Fliegende Blätter (66.1877 (Nr. 1641-1666))

6 Der Unrechte.

An einem Hof — doch nicht in deutschen Landen —

Da ließ ein Mann mit seltener Kunst sich seh'n;

Er führte einen Floh in gold'nen Banden,

Der konnte exercirend aufrecht geh'n;

Was man sonst sieht bei Menschen nur und Affen,

Das mußt' das Thierlein zierlich nachzuschaffen.

Erstaunet sah der Hof im bunten Kreise
Auf diesen Floh mit menschlichem Verstand;

Da sprang er fort und unglückseliger Weise
Inst nach der Erbprinzessin weißer Hand,

Von da bergan, sich ein Asyl zu suchen;

Dem Meister half kein Bitten und kein Fluchen.

Entsetzet zog mit ihren Kammerfrauen
Jn's Schlafgemach die Dame sich zurück.

Und man begann gar emsig nachzuschaucn,

Und fand und faßt' das Thierlein am Genick.

Dem Meister brachte es der Fräulein Eine.

Der sprach: „Ein Floh ist's wohl, doch nicht der meine!"

_ R. St.

Gefährliche Wette.

Bei der Ausbesserung der Wetterfahne ans einem Kirch-
thurm wurde ein Balken horizontal herausgelegt, aus dem die
Arbeiter sitzen mußten. Zwei Maurer sehen dies von unten und
der Eine meint, daß er selbst für hohen Lohn eine solche Arbeit
nicht unternehmen möchte. „Oho!" sagte der Andere, „ich bin
vollkommen schwindelfrei; ich wette um zwei Maß Bier, daß
ich bis an die Spitze des Balkens gehe, dann umkehre und
ebenso sicher wieder zurückgehe, und dabei will ich Dich noch
ans den Schultern tragen." Die Wette wird angenommen, und
man schreitet zur Ausführung. — Der Maurer, seinen Freund
auf der Schulter, schreitet sicher den gefährlichen Weg; beim
Umwenden schwankt er, erlangt aber wieder das Gleichgewicht

Gefährliche Wette.

und erreicht glücklich die Plattfornr des Thurmes. „Juchhe, ge-
wonnen!" ruft er vergnügt. —„Ja," antwortet der Andere, „aber
weißt Du, als Du an der Spitze vom Balken s chwanktest,
da hätt' Ich die Wette beinahe doch gewonnen!"