Kunstmarkt denken? Daß gerade die Jtaliener sich auf
diesem stark eingebürgert haben, gerade so wie die Tessi-
ner, Furlaner und Venezianer Arbeiter allsährlich in breiten
Scharen über die Alpen zu uns herüber kommen, ist sicher.
Billig sind sie auch, ich meine dem Preise nach. Und ihr
Gehalt: Jtalienische Konversation. Aber, es sind schon
auch einzelne famose Kerls dabei. Ein seltsam Vild:
Weite Schneeflächen, begrenzt durch ferne Höhenzüge und
bestanden mit kümmerlichen, knorrigen Bäumchen, in
deren Geäst sich stark drapierte Figuren gefangen haben
wie Fliegen in einem Spinnennetz — der Titel besagt, es
seien „Gestalten der Kindsmörderinnen" — zeigt den Na-
men G. Segantini. Jch traute meinen Augen kaum;
Segantini, der gewaltige Realist, dessen kaleidoskopartige
Farbenanordnung auf der Leinwand so eigenartig frap-
pierend wirkt, Segantini — Geister? Kindsmörderinnen?
Nochmals las ich den Namen und zum drittenmale, er
ist's doch. Kurios! Jch muß gestehen, der Realist Segan-
tini sagt mir entschieden besser zu.
Faßt man künstlerische Arbeiten ihrer Herkunft nach
zusammen, so wäre hier freilich noch einer zu nennen,
hinter dessen Name der Wohnort: Florenz steht. Er ist
aber weder selbst ein Jtaliener, noch hat er mit der ita-
lienischen Kunst von heute, er hat überhaupt nicht mit
Einflüssen anderer Art zu thun, vielmehr ist er aus jener
Kraft entsprungen, die einen Zeus von Otrieoli, den Moses
am Grabmale Julius'II. entstehen ließ. Es ist Arnold
Böcklin. Seine Werke zieren ebenso die Ausstellung des
Glaspalastes, wie sene der Sezession. Er selbst gehört
weder dahin noch dorthin. Solche Geister wissen nichts
von Gruppenzugehörigkeit, sie haben ihre Welt für sich, es
sind die Einsamen, die Widerspänstigen. Böcklin ist den
größten Teil seines Weges als Einsamer, als Angefein-
deter gegangen. Wenn ihm heute auch viele ihr Hosiannah
zurufen, so ist es doch immer noch sehr die Frage, ob sie
auch wirklich wissen, was dieser gewaltige Geist zu be-
deuten hat. Seine Bilder sind jetzt, wie ein trockener
Geschäftsmann sagte, die beste Kapitalsanlage, besser als
jedes Bankpapier. Das ist auch eine Art der Begeisterung
ein Stück „Kultur", von dem freilich der Schöpser so vieler
großer Dinge am wenigsten zu genießen bekommt. Wer
wird dereinst den Großen als „den Seinigen" in Anspruch
nehmen? Die Schweiz? Nichts wendet das Recht nach
dieser Seite. Deutschland? Nein, ihn können nur die
Götter sür sich beanspruchen, eine geistige Heimatsstätte
hienieden ist ihm nicht zuzuweisen, wenn ihn auch die phy-
sische Veschaffenheit, die gesunde derbe Schweizernatur
manchen Stoß aushalten ließ, unter dem weniger kraft-
volle Konstitutionen zusammengebrochen wären. Wie ge-
ring gerade manche Künstler die Bedeutung Böcklins an-
zuschlagen belieben, geht aus dem Umstande hervor, daß
gar manche von ihnen glauben, das Geheimnis seiner Art
in der Anwendung bestimmter Farbenkombinationen ent-
deckt zu haben. O ihr Armen, das Fleisch ist willig, aber
der Geist ist schwach. Wo das Zeug zum Titanenhaften
nicht den Grundstock des ganzen Wesens ausmacht, da
reichen die par geschickten Paletten-Mätzchen nicht aus zum
Beweise einer großen geistigen Beanlagung. Wenn eigen-
artige Erscheinungen in der Kunst Schule machen, dann
fällt es immer zum üblen aus, weil alles bloß auf Äußer-
lichkeiten hinausläuft, die treibende Originalkraft aber
nicht übertragbar ist. Böcklins ausgestellte Bilder zu be-
prechen, ist auf engem Raume nicht möglich, weil jedes
die Lösung eines anderen Problems bedeutet und ihre
Aehnlichkeit nur in der Größe und Vedeutung besteht,
welche den Werken solcher Künstler-Erscheinungen, wie
Böcklin eine ist, immer einen bestimmten Stempel ver-
leihen. — —
Wenig zahlreich sind dieSkandinavern vertreten, die
sich sonst in stattlicher Reihe einzufinden pflegten. Wo ist
Ankarkrona? wo Anders Zorn, wo Aucher, wo Björk, wo
sind Viggo Johannsen, Kolsto, Larsson, Munthe Niß, Eilis
Petersen, Skredsvig, Werenskiold und so viele andere?
» lsxunstltteratur.
Richard IDaguerinr Dienstesranzös is cher Maler.
Eine kritische Studie von Karl Ludwig Thieme. (Leipzig
Constantin Wilds Verlag.
Wer von deutschen Kunstfreunden z. B. das große
französische Wagnerwerk des Grafen de Chambrun gesehen
hat, der wird sich fragen: wie konnte ein so echter und
feinsinniger Kunstfreund die Bilder von Jaques Wagrez
oervielsältigen lassen? Wirken diese doch aus uns Deutsche
wie unerträglich schwächliche und süßliche, wie geradezu
alberne Karikaturen. Es muß da ein verschiedenes natio-
nales Empfinden mitsprechen, denn wenn auch ein Musik-
verständiger noch kein Verstehender der bildenden Künste
sein muß:Bilder wie die von Wagrez, der n o ch zuckerner
ist als unser lieber Thumann, würden bei uns von ern-
steren Leuten doch nur ausgelacht werden. Thieme wendet
sich mit dem vorliegenden Schriftchen sreilich größeren
Namen zu, er bespricht vor allem eingehend und mit echtem
Zorn den Parsifal zwischen den Blumenmädchen, mit dem
Rochegrosse die Welt beschenkt hat, ein Bild in der That
von einer bodenlosen inneren Unwahrhastigkeit und Un-
gesundheit, trotz all seiner „malerischen Qualitäten." Unser
Kritiker, ein genauer Kenner der sranzösischen Verhältnisse
beweist durch die Wärme und Hochachtung, womit er von
einigen Führern der Wagnerbewegung drüben spricht, daß
er wahrhaftig nichts weniger als eingenommen gegen die
Franzosen ist. Um so mehr verdient das, was er auch
von Ungünstigem über diese Bewegung sagt, die Beach-
tung ihrer allzu rückhaltlosen Bewunderer in Deutschland.
'— s.
Lprecksual.
Rochiuals iu Sachen: Lesser Ury.
Auf die Entgegnung Anton von Werners betreffs
Lesser Ury (vgl. das oorletzte Hest des Kunstwarts) habe
ich nur zu erwidern, daß ich nach nochmaliger Erkundigung
bei Ury selbst meine Worte aufrecht erhalten muß. Es
scheint ein, bei diesem langen Zeitraum nicht verwunder-
licher Gedächtnisfehler Werners vorzuliegen. Es handelte
sich nicht um die Prüsung Urr>s für die Akademie, son-
dern sür ein Meisteratelier, die ihm Werner üamals
im Sekretariat bewilligte. Alle näheren Umstände, die
die Leser des Kunstwarts wohl nicht interressieren wer-
den, die aber vielleicht Herrn Werner die Ereignisse eher
ins Gedächtnis rufen, stehen eventuell nach meinen No-
tizen gern zur Verfügung.
Mskar Bie.
29
diesem stark eingebürgert haben, gerade so wie die Tessi-
ner, Furlaner und Venezianer Arbeiter allsährlich in breiten
Scharen über die Alpen zu uns herüber kommen, ist sicher.
Billig sind sie auch, ich meine dem Preise nach. Und ihr
Gehalt: Jtalienische Konversation. Aber, es sind schon
auch einzelne famose Kerls dabei. Ein seltsam Vild:
Weite Schneeflächen, begrenzt durch ferne Höhenzüge und
bestanden mit kümmerlichen, knorrigen Bäumchen, in
deren Geäst sich stark drapierte Figuren gefangen haben
wie Fliegen in einem Spinnennetz — der Titel besagt, es
seien „Gestalten der Kindsmörderinnen" — zeigt den Na-
men G. Segantini. Jch traute meinen Augen kaum;
Segantini, der gewaltige Realist, dessen kaleidoskopartige
Farbenanordnung auf der Leinwand so eigenartig frap-
pierend wirkt, Segantini — Geister? Kindsmörderinnen?
Nochmals las ich den Namen und zum drittenmale, er
ist's doch. Kurios! Jch muß gestehen, der Realist Segan-
tini sagt mir entschieden besser zu.
Faßt man künstlerische Arbeiten ihrer Herkunft nach
zusammen, so wäre hier freilich noch einer zu nennen,
hinter dessen Name der Wohnort: Florenz steht. Er ist
aber weder selbst ein Jtaliener, noch hat er mit der ita-
lienischen Kunst von heute, er hat überhaupt nicht mit
Einflüssen anderer Art zu thun, vielmehr ist er aus jener
Kraft entsprungen, die einen Zeus von Otrieoli, den Moses
am Grabmale Julius'II. entstehen ließ. Es ist Arnold
Böcklin. Seine Werke zieren ebenso die Ausstellung des
Glaspalastes, wie sene der Sezession. Er selbst gehört
weder dahin noch dorthin. Solche Geister wissen nichts
von Gruppenzugehörigkeit, sie haben ihre Welt für sich, es
sind die Einsamen, die Widerspänstigen. Böcklin ist den
größten Teil seines Weges als Einsamer, als Angefein-
deter gegangen. Wenn ihm heute auch viele ihr Hosiannah
zurufen, so ist es doch immer noch sehr die Frage, ob sie
auch wirklich wissen, was dieser gewaltige Geist zu be-
deuten hat. Seine Bilder sind jetzt, wie ein trockener
Geschäftsmann sagte, die beste Kapitalsanlage, besser als
jedes Bankpapier. Das ist auch eine Art der Begeisterung
ein Stück „Kultur", von dem freilich der Schöpser so vieler
großer Dinge am wenigsten zu genießen bekommt. Wer
wird dereinst den Großen als „den Seinigen" in Anspruch
nehmen? Die Schweiz? Nichts wendet das Recht nach
dieser Seite. Deutschland? Nein, ihn können nur die
Götter sür sich beanspruchen, eine geistige Heimatsstätte
hienieden ist ihm nicht zuzuweisen, wenn ihn auch die phy-
sische Veschaffenheit, die gesunde derbe Schweizernatur
manchen Stoß aushalten ließ, unter dem weniger kraft-
volle Konstitutionen zusammengebrochen wären. Wie ge-
ring gerade manche Künstler die Bedeutung Böcklins an-
zuschlagen belieben, geht aus dem Umstande hervor, daß
gar manche von ihnen glauben, das Geheimnis seiner Art
in der Anwendung bestimmter Farbenkombinationen ent-
deckt zu haben. O ihr Armen, das Fleisch ist willig, aber
der Geist ist schwach. Wo das Zeug zum Titanenhaften
nicht den Grundstock des ganzen Wesens ausmacht, da
reichen die par geschickten Paletten-Mätzchen nicht aus zum
Beweise einer großen geistigen Beanlagung. Wenn eigen-
artige Erscheinungen in der Kunst Schule machen, dann
fällt es immer zum üblen aus, weil alles bloß auf Äußer-
lichkeiten hinausläuft, die treibende Originalkraft aber
nicht übertragbar ist. Böcklins ausgestellte Bilder zu be-
prechen, ist auf engem Raume nicht möglich, weil jedes
die Lösung eines anderen Problems bedeutet und ihre
Aehnlichkeit nur in der Größe und Vedeutung besteht,
welche den Werken solcher Künstler-Erscheinungen, wie
Böcklin eine ist, immer einen bestimmten Stempel ver-
leihen. — —
Wenig zahlreich sind dieSkandinavern vertreten, die
sich sonst in stattlicher Reihe einzufinden pflegten. Wo ist
Ankarkrona? wo Anders Zorn, wo Aucher, wo Björk, wo
sind Viggo Johannsen, Kolsto, Larsson, Munthe Niß, Eilis
Petersen, Skredsvig, Werenskiold und so viele andere?
» lsxunstltteratur.
Richard IDaguerinr Dienstesranzös is cher Maler.
Eine kritische Studie von Karl Ludwig Thieme. (Leipzig
Constantin Wilds Verlag.
Wer von deutschen Kunstfreunden z. B. das große
französische Wagnerwerk des Grafen de Chambrun gesehen
hat, der wird sich fragen: wie konnte ein so echter und
feinsinniger Kunstfreund die Bilder von Jaques Wagrez
oervielsältigen lassen? Wirken diese doch aus uns Deutsche
wie unerträglich schwächliche und süßliche, wie geradezu
alberne Karikaturen. Es muß da ein verschiedenes natio-
nales Empfinden mitsprechen, denn wenn auch ein Musik-
verständiger noch kein Verstehender der bildenden Künste
sein muß:Bilder wie die von Wagrez, der n o ch zuckerner
ist als unser lieber Thumann, würden bei uns von ern-
steren Leuten doch nur ausgelacht werden. Thieme wendet
sich mit dem vorliegenden Schriftchen sreilich größeren
Namen zu, er bespricht vor allem eingehend und mit echtem
Zorn den Parsifal zwischen den Blumenmädchen, mit dem
Rochegrosse die Welt beschenkt hat, ein Bild in der That
von einer bodenlosen inneren Unwahrhastigkeit und Un-
gesundheit, trotz all seiner „malerischen Qualitäten." Unser
Kritiker, ein genauer Kenner der sranzösischen Verhältnisse
beweist durch die Wärme und Hochachtung, womit er von
einigen Führern der Wagnerbewegung drüben spricht, daß
er wahrhaftig nichts weniger als eingenommen gegen die
Franzosen ist. Um so mehr verdient das, was er auch
von Ungünstigem über diese Bewegung sagt, die Beach-
tung ihrer allzu rückhaltlosen Bewunderer in Deutschland.
'— s.
Lprecksual.
Rochiuals iu Sachen: Lesser Ury.
Auf die Entgegnung Anton von Werners betreffs
Lesser Ury (vgl. das oorletzte Hest des Kunstwarts) habe
ich nur zu erwidern, daß ich nach nochmaliger Erkundigung
bei Ury selbst meine Worte aufrecht erhalten muß. Es
scheint ein, bei diesem langen Zeitraum nicht verwunder-
licher Gedächtnisfehler Werners vorzuliegen. Es handelte
sich nicht um die Prüsung Urr>s für die Akademie, son-
dern sür ein Meisteratelier, die ihm Werner üamals
im Sekretariat bewilligte. Alle näheren Umstände, die
die Leser des Kunstwarts wohl nicht interressieren wer-
den, die aber vielleicht Herrn Werner die Ereignisse eher
ins Gedächtnis rufen, stehen eventuell nach meinen No-
tizen gern zur Verfügung.
Mskar Bie.
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