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Briefe ans St. Petersburg von Rentier D
sonstige Reisegepäcker zn mir nehmen, als ein bärbcissigcr
Mensch, was meinthalbwegenmeiner ein Zollbeamter g'wcse ist,
Hand ans meine Effekten legte. — „Tschiritziprrzisznski" schrie
er wie besessen und guckte mich mit en paar Angen an, daß
ich dachte — „nu, Bitterlc, Deine letzte Stunde ist gekommc."
„Herrjeffes — Hcrrjesses! der Schreck fuhr mir durch
alle Glieder, ging durch meine Kinder und meine Frau durch
und durch und prallte meinthalbwcgcumeiner erst an dem
freundlichen Herrn ab, der wahrscheinlich ü In Napoleon mit
einem dicken Fell bepanzert g'wesc ist. — Der Herr Zollbe-
amte meint. Sie könnten später Ihre Effekten auf dem Zoll
abholcn, belehrte uns der „freundliche Herr."
„Nu, das hätte er ja könne Petersburgisch sage; was
braucht er denn so zu kauderwälschen?"
„Komm', Frau — kommt Kinder, lassen wir die Sachen
halt da, ich Hab' über Alles ein Berzcichniß und wenn etwas
fehlt, geh' i zum Kaiser."
Nun hätten Sie, geehrtestcr Herr Notzwcnik, hören sollen,
wie ich von meiner sanften Lämmerstimm' bis zum Gebrüll des
Leuen überging, als ich das sagte, aber der Erfolg war auch
gleich ersichtlich, denn jener bärbeißige Zollbeamte knickte meint-
halbwegcnmeincr zusammen, lächelte und sagte „Durak", was
auf deutsch „guten Abend" heißt.
ionisins Bittcrle aus Munderkingen rc. re.
Da er nun so freundlich und höflich war, wollte ich
mcinthalbwegeumeiner als wohlerzogener Mann auch nicht zu-
rückstehcn und sagte ganz ergebenst: ,,wünsch' wohl gespeist zn
haben," worauf ich mich, nebst den Meinigen, an den freund-
lichen Herrn auschloß.
„Also zum Kaiser wünschen der Herr?"
„Ja, was ist denn dös, — kann man denn?"
„Ei freilich," sagte unser Führer, „recht gern, der hat
Platz genug, und da sind Sie am besten aufgehoben."
„Ha!" sagt' ich, — „das glaub' ich meinthalbwegen-
meiner schon. Aber die Gastfreundschaft, nein, das ist groß-
artig — hast g'hört, Frau, putz' die Kinder ordentlich d'Näs'
ab, wir gehet zum Kaiser."
Ich selber Hab' mir auch d'Vatermörder weiter 'raufzogcn
und mir wurde meinthalbwegenmeiner ganz „laudständlich" z'
Muth.
Jetzt war ich nur froh, daß der Poppele sich irgendwo
verkrümelt hatte, denn der versteht sich, mit seine angenommene
Sprichwörter, nicht so dippelmatisch ausz'drücke, wie ich, und
hätte leicht den ersten Eindruck schwäche könne.
„Bitte — hieher" — sagte der freundliche Herr und
zeigte ans ein Hans, wo unter der Thür' ein martialischer
Kerl mit bordirtem Hut quer auf dem Kopf und en großen
Stock in der Hand, den ganzen Eingang versperrt hat. Mein
Carle, der wollte schon seine Reverenz mache, als ich ihm noch
zur rcchteu Zeit durch en freundlichen Rippenstoß begreiflich
machte, daß das nur der Thürsteher oder Porteh ist; solche
Kerle Hab' ich dazumal in Wien meinthalbwegenmeiner dutzend-
weis g'sehc g'habt. So wie der Porteh hat uns komme sehe,
fing er an z'läute, als ob Feuer ausbroche sei und dauert
nicht lange, kommt uns ein stattlicher Herr, mit schwarzem
Backenbart, entgegen.
„Herr Kaiser," sagt' ich, „bin so frei, meine Aufwartung
zn machen; Dyonisius Bitterle nebst Frau Gemahlin und drei
ungezogene Kinder, gebürtig aus Munderkingen an der Donau
— Rennthier und ebenfalls Besitzer einer Olga -— und schob
mein Olgäle vor.
Der Herr Kaiser war meinthalbwegenmeiner sehr gerührt,
Briefe ans St. Petersburg von Rentier D
sonstige Reisegepäcker zn mir nehmen, als ein bärbcissigcr
Mensch, was meinthalbwegenmeiner ein Zollbeamter g'wcse ist,
Hand ans meine Effekten legte. — „Tschiritziprrzisznski" schrie
er wie besessen und guckte mich mit en paar Angen an, daß
ich dachte — „nu, Bitterlc, Deine letzte Stunde ist gekommc."
„Herrjeffes — Hcrrjesses! der Schreck fuhr mir durch
alle Glieder, ging durch meine Kinder und meine Frau durch
und durch und prallte meinthalbwcgcumeiner erst an dem
freundlichen Herrn ab, der wahrscheinlich ü In Napoleon mit
einem dicken Fell bepanzert g'wesc ist. — Der Herr Zollbe-
amte meint. Sie könnten später Ihre Effekten auf dem Zoll
abholcn, belehrte uns der „freundliche Herr."
„Nu, das hätte er ja könne Petersburgisch sage; was
braucht er denn so zu kauderwälschen?"
„Komm', Frau — kommt Kinder, lassen wir die Sachen
halt da, ich Hab' über Alles ein Berzcichniß und wenn etwas
fehlt, geh' i zum Kaiser."
Nun hätten Sie, geehrtestcr Herr Notzwcnik, hören sollen,
wie ich von meiner sanften Lämmerstimm' bis zum Gebrüll des
Leuen überging, als ich das sagte, aber der Erfolg war auch
gleich ersichtlich, denn jener bärbeißige Zollbeamte knickte meint-
halbwegcnmeincr zusammen, lächelte und sagte „Durak", was
auf deutsch „guten Abend" heißt.
ionisins Bittcrle aus Munderkingen rc. re.
Da er nun so freundlich und höflich war, wollte ich
mcinthalbwegeumeiner als wohlerzogener Mann auch nicht zu-
rückstehcn und sagte ganz ergebenst: ,,wünsch' wohl gespeist zn
haben," worauf ich mich, nebst den Meinigen, an den freund-
lichen Herrn auschloß.
„Also zum Kaiser wünschen der Herr?"
„Ja, was ist denn dös, — kann man denn?"
„Ei freilich," sagte unser Führer, „recht gern, der hat
Platz genug, und da sind Sie am besten aufgehoben."
„Ha!" sagt' ich, — „das glaub' ich meinthalbwegen-
meiner schon. Aber die Gastfreundschaft, nein, das ist groß-
artig — hast g'hört, Frau, putz' die Kinder ordentlich d'Näs'
ab, wir gehet zum Kaiser."
Ich selber Hab' mir auch d'Vatermörder weiter 'raufzogcn
und mir wurde meinthalbwegenmeiner ganz „laudständlich" z'
Muth.
Jetzt war ich nur froh, daß der Poppele sich irgendwo
verkrümelt hatte, denn der versteht sich, mit seine angenommene
Sprichwörter, nicht so dippelmatisch ausz'drücke, wie ich, und
hätte leicht den ersten Eindruck schwäche könne.
„Bitte — hieher" — sagte der freundliche Herr und
zeigte ans ein Hans, wo unter der Thür' ein martialischer
Kerl mit bordirtem Hut quer auf dem Kopf und en großen
Stock in der Hand, den ganzen Eingang versperrt hat. Mein
Carle, der wollte schon seine Reverenz mache, als ich ihm noch
zur rcchteu Zeit durch en freundlichen Rippenstoß begreiflich
machte, daß das nur der Thürsteher oder Porteh ist; solche
Kerle Hab' ich dazumal in Wien meinthalbwegenmeiner dutzend-
weis g'sehc g'habt. So wie der Porteh hat uns komme sehe,
fing er an z'läute, als ob Feuer ausbroche sei und dauert
nicht lange, kommt uns ein stattlicher Herr, mit schwarzem
Backenbart, entgegen.
„Herr Kaiser," sagt' ich, „bin so frei, meine Aufwartung
zn machen; Dyonisius Bitterle nebst Frau Gemahlin und drei
ungezogene Kinder, gebürtig aus Munderkingen an der Donau
— Rennthier und ebenfalls Besitzer einer Olga -— und schob
mein Olgäle vor.
Der Herr Kaiser war meinthalbwegenmeiner sehr gerührt,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Briefe aus St. Petersburg von Rentier Dionysius Bitterle aus Munderkingen an der Donau an seinen Vetter im Schwabenland"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 35.1861, Nr. 845, S. 82
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg