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Der verlorne Bräutigam.
Dorotheens, die ihm treu und herzlich zngethan war, lachte er
ob des widrigen Gesichts, daß ihm früher so oft vor die Seele
getreten war und ihm so lange nntgespielt hatte, ohne freilich
daran zu denken, daß es noch nicht aller Tage Abend sei
und daß ihm dieses Gespenst, d. h. seine eigene vagircnde Ein-
bildung noch immer einen schlimmen Streich spielen könnte,
wie er es später wirklich noch erleben sollte.
Die Reminiscenzen an seine erste Verheirathung machten
sich in lebhafter Weise bei Franz geltend, als er zur Wieder-
verheirathung die Vorbereitungen traf. Zunächst waren es ja fast
dieselben Leute, seine Bekannten, die ihm ihre Gratulationen
vortrugen und fast dieselben Worte, die er da zu hören be-
kam, dieselben Wohnnngsräume, worin das Alles geschah,
da war vor Allem der einstige Schulmeister seiner ersten Frau
und langjährige Hausfreund, Magister Bahn, der nicht ver-
säumte, seine Lieblingsphrase, auf deren Tiefsinnigkeit er sich
nicht wenig zu Gute that, in derselben Reihe wie damals
vorzutragen: „Wenn Jemand eine Reise thun will, so pflege ich
ihm weiter Nichts zu wünschen, als gutes Wetter, das Uebrige
ist seine eigene Sache!" Ja die Umstände fügten sich mehrfach
so ähnlich den frühern, bildeten so oft Anklänge an dieselben,
und versetzten Franz so oft und so lebhaft in die Zeit seines
ersten Brautstandes, daß er sich ordentlich Gewalt anthnn und
in das freundliche Antlitz Dorotheens blicken mußte, um sich
zu überzeugen, daß es nur ein zufälliges Zusammentrcsfen
und nicht eine Wiederholung des früher Erlebten sei.
Was Dorothea anlangt, so ahnte sie von diesem Allen
nichts, denn eine falsche Scham, ein durchaus mißverstandenes
Zartgefühl hielt Franz ab, ihr diese Befürchtungen mitzutheilcn,
von denen er vermeinte, daß sie dieselben verletzen könnten,
während es Dorotheens Liebe ein Leichtes gewesen sein würde,
dieselben wie Spreu vor dem Winde zu zerstreuen. Für sie
existirte gar nicht die Möglichkeit, daß Franz ihr irgend Etwas
verheimlichen könne, und weil er cs dennoch that, so trug
diese Verheimlichung ihre Früchte und bereitete ihm da, wo
er das reinste Glück hätte genießen können, nur Sorgcu und
Qual und bitteren Kampf. Bei Franzens Naturell konnte dieser Zu-
stand des Schwankens zwischen so entgegengesetzten Empfiuduugen,
wie sie Dorotheens Wesen einflößen mußte und auf der anderen
Seite der Dämon der Sclbstquälerei ihm einflüsterte, nicht an-
ders als zu einer Krisis führen.
Der Hochzeitstag war gekommen und mit ihm waren
die heiteren Gäste ciugezogen, welche bereits in Franzens bestem
Zimmer auf den Bräutigam warteten, um ihn in die zweite
Etage zu begleiten, wo sie die Braut zur Kirche abholcu
wollten. Aber unser Franz hatte dem Tage nicht mit heitern
Augen entgegcngeseheu. Er hatte eine sehr unangenehme Nacht
gehabt und böse Träume hatten seine Angst immer höher ge-
steigert. Die Krisis lauerte bereits auf der Schwelle seines
Schlafzimmers. Unruhig ging er darin auf und ab. Als er
endlich Anstalt machte, sich anzukleiden, geschah das sehr me-
chanisch, unter vielen Pausen und dabei ging ihm Alles ver-
kehrt. Er fuhr mit dem rechten Fuße in den linken Stiefel,
und mit dem linken Beine in die rechte Hose; beim Zuknöpfen
der weißen Weste sing er statt beim ersten, beim zweiten Knopf
an und als er endlich doch fertig war, den schwarzen Frack
angelegt hatte und einen Blick in den Spiegel warf, schaute
ihm eine wahre Carricatnr ans dem Glas entgegen. Denn aus
der weißen, ziemlich nachläßig angelegten Halsbinde stand nur
der eine Vatermörder empor, darüber hing ein verdrießliches,
unrasirtcs Gesicht mit struppigen, ungekämmten Haaren ringsum,
und über diesem thronte wie ein Schncegipfel über dunkeln
Waldeshöhen die weiße Nachtmütze. Acrgcrlich warf er die
Kleider wieder ab, um das Versäumte wieder nachzuholen und
seine Toilette von vorn zu beginnen.
Nicht mit einem hochzeitlichen, sondern mehr mit einem
Armcnsündergesicht trat er endlich in die Stube, wo die Hoch-
zeitsgäste ihm entgcgcntraten. Hier nun geschah Etwas, was
ihn gänzlich außer Fassung brachte und ihn seine ganze Si-
tuation und ihre Anforderungen vergessen machte. Gleich
beim Eintritte fiel ihm wieder die außerordentliche Aehnlichkeit
der Umstände mit seinem ersten Hochzeitstage auf. Es war
dasselbe Zimmer, dasselbe Ameublement, zum großen Theile
dieselben Personen, die ihm Glück wünschend entgegen kamen,
voran wieder wie damals der Magister Bahn mit seinem:
Wenn Jemand eine Reise thun will -c. — Da trat auf einmal,
natürlich nur in seiner Einbildung, zu diesen altbekannten
Gesichtern eine andere Figur, das Bild seiner ersten Frau,
das seit seinem ersten Zusammeutrcsfeu mit Dorotheen ganz
verschwunden gewesen war, jetzt aber mit zornigem, neidischen
Ausdrucke ihm entgegen zu kommen schien. Entsetzt wich er
vor der Erscheinung zurück, eilte unter einem seichten Vor-
wände gegen die ihn umringenden Freunde durch die nächste
Thür, die in eine Hintcrstube führte, und die er hinter sich
verriegelte. Angstvoll lief er im Zimmer hin und her nach
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Der verlorne Bräutigam.
Dorotheens, die ihm treu und herzlich zngethan war, lachte er
ob des widrigen Gesichts, daß ihm früher so oft vor die Seele
getreten war und ihm so lange nntgespielt hatte, ohne freilich
daran zu denken, daß es noch nicht aller Tage Abend sei
und daß ihm dieses Gespenst, d. h. seine eigene vagircnde Ein-
bildung noch immer einen schlimmen Streich spielen könnte,
wie er es später wirklich noch erleben sollte.
Die Reminiscenzen an seine erste Verheirathung machten
sich in lebhafter Weise bei Franz geltend, als er zur Wieder-
verheirathung die Vorbereitungen traf. Zunächst waren es ja fast
dieselben Leute, seine Bekannten, die ihm ihre Gratulationen
vortrugen und fast dieselben Worte, die er da zu hören be-
kam, dieselben Wohnnngsräume, worin das Alles geschah,
da war vor Allem der einstige Schulmeister seiner ersten Frau
und langjährige Hausfreund, Magister Bahn, der nicht ver-
säumte, seine Lieblingsphrase, auf deren Tiefsinnigkeit er sich
nicht wenig zu Gute that, in derselben Reihe wie damals
vorzutragen: „Wenn Jemand eine Reise thun will, so pflege ich
ihm weiter Nichts zu wünschen, als gutes Wetter, das Uebrige
ist seine eigene Sache!" Ja die Umstände fügten sich mehrfach
so ähnlich den frühern, bildeten so oft Anklänge an dieselben,
und versetzten Franz so oft und so lebhaft in die Zeit seines
ersten Brautstandes, daß er sich ordentlich Gewalt anthnn und
in das freundliche Antlitz Dorotheens blicken mußte, um sich
zu überzeugen, daß es nur ein zufälliges Zusammentrcsfen
und nicht eine Wiederholung des früher Erlebten sei.
Was Dorothea anlangt, so ahnte sie von diesem Allen
nichts, denn eine falsche Scham, ein durchaus mißverstandenes
Zartgefühl hielt Franz ab, ihr diese Befürchtungen mitzutheilcn,
von denen er vermeinte, daß sie dieselben verletzen könnten,
während es Dorotheens Liebe ein Leichtes gewesen sein würde,
dieselben wie Spreu vor dem Winde zu zerstreuen. Für sie
existirte gar nicht die Möglichkeit, daß Franz ihr irgend Etwas
verheimlichen könne, und weil er cs dennoch that, so trug
diese Verheimlichung ihre Früchte und bereitete ihm da, wo
er das reinste Glück hätte genießen können, nur Sorgcu und
Qual und bitteren Kampf. Bei Franzens Naturell konnte dieser Zu-
stand des Schwankens zwischen so entgegengesetzten Empfiuduugen,
wie sie Dorotheens Wesen einflößen mußte und auf der anderen
Seite der Dämon der Sclbstquälerei ihm einflüsterte, nicht an-
ders als zu einer Krisis führen.
Der Hochzeitstag war gekommen und mit ihm waren
die heiteren Gäste ciugezogen, welche bereits in Franzens bestem
Zimmer auf den Bräutigam warteten, um ihn in die zweite
Etage zu begleiten, wo sie die Braut zur Kirche abholcu
wollten. Aber unser Franz hatte dem Tage nicht mit heitern
Augen entgegcngeseheu. Er hatte eine sehr unangenehme Nacht
gehabt und böse Träume hatten seine Angst immer höher ge-
steigert. Die Krisis lauerte bereits auf der Schwelle seines
Schlafzimmers. Unruhig ging er darin auf und ab. Als er
endlich Anstalt machte, sich anzukleiden, geschah das sehr me-
chanisch, unter vielen Pausen und dabei ging ihm Alles ver-
kehrt. Er fuhr mit dem rechten Fuße in den linken Stiefel,
und mit dem linken Beine in die rechte Hose; beim Zuknöpfen
der weißen Weste sing er statt beim ersten, beim zweiten Knopf
an und als er endlich doch fertig war, den schwarzen Frack
angelegt hatte und einen Blick in den Spiegel warf, schaute
ihm eine wahre Carricatnr ans dem Glas entgegen. Denn aus
der weißen, ziemlich nachläßig angelegten Halsbinde stand nur
der eine Vatermörder empor, darüber hing ein verdrießliches,
unrasirtcs Gesicht mit struppigen, ungekämmten Haaren ringsum,
und über diesem thronte wie ein Schncegipfel über dunkeln
Waldeshöhen die weiße Nachtmütze. Acrgcrlich warf er die
Kleider wieder ab, um das Versäumte wieder nachzuholen und
seine Toilette von vorn zu beginnen.
Nicht mit einem hochzeitlichen, sondern mehr mit einem
Armcnsündergesicht trat er endlich in die Stube, wo die Hoch-
zeitsgäste ihm entgcgcntraten. Hier nun geschah Etwas, was
ihn gänzlich außer Fassung brachte und ihn seine ganze Si-
tuation und ihre Anforderungen vergessen machte. Gleich
beim Eintritte fiel ihm wieder die außerordentliche Aehnlichkeit
der Umstände mit seinem ersten Hochzeitstage auf. Es war
dasselbe Zimmer, dasselbe Ameublement, zum großen Theile
dieselben Personen, die ihm Glück wünschend entgegen kamen,
voran wieder wie damals der Magister Bahn mit seinem:
Wenn Jemand eine Reise thun will -c. — Da trat auf einmal,
natürlich nur in seiner Einbildung, zu diesen altbekannten
Gesichtern eine andere Figur, das Bild seiner ersten Frau,
das seit seinem ersten Zusammeutrcsfeu mit Dorotheen ganz
verschwunden gewesen war, jetzt aber mit zornigem, neidischen
Ausdrucke ihm entgegen zu kommen schien. Entsetzt wich er
vor der Erscheinung zurück, eilte unter einem seichten Vor-
wände gegen die ihn umringenden Freunde durch die nächste
Thür, die in eine Hintcrstube führte, und die er hinter sich
verriegelte. Angstvoll lief er im Zimmer hin und her nach
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der verlorne Bräutigam"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 35.1861, Nr. 849, S. 115
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg