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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 17
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Avenarius, Ferdinand: Bildliche Ankündigungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0271

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Lrstes Zunibekt lSSö.

l7. Dekt.


Derausgeber:

Ferdinand Avenarius. Anzeig°"7g-?p Äon^.Z^opf.

s. Aabrg.

Wildliebe Nnkündigungeit.

ange Jahrzehnte hat man in Deutschland
die Kunst gepslegt, wie Frau Piepenbrink
ihre gute Stube: als ein Heiligtum, das
vor alltäglicher Benutzung sorgsam zu hüten und von
den übrigen Zimmern wohl abgeschlossen zu halten
sei; nur zu hohen Feierlichkeiten, als dem Geburts-
tags-, Kaffeekranz- oder Scheuerseste öffnete sich's
dem ehrsurchtsvollen Tritte. Man hatte eine merk-
würdige Zweiteilung des Empsindens: was man jen-
seits der Guten-Stuben-Thür ats Bedürsnis empfand,
das kam einem diesseits nicht in den Sinn; hier
konnte alles getrost so nüchtern und kalt sein wie es
wollte, erst in der guten Stube „Kunst" erwachte ja
plötzlich der Wunsch nach „Schönheit". Mit lebens-
sremden Gestaltnngen malte sich die Nation die Wnnde
ihrer guten Stube aus, Schemen hausten darin am
hellen Tage, Gespenster von Gestalten, die einst in
Hellas und Jtalien lebendig gewandelt. Es gab
wohl Leute, die aus diese Art von Ehrung der Kullst
gern verzichtet hätten, die sie aus einem ungemüt-
lichen Feierraum mitten in die Wohnräume des
Lebens einführen und dort einheimen wollten. Aber
nur einer von ihnen, Ludwig Richter, hatte wirklich
große Ersolge, auch er jedoch viel mehr Bewunderer,
als Jünger, die seine gezeichnete Lehre von einem
Herauswachsen der Kunst aus dem Leben in all ihren
Folgen verstehen konnten.

Es ist einer der verheißungsvollsten Fortschritte

in der Entwicklung des Kunstsinns, daß allmählich
untergraben wird, was ich im Anschluß an unsern
Vergleich die Gute - Stuben - Auffassung von Kunst
nennen möchte. Wie bei den feinsinnigeren Haus-
frauen die gute Stube, die höchst bezeichnender Weise
auch „Putz-Stube" genannt ward, aller Orten in
Mißkredit kommt, so wird bei immer mehr Menschen
das Bewußtsein lebendig, daß der wirkliche Kunstgeist
sozusagen im Blute liege, als welches nicht in einem
besonderen Kämmerlein des Herzens verwahrt werden
könne, sondern durch alle ströme und von ihnen durch
den ganzen Körper, so groß und weitverzweigt er sei.
Kunst putzt nicht, sie gestaltet.

Durch das Bemühen kluger Männer wird seit
Jahren in Deutschland eines nach dem andern von
allerhand Gebieten in den Vordergrund der Ausmerk-
samkeit gerückt, von Gebieten der Bethätigung des
Kunstsinns, die man lange Zeit im deutschen Volke kaum
noch als solche betrachtet hatte. Die Ausnahme, die
derlei Anregungen finden, ist für die Neuheit der
Sache bezeichnend: man steht ihnen vorläusig noch
selten innerlich srei gegenüber, man beurteilt sie noch
selten aus der Fülle eines Kunstsinns heraus, der sich
stundstündlich im Leben bethätigt und also gewohnt
ist, auch die Erscheinungen des Alltags ganz selbstver-
ständlich mit seinem Maße zu messen. Die Gegner
der neuen Kunst müssen diese Bestrebungen halb und
halb als Allotria betrachten, schweigen aber zumeist

über

DiGung. Tlicnicr. Rustl uni> ßildcuiic Nünstc.



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