Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0218
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5.1. Historische Bewertung

5.1.1. Der Soziokulturelle Kontext - Bildprogramme

Die Auswahl der Vorlagen für die lebenden Bilder wurde - vor allem bei Privataufführungen
- maßgeblich von dem entsprechenden Ereignis bestimmt. Konkrete Zusammenhänge zwi-
schen den Bildern und den vorhandenen Anlässen, Orten und Personen waren nicht selten für
die Zusammenstellung des Programms ausschlaggebend. Man kann davon ausgehen, daß die
Bildinhalte häufig in symbolischer Beziehung zu den einzelnen Anlässen standen. Die Quel-
len lassen diese Verbindungen leider meist unausgesprochen. Demzufolge müssen sie durch
die Analyse des sozialen Umfeldes ermittelt werden. Vor allem die Kombination von Pro-
grammen, die nicht einem theatralen Handlungsablauf unterlagen, müssen nach eventuellen
inhaltlichen Bezügen befragt werden.

Untersucht man die großen öffentlichen Berliner Programme von 1811 und 1812, die
Langhans arrangierte, so kann man für die ersten beiden Vorführungen, die in ihrer Auswahl
identisch waren, eine große Bandbreite in vielerlei Hinsicht feststellen (Kat.Ber. 1811;
Kat.Ber.1812/1): Historien- wie Genremalerei wurden vorgestellt. Die Historie fächerte sich
auf in narrative und repräsentierende Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, in spät-
römische Geschichte und griechische Mythologie. Auch mit den Malern Raffael, Sacchi,
Correggio, Teniers und David wurde eine relativ große Vielfalt von italienischer, niederländi-
scher und französischer Kunst zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert geboten. Raffael war
mit vier Nachstellungen von insgesamt zehn Bildern entsprechend dem Zeitgeschmack beson-
ders stark repräsentiert. Inhaltlich lassen sich allerdings keine Bezüge zwischen den Bildern
herstellen. Es scheint vielmehr, als ob eine möglichst große Variationsbreite für Langhans
bestimmend war. Als er nur wenig später die zweite öffentliche Vorführung gab, war diese
Vielfalt stark dezimiert. Obwohl er weiterhin zehn Bilder wählte, waren nur noch zwei Maler
namentlich repräsentiert - Raffael und Teniers. Stattdessen hatte sich die Zahl der freien Kom-
positionen erhöht, die Bandbreite der Sujets war im Zuge dessen geschrumpft (Kat.Ber. 1812/2).
Thematisch ist keine konzeptionelle Verbindung zwischen den Bildern zu erkennen, das Pro-
gramm bot vielmehr für jeden etwas. Eine derartige öffentliche Vorführung ohne speziellen
Anlaß, die ein breites, nicht klar zu ermittelndes Zielpublikum ansprach, stellte sich offensicht-
lich nicht der Aufgabe, inhaltliche Bezüge zwischen den Bildern untereinander, zu den Rezi-
pienten oder zur Zeit herzustellen.

Die Willkür in der Selektion der Bilder hinsichtlich eines Konzepts war bei den Wiener
Wohltätigkeitsveranstaltungen ab 1812 noch um einiges größer.1 Meist wurden nur sehr we-
nige - oft nur drei - Tableaux innerhalb eines Gesamtrahmens aus verschiedenen Künsten
präsentiert. Damit konnte freilich kein differenziertes Bildprogramm verfolgt werden. An-
hand der wenigen Tableaux läßt sich weder erkennen, daß eine Vielfalt an Gattungen, The-
men, Malern, Epochen oder Schulen angestrebt wurde, noch daß bestimmte inhaltliche Bezü-
ge konkrete Aussagen trafen.

Sowohl in Berlin als auch in Wien stand die reine Unterhaltung, die das Auge erfreuen
und den Geschmack ganz allgemein bilden sollte, im Vordergrund. Miller macht darauf auf-
merksam, daß »der ohnehin nur bedingt variable Kanon einer jeweils möglichen Uberein-
kunft von Geschmack und Bildung rasch zu einer Versteinerung und Sinnentleerung der Atti-

1 Vgl. Kat.Wie. 1.812/1; Kat.Wie.1814/1; Kat.Wie.1815; Kat.Wie. 1816; Kat.Wie. 1817/1;
Kat.Wie.l817/2;Kat.Wie.l817/4;Kat.Wie.l817/5;Kat.Wie.l817/6;Kat.Wie.l818;Kat.Wie.l820.

218
 
Annotationen