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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 16
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0259

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N undscba u.

DLcbtung.

» Scbönc Literatur.

unter denDolemite n. Roinan in zwei Vänden
von Konrad Telmann. Zweite Auflage. (Dresden
nnd Leipzig, Karl Reißner.)

Es ist selten genng, daß ein deutscher Roman die
zweite Auslage erlebt; diesem Telmanns steht, wie ich
vernehme, sogar die dritte bevor. Er verdankt das zu-
nächst dem Umstand, daß er ungewöhnlich fesselnd und
spannend geschrieben ist, dann aber auch dem aus dem
Leben der katholischen Kirche erwachsenen Stosf. Wir
haben in den letzten Jahren zum ersten Mal, wie ich
glaube, nnch der Kulturkampszeit den Gegensatz zum katho-
lischen Dogma und noch mehr zur angeblichen Praxis
der katholischen Kirche wieder zur Tendenz moderner
Romane werden sehen. Voran ging, wenn ich mich nicht
tüusche, Karl Emil Franzos mit einem im vormärzlichen
Oesterreich spielenden Roman, der die Jesuitenerziehung
darstellte, ihm solgten Anton Ohorn und der Freiherr
von Wagner, deren Werke ich im vorigen Jahrgang des
Knnstwarts besprochen habe; der vierte im Bunde wäre
dann Konrad Telmann, desseir vorliegender Roman von
katholischer Seite schars angegrissen, dadurch wnhrschein-
lich aber um so mehr verbreitet worden ist. Darüber,
daß der Roman eine Tendenz haben darf, ist man sich
wohl im Ganzen einig; eine reinpoetische Form ist er
nun eimnal nicht, und zumal bei der Darstellung der
Gegenwart ist, wenn der Verfasser nicht gerade ein Genie
ist, die Tendenz kaum zu vermeiden, da die meisten
Menschen und auch die meisten Romanschreiber ihre Zeit
eben nur in ihren Tendenzen begreisen. Es hieße also
dem modernen Romane einfach das Genick brechen, wenn
man die absolute Tendenzlosigkeit, die ganz reine Dar-
stellung von ihm forderte; das hieße in der Literatur die
alleinige Daseinsberechtigung des Genies und vielleicht
noch der ihm in der Wirkung nahekommenden größten
Talente proklamieren, und das geht schon aus dem Grunde
nicht an, weil diese nicht zu jeder Zeit da sind. Soll
eine Literatur die notwcndige Beziehung zu Zeit und
Leben nicht verlieren, so müssen wir auch die einseitigen
Geister gelten lassen und hossen, daß sie sich gegenseitig
ergünzen. Man könnte sich also die Entrüstung gegen den
Tendenzroman ersparen; über dem jetzt mit Vorliebe ge-
pslegten Sensationsroman steht er immer noch. Nun
darf aber sreilich die Tendenz nicht in dem Grade von
dem Roman Besitz ergreisen, daß seine Gestalten weiter
nichts als Figuranten sind, denen der Versasser seine
Reden in den Mund legt. Wir haben ja, namentlich zur
Zeit des jungen Deutschlands, diesen Roman auch gehabt
und zur Zeit des jüngsten ist er bisweilen wieder ausge-
lebt — der Wert eines Romans hängt aber einzig und
allein von der Darstellung, der in ihm erreichten Lebens-
wahrheit und Lebensfülle ab, und nur, je nachdem die
Tendenz die Energie der Darstellung erhöht oder vermin-
dert, kommt sie sür die ästhetische Beurteilung in Be-
tracht, wohin sie zielt, ist für diese gleichgiltig. Telmann
nun, der im Ganzen zu den Dichtern alten Stils gehört,

des künstlerisch Legabten Mönches Benediktus, der eine
protestantische Grüfin zum Katholizismus bekehren soll
und zu dem Zwecke in einem einsamen Bergdorf am Fuß
der Dolomiten leben muß, nicht ohne Geschick gegeben.
Ob die Voraussetzungen, daß die Kirche z. B. nrit der er-
wachenden irdischen Liebe der Bekehrenden rechnet, richtig
sind, das weiß ich sreilich nicht. Geben wir sie aber
z u, dann ist alles solgerecht entwickelt, und man kann
schon Anteil an der allmählichen Besreiung des Mönchs
nehmen. Schwächer als der Held sind die Nebenfiguren,
die Gräsin Mutter z. B. ist eine echte Romansigur,
Filomena das romantische Bergmädchen, das wir aus
manchen Romanen kennen, das aber schwerlich jemals ge-
lebt hat. Rein theatralisch ist das Gericht des Sohnes,
des Mönchs, über seine Mutter, die Gräsin: Wend-
ungen wie:

„Langsam, widerwillig drehte er sich zurück. „Was
wollen Sie, Gräfin Karditsch?"

„Jnnocenz!" schrie sie jammernd noch einmal. „Geh
so nicht von mir — so nicht!"

machten dem schönsten Hintertreppenroman alle Ehre. Aber
die Schilderung der großen Flut, die dann solgt und den
Roman schließt, ist ohne Zweifel großartig, wie überhaupt
die Naturschilderung, die hier immer im Bezug zum
Menschenleben steht, durchweg sehr gelungen ist. So kann
man den Roman trotz seiner Efsekte zum Schluß und mit
den Veschränkungen, die sich aus seiner Tendenz ergeben,
als Unterhaltungslektüre empfehlen, ja, man wird ihm
sogar eine gewisse Zeitbcdeutung zugestehen müssen.

A d c> l f B a r t e l s.

Tkeater.

* Micbtigere Zchüuspiclauttübrungcn.

Dresdener Bericht.

Seit meinem letzten Berichte hat sich aus den Dresdener
Bühnen Bemerkenswertes nicht ereignet, man müßte
denn das letzte sogenannte Abschiedsgastspiel Friedrich
Haases als künstlerisches Ereignis betrachten wollen.
Die Zeiten, in denen Friedrich Haase als Künstler ernst
genommen wurde, waren schon vorbei, als er sich ent-
schloß, seine große Abschiedsrundreise durch Deutschland
zu unternehmen. Denn schon in dem letzten Jahrzehnt
seiner gewohnheitsmäßigen Wanderfahrten war seine Kunst
verknöchert, seine Biegsamkeit erstarrt, Fähigkeit und
Neigung neue Schößlinge zu treiben, war verschwunden.

^ Wohin Haase kam, da begrüßte ihn das satale: „er ist
^ immer noch der Alte", und daß jemand gesagt hätte, er
^ sei neu, dessen können wir uns nicht entsinnen. Es waren
nicht nur Rollen derselben Manier, die er brachte, wie
sich etwa andere Künstler von Zeit zu Zeit solche in neuen
Stücken suchen, sondern mit verschwindenden Ausnahmen
immer dieselben Rollen in denselben unvermeidlichen
Stücken, vom alten Klingsberg bis zum Königslieutenant,
vom Rocheferrier bis zum Bonjour, Paraderollen, die so
fest saßen, daß man wetten konnte, der Künstler hätte auf
ein Stichivort hin sie mitten aus dem Schlase heraus so
spielen können, wie er sie vor dem Schlasengehen zu spie-
! len pflegte. Wer einigermaßen Gedächtnis hatte, konnte

doch aber gelegentlich die starken stofflichen Wirkungen der
Modernen nicht verschmäht, hat die Entwicklungsgeschichte

während des Spieles die Augen schließen und so m der

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