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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 16
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0260

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Ermnerung sehen, mas auf der Bühne vor ihm geschah,
so sehr war jede Geste, jeder Griff nach dem Monocle,
jedes Mienenspiel sestgebannt in heiliger Tradition. Haase
selbst pflegte zu erzählen, er lese während eines Gast-
spiels keinerlei Rezensionen, um sich nicht in der Anlage
seines Spieles stören zu lassen, erst später lese er alles,
was über ihn geschrieben worden, um danach, das Gute
nehmend, ivoher es komme, diese oder jene Linie zu retou-
chieren. Daran mag Wahres sein, so viel als will, das
eine steht fest, daß der Apparat einer Rolle unbeweglich
blieb. Kein Schrüubchen wurde geändert, kein Rüdchen
verstellt, und das Ganze schnurrte ab wie ein Uhrwerk, es
arbeitete ruhig und sicher, es täuschte vielleicht in hohem
Grade bis zur Jllusion des Lebendigen, aber es blieb
halt eine Maschine. Haases Kunst hatte mit den Jahren
etwas von diesem Maschinenhaften bekommen, sie täuschte
wohl eine Zeit, aber dann sah man die Rädchen und
Federn und verlor den Geschmack an der Sache. Ob das
immer so war, wir wissen es nicht, aber wie es wurde,
das können wir uns denken und das ist das Lehrreiche bei
der Geschichte. ÜLbrilL ciocet: man spielt eine Rolle, die man
auf das Tüpfelchen ausgearbeitet hat, einige Dutzende von
Malen, man geht mit ihr auf Reisen, besreit sich vom
Drucke der Regie, man ist stets nur allein auf den Bret-
tern, womöglich den ganzen Abend auf der Szene,
und die Menge, die üas nur ein Mal sieht, bricht in Bei-
sall aus. Zieht es in Deutschland damit nicht mehr, so
geht man ins Auslnnd, zu den kunstverständigen Dollar-
königen, man verbreitet das Gerücht, man werde daheim
nicht mehr auftreten, kommt dann, halb vergessen, wieder
tritt wieder auf, geht wieder nach Amerika u. s. f. mit
Grazie in Münltum. Das Lebentötende dabei ist die Ver-
einzelung, das sich Loslösen vom Enseinble, die Freiheit,
stets nur Rollen zu wählen, die einem auf den Leib ge-
schrieben sind. Das ist der Anfang der Verknöcherung,
die schließlich zur absoluten Sterilität führt. llber Ko-
meten schreiben die Blütter in einer Woche mehr als über
Fixsterne in einem Zahre. So entsteht der Ruhm, der
schließlich zur Weihrauchswolke wird, aus der der Blick
des Berüucherten selbst nicht mehr hinausdringt. Es ist
für Haase ungemein charakteristisch, daß er als einer der
ersten aus der Genossenschast des Deutschen Theaters in
Berlin austrat und daß er, wie L'Arronge erzählt,
während seiner Mitgliedschaft den einzigen Antrag stellte,
daß die Namen der Sozietäre aus dem Theater-
zettel sett gedruckt werden müßten. Jn diesem „Fett-
drucken" spiegelt sich die ganze Nichtigkeit des Virtuosen-
tums, das sich immer an erster Stelle sehen will. So
kommt es, daß die Wehmut, die bei dem Scheiden eines
großen Künstlers von der Bühne wohl am Platze scheint,
im Falle Haase von einem Gefühle der Genugthuung ver-
drängt wird. Es ging kein Leben mehr von dieser Kunst
aus, es war nur der Reiz der guten Konservierung, der
noch wirkte. Und das ist zu bedauern, denn an guten Gaben,
an einem gewissen vornehmen Geschmack sehlte es Haase
nicht, seine Erscheinung aus der Bühne wird in vielen
Rollen unvergessen bleiben, sein Fleiß, seine Sorgfalt ist
stets und mit Recht anerkannt worden. Aber in der Ein-
samkeit des Virtuosentums war die ' Seele seiner Kunst
uon Jahr zu Jahr kleiner geworden, es blieb nur noch
das glänzende Gewand übrig, die Mache, die, so vor-
trefflich sie auch sein mag, das Herz nicht ausfüllt und
die nur die Form, nicht das Wesen der Kunst, Menschen
darzustellen, bildet. Leouh. Lier.

LDusik.

* Micbiigcrc /IldusiknuMbrungcn.

Berliuer Bericht.

Die sacht ablaufende Berliner Musikspielzeit 1395/90
hinterläßt im Allgemeinen einen ähnlichen Eindruck, wie
die Theaterspielzeit. Es ist außer Straußens genialem
„Till Eulenspiegel" nicht viel herausgekommen. Über die
Opernzustände habe ich Jhnen neulich ein Jammerlied
gcsungen. Die Operette ist eigentlich noch jammerbarer
gewesen, den größten Erfolg hatte ein kleines Vorstadt-
theater mit einer 200 mal gegebenen, geschickt zurecht-
gemachten sranzüsischen Operette „Die kleinen Lämmer"
doch soll man hier noch nicht abschließend urteilen, da
soeben Meister Strauß herkommt, seinen „Waldmeister" den
Berlinern zum Mai zu bescheeren. Die Konzerte waren
bis ins sünste Hundert gestiegen. Sie setzen sich zu-
sammen aus jenen zum größten Teil unübertrefflichen
Ünternehmungen, den Zrstlen von Weingartner, Nikisch,
Joachim, Halir und dem böhmischen Streichquartett, aus
einigen schönen, aber nicht immer glänzend besuchten
Solistenabenden und aus jener Unmenge von Erstlings-
versuchen, die aus demEhrgeiz junger Künstler entstehen,
sich Berliner Besprechungen zu holen. Für die Kritiker
sind diese Konzerte, die sich bis zu vier an einem Abend
häusen, eine Qual, sür die Konzertgeber meistens eine
Enttüuschung, und so hat man mit Recht den Vorschlag
gemacht, die Kritik möchte einmütig in ungünstigen Fällen
über solche Veranstaltungen schweigen. Dann würde der
Zweck derjenigen, die nach dem Berliner Ruhm jagten,
vereitelt, wenn sie nicht wirklich etwas Außergewöhnliches
bieten könnten, und so würde mit der Zeit eine seinere
Auslese eintreten. Damit wäre der Ansang gemacht zu
einer wirtschastlich besseren Gestaltung dieser unseligen
Verhältnisse.

Was die aufgesührten Werke anbetrifft, so habe ich
schon einmal hervorgehoben, daß auch in dieser Beziehung
ein allzugroßes Manchestertum herrscht, welches eine
ordentliche fruchtbare Verteilung alter und neuer Kompo-
sitionen unmöglich macht. Jch sprach von den vielfachen
„Doubletten" in den großen.Orchesterkonzerten, und wenn
man nun am Schluß der Spielzeit nachrechnet, daß bei
Weingartner und Nikisch nur neun Neuheiten, darunter
nur zwei deutsche ausgeführt wurden, so sieht man
die Folgen. Man hat mit Recht hinzugefügt, daß ein
großer Teil des versügbaren Raumes durch gewisse, aus
dem Theater gerissene Ouvertüren und Zwischenspiele, und
andrerseits durch Musikstücke, die mehr der Eitelkeit des
Dirigenten dienen, weggenommen würde. Was sich hin-
sichtlich der Orchesterkonzerte beobachten läßt, bestätigen
auch die Solistenkonzerte. Auch hier legt sich die verfüg- i
bare Kraft immer mehr auf die gleichen, bis zur Ermü-
dung wiederholten Darbietungen. Die Pianisten spielten
wie aus Verabredung sast alle Beethovens B^-clnr, Tschai-
kowskis B-rnoll, Liszts Bs-cllir-Konzert, die Violinisten
Bruchs O-moll-, Wieniawskis I)-inoll-Konzert und die
Konzerte von Mendelssohn und Brahms. Man atmet
aus, wenn einmal ein Solist etwas aparten Geschmack
zeigt; hier ist die Konvention wahrlich noch nicht über-
wunden.

Zum Schlusse erwähne ich noch einige Werke, die nran
in den letzten Konzerten des Winters kennen lernen konnte.
Gustav Mahler, dessen O-moll-Spmphonie ich hier
bereits besprach, brachte in einem eigenen Konzerte nun
 
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