran sind. Weiß ich denn, was dem närrischen Ding
in den Kopf gefahren ist? Es werden wohl Grillen sein, die
in einer Woche verfliegen und dann gibt sic gute Worte. Mit
mir sind Sie ja doch immer gut ausgekommeu, Gottfried!"
„S'geht nicht, Meister. Auch wenn's Grillen gewesen
wären, dürfte ich mich nach einer solchen Beleidigung nicht
mehr mit ihr anssöhnen. Und gerade da werde ich so schnöde
behandelt, wo ich einen ganzen Monatslohn hingegeben habe,
ihr einen Beweis meiner Liebe zu geben. Es wird wohl
einer von der Garde dem Mädel den Kopf verdreht haben.
Leid thut's mir, Meister, aber ein Bursche wie ich braucht
noch nicht zu verzagen, wenn ihm sein Mädchen ausrcißt.
Horcht! da kommt die Post schon au. Bis Jaucr will ich
sie doch benutzen. Lebt wohl, Meister. Möge cs Euch gut !
gehen und der Eva auch. Wenn sie heimkehrt, könnt Ihr
sie schönstens von mir grüßen."
Damit drückte der Altgeselle seinem von dem ganzen
Handel wenig erbauten und der Tochter schwer grollenden
Meister herzlich die Hand und verschwand aus der Thüre.
Im Postwagen traf Gottfried nur eine Person, aber es
war ihm doch angenehm, daß sie dem andern Geschlechte ange-
hörte und die Linie noch nicht passtrt hatte, d. h. dem An-
scheine nach weniger als 30 Jahre zählte. Ihre rothgeweinten
Augen ließen das Herz des Altgesellen in Theilnahme erbeben
und er nahm mit einem „Schönen guten Morgen" ihr gegen-
über Platz. Diplomatischer Zurückhaltung mußten die Züge
Gottfried's wohl nicht fähig sein, da die trauernde Schöne
ihn nach diesem Gruße so schmerzlich vertraulich anlächelte, als
sei sie gewiß, in ihm einen passenden Tröster gefunden zu haben.
Der Umstand, daß sich Beide einander mitthcilten, sie
wollten nach Berlin zur Gewinnung eines anderen Unter-
kommens, gab natürlich zu den gegenseitigen Fragen Veran-
lassung, die- die Gründe des Verlasscns der bisherigen Stellung
zum Gegenstände hatten. Gottfried war keine zurückhaltende
Natur und da er sein Unglück nicht verdient zu haben glaubte,
erzählte er der aufmerksam horchenden Schönen haarklein die
unbegreifliche Treulosigkeit seiner Braut, der einzige Grund
seiner Auswanderung. Dieser fuhr jedes seiner Worte electrisch !
durch's Herz. Ihr fester Entschluß, keinem Manne mehr zu- !
zuhören, war von der armen Köchin Louise — diese war es !
— schon gleich beim Ansichtigwcrden Gottfrieds als verdamm-
lich aufgcgcben worden. Wie nrußte erst sein Schicksal — so
parallel dem ihrigen — sic für ihn einnehmen. Sie verlor
augenblicklich alle Prüderie und übergab dem Altgesellen ihren
von Franz Klinge erhaltenen Absagebrief, um ihm zu beweisen, i
daß er eine seiner würdige Leidensgefährtin zum vis-ü-.vis habe.
Nachdem sie ihn noch durch Vorzeigung eines Postscheinö über-
zeugt hatte, daß dieses in sprachlicher wie in moralischer Hin-
sicht gleich unwürdige Schreiben die Antwort auf ein Christ-
geschcnk von sechs Thaler vnlour gewesen sei, übermannte den
Altgesellen dieser unverkennbare Fingerzeig der Vorsehung der-
maßen, daß er die sich wenig sträubende Köchin vhneöWciteres
in die Arme zog und herzhaft küßte. Nun wurde die Fort-
setzung der Reise per Eisenbahn auf gemeinschaftliche Kosten
unverzüglich beschlossen und da es sich im weiteren Verlauf
der Reise hcrauSstellte, daß Louise einige hundert Thaler Er-
spartes bei sich führte, die sofortige Verheirathung und Etab-
lirung in der Residenz sowohl proponirt als acceptirt. Da !
Alles jetzt glücklich abgelaufen ist, nehme ich von dein geehrten '
Leser in der Erwartung Abschied, daß er mir, wenn auch nicht
als Schriftsteller, doch als Postmann Gerechtigkeit widerfahren
lassen wird. Unter einem täuschenden Titel habe ich den mir
sehr am Herzen liegenden Beweis liefern wollen und geliefert,
daß die preußische Post Allcö, was auf ihr verloren geht,
vollständig ersetzt. Durch ein Versehen der Post verloren sich
Franz und Louise, Gottfried und Eva. Auf der Post aber
fanden sich Gottfried und Louise, Eva und Franz.
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aber totaler Personenwechsel durch Berwcchselung.
Kein System-
können, den geehrten Leser als Zuschauer einzuladcn. Da-
gegen können wir, um der historischen Wahrheit willen, die
Thatsache nicht unterdrücken, daß zwei Katzen und sechs neu
angeschaffte Fallen von diesem Tage an nicht mehr im Stande
waren, der Ratten und Mäuse Herr zu werden, die dem
Brode, Käse und Fleische, ja sogar den Weinflaschen des Herrn
Hofraths Bcchthold den Untergang geschworen zu haben schienen.
IV.
Wir waren lange genug in dem gefährlichen Potsdam,
wo man zum Nachtheile seines Rufs als kluger Kopf sich
leicht zu lange aufhält und wo es für einen Rheinländer,
dem wegen der Nachbarschaft Frankrcich's manchmal Fremd-
wörter entschlüpfen, ebenfalls nicht geheuer ist.
Marschircn wir lieber nach Schlesien, der sogenannten
Perle in der Krone Preußens. In der Stube des Schusters
Heidtmann in Z. steht der Altgeselle Gottfried, den wohlbe-
packten Ranzen auf dem Rücken, den mit Wachstuch emballirten
Hut schief auf dem Kopfe und den knotigen Wanderstab in der Hand.
Der Meister Heidtmann steht verdrießlich neben ihm.
„Sehen Sic sich die Geschichte doch lieber noch 14 Tage
mit an, Gottfried. In der Zeit können wir schon wissen,
wo wir d'ran sind. Weiß ich denn, was dem närrischen Ding
in den Kopf gefahren ist? Es werden wohl Grillen sein, die
in einer Woche verfliegen und dann gibt sic gute Worte. Mit
mir sind Sie ja doch immer gut ausgekommeu, Gottfried!"
„S'geht nicht, Meister. Auch wenn's Grillen gewesen
wären, dürfte ich mich nach einer solchen Beleidigung nicht
mehr mit ihr anssöhnen. Und gerade da werde ich so schnöde
behandelt, wo ich einen ganzen Monatslohn hingegeben habe,
ihr einen Beweis meiner Liebe zu geben. Es wird wohl
einer von der Garde dem Mädel den Kopf verdreht haben.
Leid thut's mir, Meister, aber ein Bursche wie ich braucht
noch nicht zu verzagen, wenn ihm sein Mädchen ausrcißt.
Horcht! da kommt die Post schon au. Bis Jaucr will ich
sie doch benutzen. Lebt wohl, Meister. Möge cs Euch gut !
gehen und der Eva auch. Wenn sie heimkehrt, könnt Ihr
sie schönstens von mir grüßen."
Damit drückte der Altgeselle seinem von dem ganzen
Handel wenig erbauten und der Tochter schwer grollenden
Meister herzlich die Hand und verschwand aus der Thüre.
Im Postwagen traf Gottfried nur eine Person, aber es
war ihm doch angenehm, daß sie dem andern Geschlechte ange-
hörte und die Linie noch nicht passtrt hatte, d. h. dem An-
scheine nach weniger als 30 Jahre zählte. Ihre rothgeweinten
Augen ließen das Herz des Altgesellen in Theilnahme erbeben
und er nahm mit einem „Schönen guten Morgen" ihr gegen-
über Platz. Diplomatischer Zurückhaltung mußten die Züge
Gottfried's wohl nicht fähig sein, da die trauernde Schöne
ihn nach diesem Gruße so schmerzlich vertraulich anlächelte, als
sei sie gewiß, in ihm einen passenden Tröster gefunden zu haben.
Der Umstand, daß sich Beide einander mitthcilten, sie
wollten nach Berlin zur Gewinnung eines anderen Unter-
kommens, gab natürlich zu den gegenseitigen Fragen Veran-
lassung, die- die Gründe des Verlasscns der bisherigen Stellung
zum Gegenstände hatten. Gottfried war keine zurückhaltende
Natur und da er sein Unglück nicht verdient zu haben glaubte,
erzählte er der aufmerksam horchenden Schönen haarklein die
unbegreifliche Treulosigkeit seiner Braut, der einzige Grund
seiner Auswanderung. Dieser fuhr jedes seiner Worte electrisch !
durch's Herz. Ihr fester Entschluß, keinem Manne mehr zu- !
zuhören, war von der armen Köchin Louise — diese war es !
— schon gleich beim Ansichtigwcrden Gottfrieds als verdamm-
lich aufgcgcben worden. Wie nrußte erst sein Schicksal — so
parallel dem ihrigen — sic für ihn einnehmen. Sie verlor
augenblicklich alle Prüderie und übergab dem Altgesellen ihren
von Franz Klinge erhaltenen Absagebrief, um ihm zu beweisen, i
daß er eine seiner würdige Leidensgefährtin zum vis-ü-.vis habe.
Nachdem sie ihn noch durch Vorzeigung eines Postscheinö über-
zeugt hatte, daß dieses in sprachlicher wie in moralischer Hin-
sicht gleich unwürdige Schreiben die Antwort auf ein Christ-
geschcnk von sechs Thaler vnlour gewesen sei, übermannte den
Altgesellen dieser unverkennbare Fingerzeig der Vorsehung der-
maßen, daß er die sich wenig sträubende Köchin vhneöWciteres
in die Arme zog und herzhaft küßte. Nun wurde die Fort-
setzung der Reise per Eisenbahn auf gemeinschaftliche Kosten
unverzüglich beschlossen und da es sich im weiteren Verlauf
der Reise hcrauSstellte, daß Louise einige hundert Thaler Er-
spartes bei sich führte, die sofortige Verheirathung und Etab-
lirung in der Residenz sowohl proponirt als acceptirt. Da !
Alles jetzt glücklich abgelaufen ist, nehme ich von dein geehrten '
Leser in der Erwartung Abschied, daß er mir, wenn auch nicht
als Schriftsteller, doch als Postmann Gerechtigkeit widerfahren
lassen wird. Unter einem täuschenden Titel habe ich den mir
sehr am Herzen liegenden Beweis liefern wollen und geliefert,
daß die preußische Post Allcö, was auf ihr verloren geht,
vollständig ersetzt. Durch ein Versehen der Post verloren sich
Franz und Louise, Gottfried und Eva. Auf der Post aber
fanden sich Gottfried und Louise, Eva und Franz.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kein System- aber totaler Personenwechsel durch Verwechselung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 30.1859, Nr. 728, S. 187
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg