Lrstes Maibett I6S6.
über
DichlMg. Tlimtci . Mstt >mi> l>ili>c»l>c Aünstc.
l'" ->l f Srscheint,
Derausgeber:
zferdinand Nvenarius.
Bezugspreis: - ^ .
vierteljährlich 2-/e Mark. Q
Anzcigen: 3gesp. Nonx.-Zeile^O pf. * ^
Tageskritik über bildende Ikunst.
s mag schon viele, viele Jahre her sein, da
slellte ein Abonnent an seine Zeituitg die
Frage, warmn sie denn nur über die The-
aterauffnhrungen und die Konzerte bcrichte, nicht auch
über Bilder. Die öffentlichen Ausstellungen, die sich
ja seit der Mitte des Jahrhunderts so vermehrten,
scien doch des allgemeinen Jnteresses ivürdig. Der
kluge Redakteur mag die Bedeutung dieser Anregung
schnell bcgriffen haben. Er überlegte, daß die Aus-
stellungen thatsächlich eine Form des ltunstangebotes
ivären, dic der Gegenwart und der Zukunst eigen-
tümlich sei, und daß durch die Oeffentlichkeit, welche
die Zeitung sortsetze, das Publikum ivirksamer sür
diese Einrichtung interessirt werden könne. So ent-
stand die lausende Kunstkritik.
Heute ist sie zu großer Herrschast gediehen, ivenn
^ es auch immer noch bedeutende hauptstädtische Zeit-
ungen gibt, in denen sie eine Aschenbrödelrolle spielt.
Sie ist, obivohl von so mächtigem Einsluß, doch so
voller Probleme, daß es nicht überslüssig scheint, sie
einmal unter den drei Hauptsragen zu betrachten:
wer soll sie schreibend wie soll sie geschrieben sein?
an wen ivendet sie sich?
Wer soll sie schreiben? Hieraus gibt es zwei
mögliche Antworten: einer, der selbst vom Bau ist,
oder einer, der es gerade nicht ist. Es liegt nahe,
hier die Vergleiche mit anderen Künsten heranzuziehen. !
Wir haben literarische Kritiker und Musikkritiker, welche ^
^-
selbst Dichter und Musiker sind. Sobald sie ihr Amt
unter allgemeiner Anerkennung verwalten, wird man
finden, daß sie in der Musik selbst nichts Durchgreisendes
geleistet haben, während sich in der Dichtkunst eher
ein bedeuteudes Schaffen mit einem gerechten Kriti-
sieren vereinigt. Die Dichtung ist ein so weites Ge-
biet, ist so sehr in der ganzen Breite des wirklichen
Lebens ausgedehnt, daß sich hier Natnrelle verstehen
können, ohne sich irgendwie zu berühren. Sobasd dic
Künste technischer werden, also sobald ivir ins Ge-
biet der Musik, Malerei, Plastik eintreten, wird die
Subjektivität in der Beurteilung stärker. Denn dann
ist das eigentlichc Schaffensgebiet enger, das beackerte
Feld ist kleiner und alle Größe rnht in der Stärke
der betreffenden Empsindung. Hier stoßen sich die
Naturelle eher, und es wird eher möglich, daß ein
Schaffender bei der Beurteilung eines andern Schaffen-
den durch scin Temperament gestört wird. Gleichzeitig
erfordern aber diese Künste ein bedeutendes technisches
Wissen, und, wer sich dieses nicht angeeignet hat, wird
in der Kritik nicht mitreden dürsen. So entsteht
folgendes Dilemma: dieselben Künste, welche in der
Kritik eine gewisse Summe technischer Ersahrung voraus-
setzen müssen, schließen den besten Techniker, den Künstler
selbst, wieder von der Kritik aus, da seine Subjektivität
gefährlich wird.
Jch will dies zunächst mit einigen Beispielen
belegen. Die Berliner Organe, welche ich genauer
225
über
DichlMg. Tlimtci . Mstt >mi> l>ili>c»l>c Aünstc.
l'" ->l f Srscheint,
Derausgeber:
zferdinand Nvenarius.
Bezugspreis: - ^ .
vierteljährlich 2-/e Mark. Q
Anzcigen: 3gesp. Nonx.-Zeile^O pf. * ^
Tageskritik über bildende Ikunst.
s mag schon viele, viele Jahre her sein, da
slellte ein Abonnent an seine Zeituitg die
Frage, warmn sie denn nur über die The-
aterauffnhrungen und die Konzerte bcrichte, nicht auch
über Bilder. Die öffentlichen Ausstellungen, die sich
ja seit der Mitte des Jahrhunderts so vermehrten,
scien doch des allgemeinen Jnteresses ivürdig. Der
kluge Redakteur mag die Bedeutung dieser Anregung
schnell bcgriffen haben. Er überlegte, daß die Aus-
stellungen thatsächlich eine Form des ltunstangebotes
ivären, dic der Gegenwart und der Zukunst eigen-
tümlich sei, und daß durch die Oeffentlichkeit, welche
die Zeitung sortsetze, das Publikum ivirksamer sür
diese Einrichtung interessirt werden könne. So ent-
stand die lausende Kunstkritik.
Heute ist sie zu großer Herrschast gediehen, ivenn
^ es auch immer noch bedeutende hauptstädtische Zeit-
ungen gibt, in denen sie eine Aschenbrödelrolle spielt.
Sie ist, obivohl von so mächtigem Einsluß, doch so
voller Probleme, daß es nicht überslüssig scheint, sie
einmal unter den drei Hauptsragen zu betrachten:
wer soll sie schreibend wie soll sie geschrieben sein?
an wen ivendet sie sich?
Wer soll sie schreiben? Hieraus gibt es zwei
mögliche Antworten: einer, der selbst vom Bau ist,
oder einer, der es gerade nicht ist. Es liegt nahe,
hier die Vergleiche mit anderen Künsten heranzuziehen. !
Wir haben literarische Kritiker und Musikkritiker, welche ^
^-
selbst Dichter und Musiker sind. Sobald sie ihr Amt
unter allgemeiner Anerkennung verwalten, wird man
finden, daß sie in der Musik selbst nichts Durchgreisendes
geleistet haben, während sich in der Dichtkunst eher
ein bedeuteudes Schaffen mit einem gerechten Kriti-
sieren vereinigt. Die Dichtung ist ein so weites Ge-
biet, ist so sehr in der ganzen Breite des wirklichen
Lebens ausgedehnt, daß sich hier Natnrelle verstehen
können, ohne sich irgendwie zu berühren. Sobasd dic
Künste technischer werden, also sobald ivir ins Ge-
biet der Musik, Malerei, Plastik eintreten, wird die
Subjektivität in der Beurteilung stärker. Denn dann
ist das eigentlichc Schaffensgebiet enger, das beackerte
Feld ist kleiner und alle Größe rnht in der Stärke
der betreffenden Empsindung. Hier stoßen sich die
Naturelle eher, und es wird eher möglich, daß ein
Schaffender bei der Beurteilung eines andern Schaffen-
den durch scin Temperament gestört wird. Gleichzeitig
erfordern aber diese Künste ein bedeutendes technisches
Wissen, und, wer sich dieses nicht angeeignet hat, wird
in der Kritik nicht mitreden dürsen. So entsteht
folgendes Dilemma: dieselben Künste, welche in der
Kritik eine gewisse Summe technischer Ersahrung voraus-
setzen müssen, schließen den besten Techniker, den Künstler
selbst, wieder von der Kritik aus, da seine Subjektivität
gefährlich wird.
Jch will dies zunächst mit einigen Beispielen
belegen. Die Berliner Organe, welche ich genauer
225