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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 10
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Bie, Oscar: Unsere musikalische Subjektivität
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0161

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so, bald so nimmt, so nimmt der Hörer dieses neue
Werk, je nach den Saiten, die es in ihm anklingen
läßt. Jener suhrt nur aus, dieser urteilt, und Urteile
spitzen sich immer zu.

Das Facit ist klar. Die Musik ist eine noch
immer in schleunigster Entwicklung besindliche Kunst.
Darunter leidet auch die Ausübung und das Urteil,
weil sie meist aus demselben subjektioen Grundgesühl
hervorgehen, das überhaupt unsere Stellung zur Musik
bestimmt. Jn unser Verhattnis zu Beethovcn, zu
Bach, zu einem modernen Werke geben wir ja zu


großem Teile uns selbst hinein. Das ist eine Folge
unseres musikalischen Eisers; ob zum Nachteil oder
Vorteil — wozu dies untersuchen, da diese Folge
eine notwendige ist? Nur muß man in ganz be-
sonderem Maße sür die Musik das sesthalten: unsere
Kritik ist nicht anders wie unsere Ausübung durchaus
Temperamentsache, sie hat einen objektiven Wert noch
nicht, sie hat noch keine allgemeine Grundlage, keinen
gesicherten Maßstab gesunden, und es ist oiel frucht-
barer, sie als Aeußerung der Zeit zu betrachten, als
sie — auszuüben. Gskur Lie.





N u u d sck u u.

Dicbtung.

Hcböne Ltteratur.

Anf pfaden des Glücks. Lebenssprüche von Zulius
Lohmeper. Mit Vignetten oon A. Rothaug. sLeipzig,
Georg Wigand, Mk. ;.6v).

Sieh, aus des Grabes Nacht und Moder saugt
Der Rosenstrauch sich Kraft und Glut und Düste,
Umhüllt die Gruft mit leichtem Grün und haucht
Noch seines Dankes Labsal in die Lüfte.

Die Lebenslehre des Optimismus, die aus diesen
Versen spricht, hat kein deutscher Poet so bis ins Letzte
durchgebildet, wie Lohmeyer, und hätte er sonst keine Be-
deutung, schon darin liegt eine. Da sichs beim Dichter
nicht um das Denken, sondern um das Empfinden handelt,
berührte eine logische Auseinandersetzung mit dieser seiner
Weltanschauung seine Kunst als Ausdruck seiner Persön-
lichkeit nicht: wir haben den Optimismus dieses Spruch-
buchs wie den der srüher erschienenen Lohmeyerschen Ge-
dichte einfach hinzunehmen. Aber ich bin überzeugt: auch
der Mann ganz anderer Weltanschauung wird Lohmeyers
Sprüche nicht ohne rege Teilnahme lesen, obgleich sie
in künstlerischer Beziehung im Gefolge Geibels stehen.
Wir begegnen hier eben aus Schritt und Tritt einem
echten Empfinden, und diese tiefe Wahrhaftigkeit durch-
strömt und sättigt mit warmem Blute und belebt so vor
unsern Augen eine Weltanschauung, die wir bei tausend
geheiligten Phrasen anderer doch nur als Schatten em-
pfanden. Zudem gewinnt unser Spruchdichter gerade aus
seinem Optimismus heraus eine herrliche Duldsamkeit.
Wie ein Dichtertraum steigt aus seinen Dichtergedanken im
Leser der Wunsch aus: könnten alle Gegner gegen einander
empfinden, wie Lohmeyer gegen die seinen! Dann wäre
der Lust, im Geisteskampse zu stehn, thatsächlich keine
Bitternis gesellt; wir hätten dann wirklich in dieser Hin-
sicht so etwas wie ein irdisches Paradies. A.

Bohemiens. Roman von Konrad Telmann.
(Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung. Mk. 5.—)
Eine ernste und durchdachte Arbeit. Die Stosfwahl
ist, wie häufig bei Telmann, geschickt, die Behandlung ist
diesmal sorgfältig, das Buch im ganzen ist sesselnd. Es
beschleicht uns allerdings ost das Gefühl, etwas Kon-

struiertes vor uns zu haben; es scheint nicht immer frisches
Ouellwasser zu sein, was uns da geboten wird, es hat
einen leisen Beigeschmack nach Leitungsröhren. Der ist
uns immerhin lieber, als der Nachgeschmack von Lhloral,
Morphium oder Absinth, den wir bei so vielen der Mo-
dernen auf der Zunge spüren und von dem dieses Buch
trotz seines Gegenstandes, frei ist. Es gehört nicht zur
genialen, aber auch nicht zur genialischen, es gehört nicht
zur bedeutenden, aber es gehört zur ehrlichen und gesun-
den Literatur.

Die Erzählung spielt in Berlin und seiner Umgebung
Das Milieu ist, ohne ausdringlich zu werden, anschaulich
geschildert. Die Personen, den verschiedensten Gesellschafts-
kreisen entnommen, scheinen ost treulich dem Leben nach-
gezeichnet zu sein. Unser Hauptinteresse gehört Wolsgang
Vogler, dem Vertreter einer der unglücklichsten Menschen-
klassen: der verkannten Genies. Vereinsamt und verbittert
sristet er sein Dasein als kleiner Tagesschriftsteller. Nach
Geld seufzt seine Seele. Reichtum ist die erste Stufe zu
Ruhm und Ehre, Sorgen sressen ja das Talent, nur kom-
fortable Wohnung, üppiges Essen und Trinken, schöne
Kleidung können das im Dunste der Armut erstickende
Dichtergenie befreien. Also stürmt er, Freundeswarn-
ungen verlachend, über die Liebe cines prächtjgen Natur-
kindes hinweg, lehnt eine bescheidene aber anständige
Redakteurstelle ab und eilt in die Arme einer jüdischen
Millionärstochter, deren neuester Sport es ist: Dichter zu
kreiren. Frau Rosa Vogler, geb. Silbermann, ist eine
gestrenge Herrin. Sie gibt dem Gatten Obdach und
Nahrung, reich und gut, so wie er's ersehnt, dasür aber
muß er berühmt werden, berühmt um jeden Preis. „Sie
nahm jeden Mittag sein Geschriebenes vor, wie ein
Schülerpensum, das er absolviert hatte, und das sie nach-
sehen, zensieren, korrigieren mußte. Es war eigentlich
schmählich. Was sie dabei sagte, war süeilich alles klug
und gut und beherzigenswert, aber deshalb eben be-
schämte es ihn. Von einer Frau — von seiner Frau!
Wie ein Schuljunge stand er immer vor ihr." Und sie
versteht zu korrigieren, zu schelten, dieses Mannweib, dem
schon in den Flitterwochen alles Milde und Weiche fremd
wird, das nur Energie und Spott ist. „Der Herr ar-
beitet", das ist die Parole, unter der jeder gesellige Ver-
kehr versagt wird und die den „Dichter" widerspruchslos
 
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