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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 1
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Avenarius, Ferdinand: Unsere Sache
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0015

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Lrstes Gktoberbekt tSS5.

l. Dekt.


Derausgeber:

zferdlnand Rvenarius.

Vierteljährlich 2'/s Mark.

9. Zadrg.

Mnsere Saeke.

/^^^^rei Jahre ist's her, daß wir zum letzten
Male versuchten, die wichtigsten Erschei-
nur'.gen im Kuustleben unseres Volks mrt
einigen krästigen Linien zu umschreiben. Drei Jahre
sind eine kurze Frist, wo sich's um Entwicklungen
handelt. Wir wollen heut wieder einmal unsern Ge-
danken nach all dem Scharmützeln zum Sammeln
blasen. Aber nicht von den Bewegungen der Heere
wollen wir diesmal reden, die auch in den Reihen
der Kunst als Freund oder Feind zu einander stehen,
sondern von uns selbst, will sagen: von den Auf-
gaben, die sich ein Blatt, wie der Kunstwart,
setzen soll.

Wie das beste Denken einer Zeit Ausdruck findet
in ihrer Wissenschaft, so ihr Fühlen und inneres
Schauen in ihrer Kunst. Aus dem größten Meister-
werke der Poesie wie aus dem schlichtesten Gesäße
des Kunsthandwerks, so fern es nur dem persönlichen
Empfinden des Gestalters Bewegungssreiheit gelassen
hat, spricht in lauter Rede oder in seinem Hauch ein
Odem aus den geheimen Tiesen unseres Fühlens.
Und wie an der Wissenschast das Denken, so bildet
an der Kunst die Phantasie und das Empfinden sich
weiter; sie wachsen daran, wie an der Wissenschast
das Denken, oer Sonne zu, ihre Nahrung freilich
dem gemeinsamen Boden allen Lebens enthebend,
der Natur.

Ein Kunstblatt, das hoch von seinen Lesern und
sich selber denkt, wird keine geringere Auffassung von

Kunst pslegen dürfen. Wer einmal dazu gekommen
ist, alle Künste als den einen „großen Organis-
mus" anzusehen, „dessen blutbewegendes Herz das
Empfinden der Zeit ist", der erst lebt ganz mit seinen
Zeitgenossen mit. Er hört es, wie in den Kunst-
werken all die neuen Bewegungen ausklingen, welche
die Volksseele erschüttern. Aber er hört daraus auch,
wie sich mit ihnen als sester Grundton mischt was
von Urzeit her ties eingeboren ist in der Menschen-
natur, und nur als unsicheres Summen was von Aller-
neuestem daneben zur Geltung kommen möchte und
doch nur angeslogener Abhall von anderswoher ist.
Daß oft gerade das Bedeutsamste im Geschaffenen dem
Schaffenden selber unbewußt blieb, erhöht nur den
Wert der Sprache, die hier tönt. Und wir verlieren
es nicht aus dem Sinne, im Teile des Ganzen zu
genießen, wie innig wir uns auch der Lebenssülle im
Kleinsten, der Reize des Jntimen ersreuen mögen.

So darf ein Kunstblatt unserer Art kein Förderer
des Spezialistentums sein, das aus dem runden All
der Gotteswelt ein Segmentlein ausschneidet, es
allein zu mustern, nun aber freilich durchs Fernrohr.
Nicht, daß wir solchem „Kennertum" seine Lebens-
berechtigung bestritten, wir sagen nur: zu uns gehört's
nicht her; nicht Kunstforscher suchen wir ja zu
Lesern, sondern Kunstfreunde, Kunstgenießende, die
mit Aug und Ohr nicht aus nur einem Brünn-
lein sich laben wollen, Kunstsreunde, die, sür das
Schöne und Bezeichnende in seinen mannigsaltigsten
 
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