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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 12
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0201

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1 Eindrücke als keimende Kunstwerke niederschlagen. Man
hat das entstellt, nnd die Menge denkt sich folgendes dar-
nnter: daß der Impressionist nnr den Moment einer Be-
obachtnng, der ihn malerisch gereizt, wiedergeben wollte.
Das könnte aber am Ende die farbige Momentphoto-
graphie am besten. — Jeder moderne Künstler ist mehr
oder minder Jmpressionist: er will die Stimmungsmo-
mente, die er beim Anblick der Natur empfnnden, sarbig
wiedergeben. Die Verwendung der Photographie läßt
von Tag zu Tag nach, und ich wüßte verschwindend
wenig seine Künstler, die sie zu ihren Bildern benützen.
Denn zum ersten sagt nns beim Malen, wo es nnr anf
den Toneindruck ankommt, die sarblose Photographie rein
gar nichts, und ist erst die sarbige da, so wird die sub-
jektive Farbenempsindung noch allein von Wert sein.
Und auch rein zeichnerisch ist sie nicht von Belang: die
Ansführung, die die scharfe Photographie zeigt, hat das
Kunstiverk nicht nötig, sie isl nnr sür Laien da; nnd die
große Zeichnnng wird der Künstler stets nnr vollkommen

! vor der Natur und ans sich heraus geben können. Je
! mehr sich die Wissenschaft der vollkommensten mechanischen
Reprodnktion nühert, desto weiter mnß sich die Knirst von
dem gleichen Ziel entfernen. Mit anderen Worten: von
dem Tag an, wo die farbige Momentphotographie ihren
Höhepunkt erreicht, ist der Kunst nicht der Garaus gemacht,
sondern sie ersteht, von ihren letzten Schlacken befreit, in
neucm Glanze; mit ihr wird nicht dem Naturstndium,
sondern der Bestrebung, die nnr im obsektiven Nachbilden
der Natur ihr Endziel sieht, ein Ende gemacht, unr der
individuellsten Kunst das Feld zu räumen."

Schultze-Naumburg sagt zum Schlusse noch „einiges
über den Malerbeeuf". Wir wollen daranf nnr verwei-
sen, wie denn überhaupt unsere Anführnngen vor allem
den Zweck haben, dns Lesen der ziemlich umfangreichen
Arbeit zu empfehlen. llnd empfehlen können wir dies
allerbesten Gewissens, ob wir gleich bei einigen Einzel-
heiten nicht gnnz mit dem Verfasser gehen.

Lprecksaal.

In Sachen von Nax 6

So unvollkommen Max Hnlbes „Lebenswende", die
„Komödie", als Ganzes betrachtet sein mag, so scheint
es mir doch geboten, das Stück noch einmal und zwar
in seiner Eigenschaft als Buchdrama zu besprechen,
da es als solches natürlich von einem wesentlich an-
dern Gesichtspunkte betrachtet werden und mithin auch
einen wesentlich andern Eindruck machen muß, denn als
Vühnenwerk. Jch finde nämlich, daß eine ganz eigen-
tümlich gestaltende Dichterseele in dem Drama steckt, die
nur ihre Flügel nicht recht zn entfalten vermag, weil sich
der Verfasser mit allerhand unnötigen Dingen beladet nnd
beengt. Dringen wir durch die Wirrnis von den mancher-
lei unerfreulichen Sachen, die das Werk umschleiern, hin-
dnrch, so stoßen wir anf einen Kerrll von ffesterem Ge-
halt, der zugleich von einer schönen Durchsichtigkeit ist.
Dieser Kern enthält in meinen Augen die eigentliche Hand-
lung des Stückes. Der Techniker Weyland hat eine Er-
findung gemacht, von der er sich gewaltige Umwälzungen
auf seinem Arbeitsgebiete verspricht. Doch braucht er
Geld, viel Geld, um seine Erfindung zur Geltung bringen
zu können, und woher dies Geld nehmen? Da tritt er in
den Lebenskreis von Olga Hensel, einem Mädchen, das
das Leben schon von mancher Seite kennen gelernt hat.
Olga beginnt ihn zu lieben. Sie will das Geld für ihn
beschaffen, und da sie es nicht selber besitzt, geht sie bei
andern für ihn bitten. Als ihr alles mißlingt, will sie
sich knrz entschlossen einem alten Gennßmenschen als Gnttin
opfern, damit dieser dann Weyland helfe. Weyland aber
erschrickt, nachdem er von der Sache erfahren, über das
Unheil, das so leicht um seinetwillen hätte geschehen
können, und sieht es nun klar vor sich: ebenso sehr, wie
er alle seine Krüfte in den Dienst der Sache gestellt hat,
mnß er's schon um der Reinheit dieser von ihm hochge-
haltenen Sache willen zurückweisen, daß sich ein andres
dafür opfere; und somit ist er denn entschlossen, von nun
an seinen Weg allein und nur auf seine eigene Kraft ge-
stellt zu ziehen.

Jn dieser kurzen Schildernng ist nichts, was in dem
Stücke selber nicht enthalten oder doch wenigstens ange-
deutet wäre; es ist im Gegenteil noch sehr vieles dabei

lbes „Lebenswend e".

weggelassen; nnd doch liegt darin, das wird man inir ge-
wiß zugeben, der vollständige Jnhalt eines echten und
rechten Dramas. Freilich eines schlichten Dramas, das
den ungekünstelten Konflikt einfacher Seelenregungen aus
eine ebenso ungekünstelte, ruhig-feine Weise löst; aber
welchem tiefer Fühlenden entginge wohl, daß in dem
Empfinden, welches bei allem heißen Streben jedes unrechte
Opfer für seine Sache mit einem gewissen Erschrecken zu-
rückweist, eine natürliche Reinheit liegt, die die Seele des >
Betreffenden adelt, nnd ihr mit diesem selbstverständ-
lichen, phrasenlosen Verzicht auf die liebsten Wünsche
zugleich etwas von dem Glanz einer stillen Größe ver-
leiht? Und wie hätte die Ausführung des Dramas in
dieser von Nebenabsichten unübersponnenen Gestalt mit
den darin dargestellten Charakteren zusammengestimmt!
Dem Techniker Weyland ist seine Erfindnng nämlich nicht
umsonst zugefallen. Sie hat ihn seine Jdeale gekostet,
d. h. er hat seinen heißen Wunsch, Künstler zn sein, drein-
geben müssen. Weiter hat er auf alle Genüsse und
Freuden, ja auf die Geselligkeit des Lebens, auf die
Liebe selber hat er verzichtet, um ganz seinen Plünen
zu leben. Das Hauptmoment dabei aber ist, auf welche
Weise der Mann das gethan hat. Erstens einmal
vertieft er sich nun nicht voll Selbstliebe in Bewun-
derung seiner Entsagungsgröße, sondern bleibt ein natür-
licher Mensch. Drum hat er die Welt, von der er sich
abgewandt, nicht etwa verachtungsvoll oder kalt hinter
sich liegen lassen, sondern er hat sich nur so weit von ihr
abgewandt, als es sein Zweck unbedingt verlangte, im
übrigen aber ihr ein anteilnehmendes, freundlich offenes
Gemüt bewahrt. Welche das Herz erwärmende Liebens-
würdigkeit liegt z. B. darin, daß dieser ernste, einsame,
entsagende Mensch dem komisch verzweifelten Kauderwülsch
seines unbrauchbaren Schulkameraden eine gütige Auf-
merksamkeit zu schenken vermag, mit feinem Ohr die Kind-
lichkeit einer konfusen Seele aus all' dem Wust heraushört
und schließlich in gutmütigem Ueberschanen der Dinge den
alten Unglücksmenschen zu fröhlichem Trinken nnd Anstoßen
hinüberlenkt. Andrerseits, wie fest und phrasenlos bewährt
sich seine klarblickende Männlichkeit, als seinem durchaus

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