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Umsonst gelebt.
Nun ist er alt und krank, cs rast das Fieber
In seinem Blut, die bleiche Wange glüht.
Und vor des Kranken inn'rem Aug' vorüber
Sein langes, trostlos langes Leben zieht.
Da sieht er Plötzlich wieder fernher schweben
Das hohe Weib, gehüllt in Trauerflor,
Sic senkt den Blick und ihre Hände heben,
Statt Lorbeer heut', den Todtenkranz empor.
„Fluch Dir!" so ruft er, „die ans falsche Bahnen/
Ein täuschend Irrlicht, meine Seele zog,
Die mich erfüllt mit trügerischem Ahnen,
Und einst so süß mein thöricht Herz belog.
Als Hoffnung sangest Du mir Schmcichellicdcr,
Dem Knaben, einst, und saugst von Ruhm und Glanz,
Doch als Erfüllung kehrst zum Mann Du wieder
Und bringst ihm nichts — als einen Todtenkranz.
O Dämon, Trugbild, all mein Thun und Ringen
Vergebens war's, durch Dich verführt, verlockt;
Verfehlt mein Dasein, Dichten, Träumen, Singen,
Ich Hab' umsonst gelebt!" — Sein Athem stockt.
Schon rührt der Tod ihn an — vom bleichen Munde
Der Lebenshauch mit seinem Geist entschwebt;
Und spottend ruft das Echo in der Runde
Sein letztes Wort ihm nach: Umsonst gelebt!
_ Günther lüaUiiig.
Geistcsgegcn wart.
Die Frau Wirthin ertappt ihren Mann, wie er im finstern Haus-
flur die Kellnerin küßt. Schnell gefaßt ruft der Wirth: „Ja, was
wär' denn das, lieb's Weiberl, — i' Hab' g'meint, Du wärst's — da
muß mir ja gleich eine Latern 'rauskommen!"
Nur das Eine nicht.
Alles kann der Mensch erschleichen.
Treibt cs mächtig ihn dazu:
Stellung, Reichthum, ja auch Ehre,
Nur nicht die — Gewissensruh'!
Jacta est alea!
Hast du den Math, stets die Wahrheit zu sagen,
Habe den Muth auch, ihr — Schicksal zu tragen!
_ Dr. Märzruth.
Die Fcldzugssau.
Ich stand vor $. Jahren mit meinem Jägerbataillon im Felde und
marschirte nach S. Es war ein heißer Tag und Hunger und Durst
quälte uns. Da deutet mein Reihenkamerad plötzlich auf einen dunklen
Gegenstand und sagt ganz erfreut: „Bruder, mir scheint dort liegt eine tobte
Sau!" — Ich schau' mir den Gegenstand an, — richtig, es war eine
ganz frisch nbgestochene junge Sau, so ungefähr von einem schwachen
Zentner Gewicht. Da koinnit mir eine gute Idee: „Kinder!" ruf ich, „wir
nehmen die Sau mit uns; lange kann der Marsch so nicht mehr dauern und
wir haben dann den köstlichsten Braten!" Das leuchtet drei Besitzern
knurriger Mägen ein, die mit mir alsbald jeder die Sau bei einem Fuße
packen und so weitcrschleppen. .Aber die Sonne sing immer heißer an zu
brennen und der Marsch wollte kein Ende nehme». Die verdammte Sau
wurde immer schwerer; anfänglich wechselten wir mit den Händen, aber
für die Länge konnten wir doch die Bestie nicht mehr weiter bringen, und
nach so viel Mühe wegwerfen wollten wir das Vieh auch nicht. In jedem
Augenblicke konnten wir ein Bivouac beziehen. So spintisirtc ich eben
im Schweiße des Angesichts, was zu thun sei, als ich plötzlich aufblicktc
und die Bemerkung machte, daß meine drei Associvs im Schweinege-
schäfte ihr Antheilrecht zur Hälfte an Andere, gegen Verpflichtung des
Mittragens, abgetreten hatten. Das war auch mir zu verführerisch. Ein
ganzes Sauviertel, denk' ich bei mir, ist dir ja doch zu viel; suche dir auch
einen Compagnon. Gesagt, gethan. Im Augenblick war ich von der uner-
Umsonst gelebt.
Nun ist er alt und krank, cs rast das Fieber
In seinem Blut, die bleiche Wange glüht.
Und vor des Kranken inn'rem Aug' vorüber
Sein langes, trostlos langes Leben zieht.
Da sieht er Plötzlich wieder fernher schweben
Das hohe Weib, gehüllt in Trauerflor,
Sic senkt den Blick und ihre Hände heben,
Statt Lorbeer heut', den Todtenkranz empor.
„Fluch Dir!" so ruft er, „die ans falsche Bahnen/
Ein täuschend Irrlicht, meine Seele zog,
Die mich erfüllt mit trügerischem Ahnen,
Und einst so süß mein thöricht Herz belog.
Als Hoffnung sangest Du mir Schmcichellicdcr,
Dem Knaben, einst, und saugst von Ruhm und Glanz,
Doch als Erfüllung kehrst zum Mann Du wieder
Und bringst ihm nichts — als einen Todtenkranz.
O Dämon, Trugbild, all mein Thun und Ringen
Vergebens war's, durch Dich verführt, verlockt;
Verfehlt mein Dasein, Dichten, Träumen, Singen,
Ich Hab' umsonst gelebt!" — Sein Athem stockt.
Schon rührt der Tod ihn an — vom bleichen Munde
Der Lebenshauch mit seinem Geist entschwebt;
Und spottend ruft das Echo in der Runde
Sein letztes Wort ihm nach: Umsonst gelebt!
_ Günther lüaUiiig.
Geistcsgegcn wart.
Die Frau Wirthin ertappt ihren Mann, wie er im finstern Haus-
flur die Kellnerin küßt. Schnell gefaßt ruft der Wirth: „Ja, was
wär' denn das, lieb's Weiberl, — i' Hab' g'meint, Du wärst's — da
muß mir ja gleich eine Latern 'rauskommen!"
Nur das Eine nicht.
Alles kann der Mensch erschleichen.
Treibt cs mächtig ihn dazu:
Stellung, Reichthum, ja auch Ehre,
Nur nicht die — Gewissensruh'!
Jacta est alea!
Hast du den Math, stets die Wahrheit zu sagen,
Habe den Muth auch, ihr — Schicksal zu tragen!
_ Dr. Märzruth.
Die Fcldzugssau.
Ich stand vor $. Jahren mit meinem Jägerbataillon im Felde und
marschirte nach S. Es war ein heißer Tag und Hunger und Durst
quälte uns. Da deutet mein Reihenkamerad plötzlich auf einen dunklen
Gegenstand und sagt ganz erfreut: „Bruder, mir scheint dort liegt eine tobte
Sau!" — Ich schau' mir den Gegenstand an, — richtig, es war eine
ganz frisch nbgestochene junge Sau, so ungefähr von einem schwachen
Zentner Gewicht. Da koinnit mir eine gute Idee: „Kinder!" ruf ich, „wir
nehmen die Sau mit uns; lange kann der Marsch so nicht mehr dauern und
wir haben dann den köstlichsten Braten!" Das leuchtet drei Besitzern
knurriger Mägen ein, die mit mir alsbald jeder die Sau bei einem Fuße
packen und so weitcrschleppen. .Aber die Sonne sing immer heißer an zu
brennen und der Marsch wollte kein Ende nehme». Die verdammte Sau
wurde immer schwerer; anfänglich wechselten wir mit den Händen, aber
für die Länge konnten wir doch die Bestie nicht mehr weiter bringen, und
nach so viel Mühe wegwerfen wollten wir das Vieh auch nicht. In jedem
Augenblicke konnten wir ein Bivouac beziehen. So spintisirtc ich eben
im Schweiße des Angesichts, was zu thun sei, als ich plötzlich aufblicktc
und die Bemerkung machte, daß meine drei Associvs im Schweinege-
schäfte ihr Antheilrecht zur Hälfte an Andere, gegen Verpflichtung des
Mittragens, abgetreten hatten. Das war auch mir zu verführerisch. Ein
ganzes Sauviertel, denk' ich bei mir, ist dir ja doch zu viel; suche dir auch
einen Compagnon. Gesagt, gethan. Im Augenblick war ich von der uner-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Umsonst gelebt" "Geistesgegenwart"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 66.1877, Nr. 1654, S. 110
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Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg