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jedem Gang durch die Straßen und bei jedem Durch-
blättern der Familienjournale, bei denen mit der Ent-
micklung dcs goldenen Herzens für die lieben Lesererinen
nur die Entwicklung des Annoncenrvesens Schritt hält,
sprudelt uns ja ein Quell sür dieses Becken entgegen. Jetzt
macht sogar die Leipziger „Jllustrierte" im Text für den
Diaphanien-Schund Reklame, der volle Seiten zu seinen
Jnseraten pachtet. Begnügen wir uns für heute, zwei
kleine Blüten aus einer weitverbreiteten Familienzeitschrist
zu pflücken, die sonst durch gute und gut illustrierte Artikel
über bildende Kunst eine ernstere Redaktionsführung erweist,
als die meisten ihrer Kolleginnen. Jn der Rubrik „Allerlei
Zimmerschmuck" finden wir dort das Folgende, das wir
ohne jede weitere Bemerkung genau so abdrucken, wie es
dasteht:
Champagnerpsropfen als Photo-
graphiehalter. Einem ganz gewohnlichen Cham-
pagnerpfropfen gibt man zur Aufnahme eines Bildes
zwei sich kreuzende Querschnitte, und überpinselt ihn
sauber mit flüssiger Silber- oder Goldbronze.
Ilm eine öde wirkende Zimmerecke zu
dekorieren, überspannt man sie mit einem aus
Golddraht geflochtenen Spinnennetz, welches man an
kleinen Ösen mit Goldknopfnägeln an der Wand be-
festigt. Man spannt zunächst in ungleichen Zwischen-
räumen den Golddraht, nach der Größe der zu füllenden
Zimmerecke, strahlenförmig auf eine Holz- oder starke
Pappunterlage, und durchzieht hierauf das Spinnen-
webengerippe mit den querlausenden Spinnenfäden,
wobei man den Golddraht zweimal um die Längs-
faden des Netzes schlägt und dann mit einer Draht-
zange abknipst. Schließlich löst man das auf diese
Weise entstandene Spinnennetz behutsam von der
Unterlage ab, nagelt es an die Wand und belebt es
mit einer Spinne, die man in jeder Blumenfabrik zu
kaufen bekommt.
Lose
Der Degasus
Von Ad
c§en Traum des dummen Teufels will ich singen,
Den schönen Traum vom deutschen Berg Parnaß,
Und ein'ge Bosheit gleich zu Markte bringen;
Denn sreilich ärgert einen dies und das.
Was hatt ich doch von allem meinem Ringen
Nach Dichterehre? Qual ohn Unterlaß,
Jndeß Talente, die nur zu verachten,
Die allerglänzendsten Geschäste machten.
Da muß man denn allmählich wohl verbittern
Und wird dabei auch neidisch, boshaft, schlecht.
„Ha, jene Schlauen sollen vor mir zittern,
Die Ruhin und Gold einheimsen als ihr Recht,
Da den Erfolg mit seiner Nas' sie wittern
Und jeder gern des Bildungspöbels Knecht."
Nur leider stellt man die auch leicht zu ihnen,
Die ehrlich sich den Lorbeerkranz verdienen.
Gerecht sein, Gott, wer kann's in diesen Zeiten,
Wo jeder nur sich selbst für etwas hält,
Wo Cliquen wütend gegen Cliquen streiten,
Und jeder Stammtisch seine eig'ne Welt?
Jch scheue nicht, mir Feindschaft zu bereiten,
Und hab manch hartes Urteil kühn gefällt,
Doch ob ich alles Gute auch erhoben,
Das weiß ich nicht. Es ist nicht leicht zu loben.
Der dumme Teusel, der so manche Stunde
Mit Manuskriptelesen zugebracht,
Daß er die kommenden Genies erkunde,
Sah unsre jetz'gen all in einer Nacht.
Jhm träumt', er ständ in einem weitem Runde
Auf stattlicher Tribüne, die bedacht
Und reich beslaggt, und glaubte zu erkennen,
Es handle sich hier um ein Pferderennen.
Wlätter.
u Doppegarten.*
lf Bartels.
Viel Publikum war da, so Herrn wie Damen,
Die letztern selbstoerständlich reichgeschmückt.
Reporter wie auch Zeitungszeichner nahmen
Die Toiletten auf, und hochbeglückt
War jede, zu der sie skizzierend kamen —
Die Gatten waren minder schon entzückt.
Das war ein Mustern, Schnattern, Skandalieren,
Doch Niemand wußte, was da sollt' passieren.
Vor aller Blicken lag ein prächtger Rasen,
Die Sonne schien, der Himmel strahlte blau.
Da ivard ein rauschendes Signal geblasen,
Und sieh, ein einzig Roß kam auf die Au.
Dem sprühten Flammen aus der stolzen Nasen,
Ein glänzend Flügelpaar trug es zur Schau,
Doch ob es schwarz, ob weiß, ob braun, das weiß ich
Wahrhastig nicht, ob ich geforscht gleich fleißig.
„Der Pegasus zu Hoppegarten" könnte
Man diesen Sang benennen, das ist klar.
Jeder, dem Gott das Roß zu schaun vergönnte,
Der sagt', es sei noch immer wunderbar,
Und daß es mancher Dichter gar nicht künnte,
Der sich zu reiten brüste immerdar.
Mag sein! Wer seinen Pegasus im Munde
Allezeit führt, ist meist ein sauler Kunde.
Nun sprang das Roß gar sröhlich auf und nieder
Und schien voll Feuer und doch sanft und zahm,
Als harr' in Demut es des Gotts der Lieder;
Zwar dieser nicht, ein Herold aber kam.
Trompetenklang hallt' an der Brüstung wieder,
Worauf der Mann zum Reden Stellung nahm:
Deutlich erscholl es in dem weiten Runde:
„Erschienen ift der Tag und da die Stunde!
*) Aus einem noch ungedruckten komischen Epos: „Der dummeTeufel" oder „Die Geniesuche".
Wir bringen diesen „Gefang" mit guter Absicht gerade jetzt zur Vorweihnachtszeit: er soll eine Art von „Weihnachtsschan" sein.
Leser nämlich, die etwas auf unser Urteil geben, werden üaraus auch ersehen, wclchen Büchern ungesähr wir das Wort reden würden,
wenn wir die deutsche Dichtung der Gegenwart auf Weinachtseinkäufe hin gründlich durchmustern könnten. Denn wenn wir auch bei eini-
gen Leuten, z.B. bei Greif und den talentvollsten unter den Jüngeren, dem Pegasus noch etwas mehr zum guten zugeredet hätten, als
unser Mitarbeiter, so treten doch die einzelnen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und uns wett zurück hinter dem, was uns ver-
einigt. Uw.-L.
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jedem Gang durch die Straßen und bei jedem Durch-
blättern der Familienjournale, bei denen mit der Ent-
micklung dcs goldenen Herzens für die lieben Lesererinen
nur die Entwicklung des Annoncenrvesens Schritt hält,
sprudelt uns ja ein Quell sür dieses Becken entgegen. Jetzt
macht sogar die Leipziger „Jllustrierte" im Text für den
Diaphanien-Schund Reklame, der volle Seiten zu seinen
Jnseraten pachtet. Begnügen wir uns für heute, zwei
kleine Blüten aus einer weitverbreiteten Familienzeitschrist
zu pflücken, die sonst durch gute und gut illustrierte Artikel
über bildende Kunst eine ernstere Redaktionsführung erweist,
als die meisten ihrer Kolleginnen. Jn der Rubrik „Allerlei
Zimmerschmuck" finden wir dort das Folgende, das wir
ohne jede weitere Bemerkung genau so abdrucken, wie es
dasteht:
Champagnerpsropfen als Photo-
graphiehalter. Einem ganz gewohnlichen Cham-
pagnerpfropfen gibt man zur Aufnahme eines Bildes
zwei sich kreuzende Querschnitte, und überpinselt ihn
sauber mit flüssiger Silber- oder Goldbronze.
Ilm eine öde wirkende Zimmerecke zu
dekorieren, überspannt man sie mit einem aus
Golddraht geflochtenen Spinnennetz, welches man an
kleinen Ösen mit Goldknopfnägeln an der Wand be-
festigt. Man spannt zunächst in ungleichen Zwischen-
räumen den Golddraht, nach der Größe der zu füllenden
Zimmerecke, strahlenförmig auf eine Holz- oder starke
Pappunterlage, und durchzieht hierauf das Spinnen-
webengerippe mit den querlausenden Spinnenfäden,
wobei man den Golddraht zweimal um die Längs-
faden des Netzes schlägt und dann mit einer Draht-
zange abknipst. Schließlich löst man das auf diese
Weise entstandene Spinnennetz behutsam von der
Unterlage ab, nagelt es an die Wand und belebt es
mit einer Spinne, die man in jeder Blumenfabrik zu
kaufen bekommt.
Lose
Der Degasus
Von Ad
c§en Traum des dummen Teufels will ich singen,
Den schönen Traum vom deutschen Berg Parnaß,
Und ein'ge Bosheit gleich zu Markte bringen;
Denn sreilich ärgert einen dies und das.
Was hatt ich doch von allem meinem Ringen
Nach Dichterehre? Qual ohn Unterlaß,
Jndeß Talente, die nur zu verachten,
Die allerglänzendsten Geschäste machten.
Da muß man denn allmählich wohl verbittern
Und wird dabei auch neidisch, boshaft, schlecht.
„Ha, jene Schlauen sollen vor mir zittern,
Die Ruhin und Gold einheimsen als ihr Recht,
Da den Erfolg mit seiner Nas' sie wittern
Und jeder gern des Bildungspöbels Knecht."
Nur leider stellt man die auch leicht zu ihnen,
Die ehrlich sich den Lorbeerkranz verdienen.
Gerecht sein, Gott, wer kann's in diesen Zeiten,
Wo jeder nur sich selbst für etwas hält,
Wo Cliquen wütend gegen Cliquen streiten,
Und jeder Stammtisch seine eig'ne Welt?
Jch scheue nicht, mir Feindschaft zu bereiten,
Und hab manch hartes Urteil kühn gefällt,
Doch ob ich alles Gute auch erhoben,
Das weiß ich nicht. Es ist nicht leicht zu loben.
Der dumme Teusel, der so manche Stunde
Mit Manuskriptelesen zugebracht,
Daß er die kommenden Genies erkunde,
Sah unsre jetz'gen all in einer Nacht.
Jhm träumt', er ständ in einem weitem Runde
Auf stattlicher Tribüne, die bedacht
Und reich beslaggt, und glaubte zu erkennen,
Es handle sich hier um ein Pferderennen.
Wlätter.
u Doppegarten.*
lf Bartels.
Viel Publikum war da, so Herrn wie Damen,
Die letztern selbstoerständlich reichgeschmückt.
Reporter wie auch Zeitungszeichner nahmen
Die Toiletten auf, und hochbeglückt
War jede, zu der sie skizzierend kamen —
Die Gatten waren minder schon entzückt.
Das war ein Mustern, Schnattern, Skandalieren,
Doch Niemand wußte, was da sollt' passieren.
Vor aller Blicken lag ein prächtger Rasen,
Die Sonne schien, der Himmel strahlte blau.
Da ivard ein rauschendes Signal geblasen,
Und sieh, ein einzig Roß kam auf die Au.
Dem sprühten Flammen aus der stolzen Nasen,
Ein glänzend Flügelpaar trug es zur Schau,
Doch ob es schwarz, ob weiß, ob braun, das weiß ich
Wahrhastig nicht, ob ich geforscht gleich fleißig.
„Der Pegasus zu Hoppegarten" könnte
Man diesen Sang benennen, das ist klar.
Jeder, dem Gott das Roß zu schaun vergönnte,
Der sagt', es sei noch immer wunderbar,
Und daß es mancher Dichter gar nicht künnte,
Der sich zu reiten brüste immerdar.
Mag sein! Wer seinen Pegasus im Munde
Allezeit führt, ist meist ein sauler Kunde.
Nun sprang das Roß gar sröhlich auf und nieder
Und schien voll Feuer und doch sanft und zahm,
Als harr' in Demut es des Gotts der Lieder;
Zwar dieser nicht, ein Herold aber kam.
Trompetenklang hallt' an der Brüstung wieder,
Worauf der Mann zum Reden Stellung nahm:
Deutlich erscholl es in dem weiten Runde:
„Erschienen ift der Tag und da die Stunde!
*) Aus einem noch ungedruckten komischen Epos: „Der dummeTeufel" oder „Die Geniesuche".
Wir bringen diesen „Gefang" mit guter Absicht gerade jetzt zur Vorweihnachtszeit: er soll eine Art von „Weihnachtsschan" sein.
Leser nämlich, die etwas auf unser Urteil geben, werden üaraus auch ersehen, wclchen Büchern ungesähr wir das Wort reden würden,
wenn wir die deutsche Dichtung der Gegenwart auf Weinachtseinkäufe hin gründlich durchmustern könnten. Denn wenn wir auch bei eini-
gen Leuten, z.B. bei Greif und den talentvollsten unter den Jüngeren, dem Pegasus noch etwas mehr zum guten zugeredet hätten, als
unser Mitarbeiter, so treten doch die einzelnen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und uns wett zurück hinter dem, was uns ver-
einigt. Uw.-L.
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