blickt, lehrt ein einsacher Vergleich zwischen Marlowe
und Shakespeare, Lenz und Goethe, Klinger und
Schiller. Wie alle Dichter erhült auch der große
die gesamten stilbildenden Elemente seines Volkes und
seilwr Zeit überliesert, er steht, zumal während seiner
Entwicklung, unter dem Einsluß des nationalen und
des Zeitstils, sa, sogar der Manieren, die aus diesem
erwachsen, der Moden; aber er weiß das ihm sremd-
artige zu überwinden, das unnatürliche auszuscheiden,
das im Keim vorhandene zu entwickeln, und giebt
endlich so viel Eigenes hinzu, daß etwas ganz Neues,
eben sein Stil entsteht, der sich auch wohl schon in
den Jugendwerken des Dichters zeigt und durch alle
seine Entwicklungen mit hindurchgeht, wenn er auch
in den verschiedenen Lebensaltern etwas modisiziert
erscheint. Shakespeare hat einmal aus Marlowes
Stufe gestanden, hat sogar die Manier des Euphuis-
mus mitgemacht, aber doch ist er früh zu einem eigenen
Stile gelangt und hat ihn immer gewaltiger ent-
wickelt, so gewaltig, daß seine talentvollsten Mitbe-
werber jetzt stillos neben ihm erscheinen. Goethe hat
zuerst im sranzösischen Genre geschrieben, dann shake-
spearisiert und antikisiert — immer ist er Goethe,
selbst wo er Unbedeutendes schreibt. Es ist freilich
nicht leicht, das Charnkteristische eines persönlichen
Stils klar darzulegen, Persönlichkeiten gehen nicht aus
Formeln, aber stark empsinden kann es seder, der
Empfindung sür Poesie hat, und mit einiger Mühe
kommt man doch auch bei der Erklärung des zu Er-
klärenden über die Phrase hinaus. Jm übrigen sind
es, wie gesagt, nicht bloß die großen Dichter, die
ihren eigenen Stil haben, alle echten Dichter haben
ihn, und es ist gerade das Kennzeichen einer echten
Begabung, ob ein eigener Stil entwickelt oder nur
der Zeitstil, die Stile gleichzeitiger und srüherer be-
deutender Dichter wiedergegeben sind. Wir haben in
allen Literaturen kleinere Talente mit eigenem Stil,
oder, was dasselbe sagt, eigenem Ton. Häufiger
sind allerdings die Talente, die ganz im Zeitstil
untergehen, in angeschlagenen Tönen weiterdichten
oder höchstens neue Mischungen (echte Variationen
sind sogar erlaubt) versuchen. Es giebt virtuose Be-
herrscher des Zeitstils, große, gewissermaßen mecha-
nische Talente mit seinen Nasen für das Zeitgemäße,
und es kann wohl einmal vorkommen, daß man ge-
rade sie sür die Dichter der Zeit erkärt; lange srei-
lich pslegt ihr Ersolg nicht vorzuhalten. Ein persön-
licher Stil veraltet nicht, er zwingt eben stets wieder
in den Bann der Persönlichkeit; ein Zeitstil aber ver-
altet, und so ist denn sür die Nachwelt die Ent-
scheidung über den Wert eines Dichters nicht allzu-
schwer, obwohl es, nebenbei bemerkt, noch nicht die
erste nachlebende Generation zu sein pslegt, die defi-
nitiv ein llrteil sällt, da diese immer unter dem Ein-
sluß der Reaktion aus den betreffenden Zeitstil steht.
Schwerer ist es sür die Zeitgenossen zu urteilen, da,
wie erwähnt, jeder Zeit ihr Stil vortrefflich erscheint
und auch im bestimmten Fall das Allgemeingut vom
besondern nicht so leicht abzuziehen ist. Doch
haben wir glücklichen Kinder des neunzehnten
Jahrhunderts wenigstens eine Menge von Analogien,
die wir aus die Gegenwart anwenden können, und
dann giebt es eben eine Empfindung sür eigenen
Stil, die sreilich im Theaterpublikum und selbst in
der Presse nicht immer zu Worte kommt. Machen
kann man selbstverständlich einen Stil nicht, weder
einen nationalen, noch den Zeitstil, noch endlich einen
persönlichen, er muß der unbewußte Ausfluß des
Volkstums, der Zeit, der dichterischen Persönlichkeit
sein, kurz, man hat i h n. Wie der Mensch sich
selbst nie auskennt und nicht alle seine Muskeln will-
kürlich beeinslussen oder bewegen kann, so kommt er
auch nicht völlig über seinen Stil ins Klare und lernt
ihn nie wie eine Maschine handhaben — oder wo
dies der Fall ist, da lohnt sich's nicht; was man
Stilisieren nennt, das ist sehr ost Künsteln, das
Anbringen von Manieren. Aber sreilich kann man
aus seinen Stil achten, kann im Hinblicke auf ewige
Muster lnur nicht in Nachahmung solcher) den großeir
Stil, durch gründliches Ausreifenlassen seiner Werke
einheitlicherr Stil, durch unermüdliche Sorgsalt im
Einzelnen einen reinen Stil erstreben. Am günstig-
sten beeinslußt der Dichter aber seinen Stil wie seine
Kunst überhaupt durch unermüdliche Arbeit an sich
selber, durch wahrhaste Kunstbegeisterung und strengen
Kunsternst. Von dem Dichter, der in diesem Sinne
strebend sich bemüht, wird man dann auch sagen
können, nicht bloß: „der Stil ist der Mensch", son-
dern auch „der Stil ist der Mann".
Ndolt Martels.
ll n d scl) 3 ll.
Dicdtung.
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den oder Lieserungen. (Leipzig, C. F. Amelangs Ver-
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Wir begrüßen diese Lieferungsausgabe von Martin
Greifs Werken mit den allerbesten Wünschen und der auf-
richtigsten Empfehlung. Möge fie etwas, möge sie viel
dazu beitragen, das Lebenswerk eines unserer edelsten
Dichter seinem Volke bekannt zu machen, denn noch ist
es ihm lange nicht bekannt genug. Blättert man nur