123
Das Luftbad.
I
i
| und Titeln als Trichinenkranker durch alle Zeitungen liefe.
Die Presse spannt jetzt so nur auf solche cclatante Beispiele,
und Sie wären außerdem noch der Gefahr ausgesetzt, daß
Aerzte von allen Seiten Deutschlands herbei kämen und Sie
um ein Stück Fleisch bäten, um ihre Untersuchungen daran
zu machen."
„Na, weiter fehlte mir gar Nichts," stöhnte der Arme,
: „diese verfluchten Harpunen, ich habe an dem einen Male
genug."
„Ja, aber Sic könnten es nachher im Interesse der
Wissenschaft doch nicht gut verweigern, denn man würde cs
für Feigheit auslegcn."
„Aber, ich soll mich doch wahrhaftig nicht von der gan-
zen Welt harpuniren lassen?"
„Gerade deßhalb rathe ich Ihnen mit Niemanden über
Ihren Zustand zu sprechen," sagte der Arzt, „und nun leben
Sie wohl, lieber Regierungsrath — gleich nach Tisch komme
ich wieder zu Ihnen und haben Sie nur Vertrauen zu mir;
ich kurire Sic, darauf können Sie sich verlassen."
„Leben Sie wohl," hatte der entsetzliche Doktor gesagt,
- während er mit einem Stück Menschcnflcisch in der Tasche
i von dein unglücklichen in Verzweiflung zurückbleibenden Pa-
tienten Abschied nahm.
„Trichinen!" Ja wohl, das war cs auch; daß er nur
selber noch nicht auf diesen furchtbaren, aber so nahe liegen-
den Gedanken gefallen sein sollte; fühlte er doch die gräß-
lichen Geschöpfe in all' seinen Gliedern. Und daher also diese
ewige Beängstigung, dieses Prickeln in allen Theilen seines
Körpers. Das war die unheimliche Thätigkeit jener Myria-
den von Geschöpfen, die sich durch seine Muskeln bohrten und
darin Quartier nahmen? Und er, ein geheimer Regicr-
ungörath, jetzt hatte er geheime Trichinen — sogar wirklich
geheime, denn er durfte eS noch nicht einmal Jemanden
sagen, durfte sein Leid, seinen Jammer nicht in die Welt
hinausschreien, wenn er nicht fürchten wollte, daß sie von
allen Seiten blutgierig mit ihren Harpunen hcrbeiströmten
und ihn um eine „Portion" bäten.
Er verbrachte ein paar entsetzliche Stunden, und nicht
einmal der Wein, den ihm der Doktor heute noch erlaubt,
oder vielmehr nur geduldet hatte, wollte ihm schmecken —
Fleisch konnte er gar nicht sehen, denn es erinnerte ihn nur
noch mehr an sein Elend, und er ließ sich nur in aller Ver-
zweiflung ein paar Pfund Karpfen absicden, um nicht auch
noch bei lebendigem Leibe zu verhungern.
Nach Tisch schlief er gewöhnlich zwei Stunden, um sich
später den ganzen Abend matt und unbehaglich zu fühlen.
Der Arzt hatte ihm das auch schon lange verboten, aber er
behauptete immer, er dürfe seine gewohnte Lebensweise nicht
unterbrechen, oder er ginge ganz zu Grunde. Heute fand er
keine Ruh; er lief die ganze Zeit im Zimmer aus und ab
und blieb nur manchmal erschreckt stehen, wenn er die Bc-
j wegung der Thiere in seinem mißhandelten Körper zu fühlen
j glaubte.
Endlich — endlich kam der Doktor, nach welchem er indessen
selber schon zweimal aber immer vergebens geschickt. Er war
sehr ernst, wickelte dann aus einem Tuch, das er in der Hand 1
hielt, ein Mikroscop heraus, stellte cs, legte ein Präparat 1
hinein und bat den Geheimen Regierungsrath dann feierlich
einmal hindurch zu sehen.
Zitternd beobachtete ihn der Unglückliche, denn er wußte >
genau, was ihm bevorstand — was er da zu sehen bekam
— seine Trichinen — die entsetzlichen Verwüster seines
eigenen Körpers, die selbst in diesem Augenblick noch eifrig
beschäftigt waren, ihn bei lebendigem Leibe zu verzehren. Er
streckte auch abwehrend die Hand aus, aber der Doktor ließ
nicht nach.
„Bitte, lieber Rcgierungsrath, Sie müssen sich selber ;
mit eigenen Augen überzeugen, daß meine Vermuthung, daß ;
der Verdacht, den ich geschöpft, nur zu gegründet gewesen. !
Sie stecken voll bis an die Haarwurzeln und cs ist die höchste !
Zeit, daß wir ernste Maßregeln dagegen ergreifen."
„Und glauben Sic wirklich, daß da noch Hilfe möglich
ist, Doktor?"
„Bah, möglich? Ich habe Ihnen nicht umsonst eine
Wette angcboten. Wollen Sie meinem Rath folgen — aber
sehen Sie sich nur erst einmal selber die Becster an — so
stelle ich Sie in vier Wochen so vollständig her, daß Sie so
gesund wie ein Fisch im Wasser — und auch ebenso frei von
Trichinen sind — bitte, überzeugen Sie sich nur erst einmal."
Der Geheime RegierungSralh folgte mit einem schweren
Seufzer der Aufforderung und da waren sie richtig — nicht
mehr geheim, sondern klar und offen in ihrer natürlichen
Scheußlichkeit spiralförmig gewunden und zusammengerollt.
Ein solches kleines Ungethüm hatte sich sogar in seiner ganzen
Länge ausgcstrcckt. (Fortsetzung folgt.)
16*
Das Luftbad.
I
i
| und Titeln als Trichinenkranker durch alle Zeitungen liefe.
Die Presse spannt jetzt so nur auf solche cclatante Beispiele,
und Sie wären außerdem noch der Gefahr ausgesetzt, daß
Aerzte von allen Seiten Deutschlands herbei kämen und Sie
um ein Stück Fleisch bäten, um ihre Untersuchungen daran
zu machen."
„Na, weiter fehlte mir gar Nichts," stöhnte der Arme,
: „diese verfluchten Harpunen, ich habe an dem einen Male
genug."
„Ja, aber Sic könnten es nachher im Interesse der
Wissenschaft doch nicht gut verweigern, denn man würde cs
für Feigheit auslegcn."
„Aber, ich soll mich doch wahrhaftig nicht von der gan-
zen Welt harpuniren lassen?"
„Gerade deßhalb rathe ich Ihnen mit Niemanden über
Ihren Zustand zu sprechen," sagte der Arzt, „und nun leben
Sie wohl, lieber Regierungsrath — gleich nach Tisch komme
ich wieder zu Ihnen und haben Sie nur Vertrauen zu mir;
ich kurire Sic, darauf können Sie sich verlassen."
„Leben Sie wohl," hatte der entsetzliche Doktor gesagt,
- während er mit einem Stück Menschcnflcisch in der Tasche
i von dein unglücklichen in Verzweiflung zurückbleibenden Pa-
tienten Abschied nahm.
„Trichinen!" Ja wohl, das war cs auch; daß er nur
selber noch nicht auf diesen furchtbaren, aber so nahe liegen-
den Gedanken gefallen sein sollte; fühlte er doch die gräß-
lichen Geschöpfe in all' seinen Gliedern. Und daher also diese
ewige Beängstigung, dieses Prickeln in allen Theilen seines
Körpers. Das war die unheimliche Thätigkeit jener Myria-
den von Geschöpfen, die sich durch seine Muskeln bohrten und
darin Quartier nahmen? Und er, ein geheimer Regicr-
ungörath, jetzt hatte er geheime Trichinen — sogar wirklich
geheime, denn er durfte eS noch nicht einmal Jemanden
sagen, durfte sein Leid, seinen Jammer nicht in die Welt
hinausschreien, wenn er nicht fürchten wollte, daß sie von
allen Seiten blutgierig mit ihren Harpunen hcrbeiströmten
und ihn um eine „Portion" bäten.
Er verbrachte ein paar entsetzliche Stunden, und nicht
einmal der Wein, den ihm der Doktor heute noch erlaubt,
oder vielmehr nur geduldet hatte, wollte ihm schmecken —
Fleisch konnte er gar nicht sehen, denn es erinnerte ihn nur
noch mehr an sein Elend, und er ließ sich nur in aller Ver-
zweiflung ein paar Pfund Karpfen absicden, um nicht auch
noch bei lebendigem Leibe zu verhungern.
Nach Tisch schlief er gewöhnlich zwei Stunden, um sich
später den ganzen Abend matt und unbehaglich zu fühlen.
Der Arzt hatte ihm das auch schon lange verboten, aber er
behauptete immer, er dürfe seine gewohnte Lebensweise nicht
unterbrechen, oder er ginge ganz zu Grunde. Heute fand er
keine Ruh; er lief die ganze Zeit im Zimmer aus und ab
und blieb nur manchmal erschreckt stehen, wenn er die Bc-
j wegung der Thiere in seinem mißhandelten Körper zu fühlen
j glaubte.
Endlich — endlich kam der Doktor, nach welchem er indessen
selber schon zweimal aber immer vergebens geschickt. Er war
sehr ernst, wickelte dann aus einem Tuch, das er in der Hand 1
hielt, ein Mikroscop heraus, stellte cs, legte ein Präparat 1
hinein und bat den Geheimen Regierungsrath dann feierlich
einmal hindurch zu sehen.
Zitternd beobachtete ihn der Unglückliche, denn er wußte >
genau, was ihm bevorstand — was er da zu sehen bekam
— seine Trichinen — die entsetzlichen Verwüster seines
eigenen Körpers, die selbst in diesem Augenblick noch eifrig
beschäftigt waren, ihn bei lebendigem Leibe zu verzehren. Er
streckte auch abwehrend die Hand aus, aber der Doktor ließ
nicht nach.
„Bitte, lieber Rcgierungsrath, Sie müssen sich selber ;
mit eigenen Augen überzeugen, daß meine Vermuthung, daß ;
der Verdacht, den ich geschöpft, nur zu gegründet gewesen. !
Sie stecken voll bis an die Haarwurzeln und cs ist die höchste !
Zeit, daß wir ernste Maßregeln dagegen ergreifen."
„Und glauben Sic wirklich, daß da noch Hilfe möglich
ist, Doktor?"
„Bah, möglich? Ich habe Ihnen nicht umsonst eine
Wette angcboten. Wollen Sie meinem Rath folgen — aber
sehen Sie sich nur erst einmal selber die Becster an — so
stelle ich Sie in vier Wochen so vollständig her, daß Sie so
gesund wie ein Fisch im Wasser — und auch ebenso frei von
Trichinen sind — bitte, überzeugen Sie sich nur erst einmal."
Der Geheime RegierungSralh folgte mit einem schweren
Seufzer der Aufforderung und da waren sie richtig — nicht
mehr geheim, sondern klar und offen in ihrer natürlichen
Scheußlichkeit spiralförmig gewunden und zusammengerollt.
Ein solches kleines Ungethüm hatte sich sogar in seiner ganzen
Länge ausgcstrcckt. (Fortsetzung folgt.)
16*
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Luftbad"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 48.1868, Nr. 1188, S. 123
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg