150
Ter daguerreotypisirre Handwerksbursch.
Herr Commercienrath! nein, weinen könnte ich vor Aerger!
Noch nie ist mir ein Taguerreotyp so gut gelungen! nichts
verbrannt! alles im schönsten Effekt; ja sogar das Ordens-
bändchen Eurer Excellenz sieht man ganz deutlich im Knopfloch
und den Siegelring am Zeigfinger; und wie schön nimmt sich
das gold'ne Stirnband der Frau Commercienräthin aus und
die Locken der Fräulein Angelika? ach verzweifeln möchte ich!
so eine schöne Beleuchtung treffen wir nie mehr, und auch das
kleine Cäsarchen hielt diesmal so ruhig aus! und da muß jetzt
zu unserni Unglück niitten zwischen dieser malerischen Grup-
piruug, gerade zwischen dem Herrn Commercienrath und Fräu-
lein Angelika dieser Kerl, dem man an den schwarzen, steifen
Haaren schon auf 100 Schritte den Schuhmachersgesellen an-
sicht, seinen breiten Kopf Hereinstrecken! Daß ich das Unthier
! aber auch friiher nicht bemerkt habe!" — Alles drängte sich
jetzt herzu und betrachtete bald mich, bald das glänzige Ting,
ich hätte in Boden versinken mögen. — „Welche unauslösch-
i liche Blamasche, ein Proletarier auf unserm adeligen Familien-
gemälde!" kreischte die Frau mit dem Stirnband, „Cäsarchen
hol' mir doch schnell mein Riechfläschchen, es liegt oben auf
meinem Palisanderschreibtisch!" — „Struwwelpeter! pfui gar-
stiger Struwwelpeter!" rief der kleine Range, indem er an mir
vorbeisprang und über mein Hühnerauge stolperte. — „Gott,
wenn es mein Baron erführe!" seufzte erröthend Angelika, „ach
er ist ohnedies immer so eifersüchtig auf die Ehre seines alten
Adels!" — „Ja, dieser Mensch ist im Stande und trägt die
Geschichte noch in der ganzen Stadt herum und compromittirt
uns," rief die Commercienräthin. — „Will er sich endlich ein-
mal packen, er Unglücksvogel," schnauzte mich jetzt der Maler
an. Tas war eigentlich das Commando, auf Vas ich schon
längst gewartet hatte, und wie der Blitz war ich wieder im
Haus drinn und an der andern Thüre. Doch wie ich eben
i hinaus wollte, da hörte ich hinter mir: bst! und sah den
Commercienrath. „Lieber Freund," sagte er halblaut zu mir,
„es thut mir leid, daß man ihn eben so angefahren hat, hier
hat er ein Guldenstück auf den Weg, aber sei er so gut und
spreche er nichts weiter von der Geschichte, und mache er, daß
er recht bald aus der Stadt kommt, die Polizei ist hier gar
streng!" —Ich ein Guldenstück in der Hand! denke dir ein-
mal 120 halbe Kreuzer an Einem Stück! O du herziger
Commercienrath! hätte ich rufen mögen und vergaß in der
Freude alle Temüthigung, die mir widerfahren. Aber jetzt
freut mich's noch einmal so arg, weil ich dir hier begegne,
Landsmann. Mein Guldenstück ist mir schon siedend heiß in
der Hand geworden, denn meinen Taschen traue ich nicht und
einen Geldbeutel habe ich nicht, und ich wäre bald melancho-
lisch geworden, was ich mit meinem Reichthum anfangen solle?
Jetzt aber weißt, was wir thun? Gleich dort an der Ecke
schenk einer Aeppelwein, da darf man für zwölf Kreuzer so
viel Kinken, als man nur kann. Tort gehen wir hin! Und
wenn wir ganz knell voll sind, weißt was dann? Dann zahle
ich erst noch einmal zwölf Kreuzer für Jeden, und trinken ivir
uns noch kneller voll, sonst reut es uns später einmal,
ivenn wir recht Durst haben, daß wir nicht noch mehr heute
gewunken haben. Ja und mein Schatz darf auch nicht vergessen
werden, dem trinken wir seine Gesundheit, hab's schon lang
einmal thun wollen! Als ich aus Sigmaringen wegging auf
die Wanderschaft, da hat sie mir noch einen herzhaft saftigen
Kuß gegeben und einen Skauß auf meinen Hut gesteckt und
ein Bildlein ins Wanderbuch gelegt, darauf steht:
Wandte auf Rosen und Vergißmeinnicht!
Ich habe ihr auch vornen hinein ins Gesangbuch ein Vers-
lein geschrieben, es ist jetzt mein Leibverslein geworden, und
hab's schon oft auf der Wanderschaft vor mich hingedudelt,
aber heute, wenn mir der Aeppelwein warm gemacht hat,
„Gott verdamm' mich, do soll mer sich nicht ärjern, wenn
nier so ä Trickerei in die Paulskerch sieht; deß kimmt mer grod
vor, wie vorige Summer bei der ersetzte große Hitz die Trauwe,
do hot aach alles geglabt, deß werd ä Weinche gewe, wie noch
käns do war, unn was warsch am End? Nit viel mehr wie
Essig! So gehts do drinn grod aach, do sitze se unn babbele
se, unn wenn die erscht Hitz verraacht is, so is es aach nor
Effig, unn des Volk will doch Malaga!"
Ter daguerreotypisirre Handwerksbursch.
Herr Commercienrath! nein, weinen könnte ich vor Aerger!
Noch nie ist mir ein Taguerreotyp so gut gelungen! nichts
verbrannt! alles im schönsten Effekt; ja sogar das Ordens-
bändchen Eurer Excellenz sieht man ganz deutlich im Knopfloch
und den Siegelring am Zeigfinger; und wie schön nimmt sich
das gold'ne Stirnband der Frau Commercienräthin aus und
die Locken der Fräulein Angelika? ach verzweifeln möchte ich!
so eine schöne Beleuchtung treffen wir nie mehr, und auch das
kleine Cäsarchen hielt diesmal so ruhig aus! und da muß jetzt
zu unserni Unglück niitten zwischen dieser malerischen Grup-
piruug, gerade zwischen dem Herrn Commercienrath und Fräu-
lein Angelika dieser Kerl, dem man an den schwarzen, steifen
Haaren schon auf 100 Schritte den Schuhmachersgesellen an-
sicht, seinen breiten Kopf Hereinstrecken! Daß ich das Unthier
! aber auch friiher nicht bemerkt habe!" — Alles drängte sich
jetzt herzu und betrachtete bald mich, bald das glänzige Ting,
ich hätte in Boden versinken mögen. — „Welche unauslösch-
i liche Blamasche, ein Proletarier auf unserm adeligen Familien-
gemälde!" kreischte die Frau mit dem Stirnband, „Cäsarchen
hol' mir doch schnell mein Riechfläschchen, es liegt oben auf
meinem Palisanderschreibtisch!" — „Struwwelpeter! pfui gar-
stiger Struwwelpeter!" rief der kleine Range, indem er an mir
vorbeisprang und über mein Hühnerauge stolperte. — „Gott,
wenn es mein Baron erführe!" seufzte erröthend Angelika, „ach
er ist ohnedies immer so eifersüchtig auf die Ehre seines alten
Adels!" — „Ja, dieser Mensch ist im Stande und trägt die
Geschichte noch in der ganzen Stadt herum und compromittirt
uns," rief die Commercienräthin. — „Will er sich endlich ein-
mal packen, er Unglücksvogel," schnauzte mich jetzt der Maler
an. Tas war eigentlich das Commando, auf Vas ich schon
längst gewartet hatte, und wie der Blitz war ich wieder im
Haus drinn und an der andern Thüre. Doch wie ich eben
i hinaus wollte, da hörte ich hinter mir: bst! und sah den
Commercienrath. „Lieber Freund," sagte er halblaut zu mir,
„es thut mir leid, daß man ihn eben so angefahren hat, hier
hat er ein Guldenstück auf den Weg, aber sei er so gut und
spreche er nichts weiter von der Geschichte, und mache er, daß
er recht bald aus der Stadt kommt, die Polizei ist hier gar
streng!" —Ich ein Guldenstück in der Hand! denke dir ein-
mal 120 halbe Kreuzer an Einem Stück! O du herziger
Commercienrath! hätte ich rufen mögen und vergaß in der
Freude alle Temüthigung, die mir widerfahren. Aber jetzt
freut mich's noch einmal so arg, weil ich dir hier begegne,
Landsmann. Mein Guldenstück ist mir schon siedend heiß in
der Hand geworden, denn meinen Taschen traue ich nicht und
einen Geldbeutel habe ich nicht, und ich wäre bald melancho-
lisch geworden, was ich mit meinem Reichthum anfangen solle?
Jetzt aber weißt, was wir thun? Gleich dort an der Ecke
schenk einer Aeppelwein, da darf man für zwölf Kreuzer so
viel Kinken, als man nur kann. Tort gehen wir hin! Und
wenn wir ganz knell voll sind, weißt was dann? Dann zahle
ich erst noch einmal zwölf Kreuzer für Jeden, und trinken ivir
uns noch kneller voll, sonst reut es uns später einmal,
ivenn wir recht Durst haben, daß wir nicht noch mehr heute
gewunken haben. Ja und mein Schatz darf auch nicht vergessen
werden, dem trinken wir seine Gesundheit, hab's schon lang
einmal thun wollen! Als ich aus Sigmaringen wegging auf
die Wanderschaft, da hat sie mir noch einen herzhaft saftigen
Kuß gegeben und einen Skauß auf meinen Hut gesteckt und
ein Bildlein ins Wanderbuch gelegt, darauf steht:
Wandte auf Rosen und Vergißmeinnicht!
Ich habe ihr auch vornen hinein ins Gesangbuch ein Vers-
lein geschrieben, es ist jetzt mein Leibverslein geworden, und
hab's schon oft auf der Wanderschaft vor mich hingedudelt,
aber heute, wenn mir der Aeppelwein warm gemacht hat,
„Gott verdamm' mich, do soll mer sich nicht ärjern, wenn
nier so ä Trickerei in die Paulskerch sieht; deß kimmt mer grod
vor, wie vorige Summer bei der ersetzte große Hitz die Trauwe,
do hot aach alles geglabt, deß werd ä Weinche gewe, wie noch
käns do war, unn was warsch am End? Nit viel mehr wie
Essig! So gehts do drinn grod aach, do sitze se unn babbele
se, unn wenn die erscht Hitz verraacht is, so is es aach nor
Effig, unn des Volk will doch Malaga!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Essig oder Wein ?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Signatur
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Gedränge <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 7.1848, Nr. 163, S. 150
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg