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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 23
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0378

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abends die Kuppel des Hauptportals iur Widerschein un-
zähliger Glühlichter und Bogenlampen erstrahlt, ivenn
tausend mal tausend Flämmchen den Teich und die Wege
des Parkes umsäumen, menn die grotze Fontaine vor dem
Hauptportal ihre sarbig beleuchteten Strahlen zu einer
steigenden und fallenden Krone wölbt und oben von

höchster Kuppelwölbung der Scheinwerfer in langsamer !
Drehung und Senkung sein farbiges Licht versendet: dann
quillt auch wieder eine Schönheit auf, die eindringlich zu
Herzen geht und noch lange, nachdem die Ausstellungs-
hallen auf immer sich werden geschlossen haben, im Ge-
düchtnis fortleben wird. L r n st A r e o w s k i.

Sprecksllal.

In Sachen li 1 erarischer L r z i e h u n g.

Adolf Bnrtels hat im zwanzigsten Hefte des laufen-
den Jahrganges einige Anweisungen für eine erziehende
Mutter gegeben, die bei mir den lebhaftesten Widerspruch
hervorgerufen haben. Jch bin Schulmeister, bitte aber,
mich als solchen nicht von vornherein verdächtigen und
eben — der Schulmeisterei überführen zu wollen. Der
Dame, die mich nach dem Dichter gefragt hätte, den sie
ihrem neunjührigen Knaben in die Hand geben sollte,
hätte ich weder Körner, noch Schiller, noch sonst einen
empsohlen. Jch hütte ihr, wenn es im Herbst gewesen ist,
zunächst geraten, einmal einen Drachen zu bauen und den
mit ihm steigen zu lassen, und zu einer anderen Jahres-
zeit etwas Entsprechendes. Ein Junge, der mit neun
Jahren absonderliche Lesegelüste hat, muß die durch Ein-
brüche in den väterlichen oder mütterlichen Bücherschrank
befriedigen, und wenn Gott ihn behütet und er keine üblen
Neigungen mitbekommen hat, darf er alles lesen, was da
aufbewahrt ist. Der Anweisungen von einem Literaten,
sei es auch nur indirekt, bedarf er zu seinen Konquista-
dorenabenteuern nicht.

Wenn das Glück gut ist, findet er da die Lebensbeschreib-
ungen des Plutarch, und wenn seine Mutter leise nach-
helsend eingreisen will, kause sie, wenn sie nicht vorhanden
sind, schnell die bei Reclam billig zu habende Kaltwasser-
sche Uebersetzung und stelle sie an sindbarer Stelle auf,
daß der Einbrecher danach greifen muß. Noch fast in
jeder Lebensbeschreibung eines nicht modernen bedeuten-
den Mannes habe ich gefunden, daß Plutarch unauslösch-
lichen Eindruck auf ihn in seinen Knabenjahren gemacht
hat. Jst daher der Lesehunger so groß, so findet unser
jugendlicher Freund hier Futter zunächst genug, wohl-
schmeckendes und bekömmliches. Plutarch ist ja zwar kein
Dichter, und nach einem Dichter hatte ja zunüchst die
Dame gefragt; aber Herr Adolf Bartels hat im Verlaus
seines Aufsatzes selbst die Bedingung überschritten und
Prosaschriften mit auf das Programm gesetzt.

Soll aber zunächst wirklich an der Dichtung sestge-
halten werden, so scheint es mir durchaus unzweckmäßig
zu sein, nun gleich einen ganzen Dichter zu verordnen,
und am ungeeignetsten Theodor Körner als Vorbereitung
auf Schiller. Ein richtigerer Weg würde es wohl sein,
wenn man dem stosfhungrigen Jungen erst einmal eine
Sammlung, nicht gerade die, die ihm in der Schule vor-
gelegt wird und die deshalb wohl in den meisten Fällen
nur eines minderen Ansehens bei ihm sich erfreut, in die
Hünde gibt, also etwa die Auswahl von Echtermeper,
Wackernagels oder Wolffs poetischen tzausschatz oder Scherrs
Bildersaal. Herz, was begehrst du mehr! Da mag der
Junge selbst die gewiß für den Erwachsenen schwierige
Auswahl treffen und diesen davor bewahren, zweifelhafte
Urteile über die Dichter und ihren Zündewert für jugend-
liche Herzen zu fällen. Am besten ist es, der Knabe liest
die Dichtungen, die er als die schönsten ausgesondert hat,

seiner Mutter vor. Wir durften als Kinder an gewissen
Abenden abwechselnd je ein Gedicht vorlesen, und es ver-
steht sich, daß jedes beflissen war, ein recht langes auszu-
suchen, am liebsten Salas y Gomez oder dergleichen, um
recht ausdauernd am Worte zu bleiben. Unpassendes wird
dem Jungen ja so wie so in solch einer Sammlung nicht
vorkommen, aber durch Mitteilung wird doch ein srischer
Lufthauch der dämmernden Seele zugeführt, ohne daß die
Dichtung des Ahnungsreichen, des Perspektivischen dadurch
entkleidet würde.

Mir kommt es so vor, als sei in dem Entwurf zu
einer literarischen Erziehung durchgehends alles ein wenig
vorweggenommen. Es müssen schon sehr sensitive und
reife Knaben sein, die nach dem dort aufgestellten Stufen-
gange genießen lernen sollen, vielleicht zu sensitiv und
frühreif, eine Voraussetzung oder eine Folge des Lehr-
ganges, die nicht wünschenswert ist. Zwar kann ein früh
gelegter Keim lange schlummern, ohne seine Keimfähigkeit
zu verlieren; wenn sonst Alles in Ordnung ist, kommt er
seiner Zeit heraus und zeugt von der weithinwirkenden
Kraft srüher Jugendeindrücke. Aber es ist doch auch
natürlich, daß allzufrüh vorweggenommene Äenüsse die
Empfänglichkeit im allgemeinen mindern und einfachere
Gaben vorzeitig entwertet werden. Regeln lassen sich
schwer ausstellen, die besondere Anlage des Kindes, der
ganze Zuschnitt in Kinderstube und Haus und andre Um-
stände werden da entscheidend mitsprechen. Mancher Junge
liest in frühen Jahren die schlimmsten Bücher, die auf dem
Jndex aller Eltern stehen müßten, in Menge und ohne
Schaden, alle Bände des Pitaval und sensationelle Bücher,
die das Dienstmädchen verstohlen liest; ein anderer ver-
dirbt sich vielleicht an vorzeitiger Bekanntschaft mit er-
lauchten Dichtern den Geschmack und die Aufnahmefähigkeit
sür alle Zeiten.

Eine literarische Erziehung will von Fall zu Fall
geregelt werden; die Schule quält sich schon lange an der
Aufstellung eines einwandsreien und lückenlosen Kanons
ab. Eltern und Privaterzieher haben es besser. Wenn
ihnen sonst reiche Kenntnis und ein gesunder Geschmack
nicht sehlen, werden sie ihren Kindern oder Pflegebe-
fohlenen schon zur rechten Zeit das Rechte in die Hand
geben. Eigene Erinnerung, und wo diese versagt, die
Selbstbiographie bedeutender Männer, werden nützliche
Fingerzeige geben. Jm allgemeinen möchte ich sagen:
nicht zu früh mit der Dichtung im engeren Sinne an-
sangen! Den poetischen Rohstoff, wenn ich mich so aus-
drücken soll, geben Märchen, Mrsthen und Sagen und die
Geschichte in reichster Fülle und erfüllen die ahnende
Seele mit dynamisch wirkendem Jnhalt, wührend der
dichterisch, wie z. B. von Musäus oder Wieland schon zu-
gerichtete Stoff der unbedenklichen Kinderseele zunächst
wohl zwar nicht schaden wird, in den Uebergangsjahren
aber leicht gefährlich werden könnte.

Jch würde den Plan der Lektüre überhaupt nicht, wie
 
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