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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 19
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Avenarius, Ferdinand: Jugend
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0306

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beachtet sein will. Da nämlich die stärkste Empsäng-
lichkeit lim Jünglingsalter) nicht mit der höchsten
Kraft der Persönlichkeit und der größten Stärke der
Urteilskraft (im Mannesalter) zeitlich zusammenfällt,
so thut die Empsänglichkeit des Jünglings des Guten
so leicht zu viel, wie die des Älteren zu wenig. Wo
das eigene junge Jch nicht besonders stark ist, da gerät
es also gar leicht nnter die Suggestion des stärkeren
Fremden, dessen Vorzüge es seuriger zu würdigen,
dessen Fehler aber es nicht so kühl zu durchschauen
vermag, wie die ruhigere Kritik des Älteren. Und
während er im Schlepptan schwimmt, kann der Jnnge
bei seinem starken Krastgefühl hoch und heilig glauben,
er teile die Wellen mit eigenen Armen. Jn den
Zeitschristen des „neuen Geschlechts" wimmelt es von
Beispielen sür solches Nachschwimmen: da sranzöselt,
engländert und japanelt, da pleinairistelt, präraffae-
listelt und mystelt, da böcklint, thomat und klingert es.
So heißt es sür die Älteren vorsichtig sein und zwi-
schen Geschaffenem und Nachgeschaffenem,zwischen Selb-
ständigem und sich nur selbständig Geberdendem recht
sorgsältig zu unterscheiden, wenn die Krastmenge er-
kannt werden soll, die den jungen Persönlichkeiten inne-
wohnt. Was sie selber in dieser Beziehung glauben,
kann uns ja wenig helsen. Wirktich, die neue Kunst
hat überraschend viel Kukukseier im Nest, sie macht
neben den gesunden Vögeln Manieren über Manieren
flügge. Man dars uns nicht einreden wollen, das
gäbe lauter Prinzen von Genieland. Der Glaube
an neue Genies ist ohnehin in den letzten Jahren
etwas stark in Anspruch genommen worden; man könnte
ihm mal Ferien gönnen, damit er sich wieder erhole.

Blättere ich die neuen Zeitschristen durch, so
stimmt mich also vor vielen der Neuesten das be-
denklich, daß sie schon so sehr viel nach der oder jener
Richtung hin „stilisieren." Sie sind ja doch lange
nicht alt genug, um einen Stil aus dem Eigenen
heraus schon entwickelt zu haben. Dem Genie srei-
lich schadet es nichts, wenn es wirklich einmal eine
Weile unter Suggestion stehen sollte; sür lange ists
niemals, es wirst den Plunder ab, wie seine Schwin-

gen wachsen. Aber die Genies gedeihen niemals
dutzendweise. Und sür die Knnst ist alle auf Nach-
ahmung verwendete Krast verschwendet, wenn die
Nachahmung nicht ein Nachbilden der Natur ist, wie
sie der Künstler mit dem äußeren oder inneren, aber
mit dem eigenen Auge sieht.

Jch kann mich nun kurz fassen. Auch ich be-
grüße in den Zeitschristen, die sich ausgesprochener-
maßen zu Repräsentanten der Künstlerjugend machen,
hochwillkommene Ergänzungen unserer konservativeren
Kunstblätter. Aber ich verspreche mir das Beste sür
unsere Zukunft nicht von all den effektmachenden
Nouveautö-Jmporteuren, sondern von den Stilleren
im Lande, die ich in ihrer Werdezeit inbrünstig mit
der Natur ringen sehe: „ ich lasse dich nicht, du seg-
netest mich denn". Wie sie ihr heißes Bemühen
nur in die Welt versenken, die sie irgendwie um
sich oder in sich ersahre n haben, erlebt haben,
so werden sie auch am ehesten als das Abbild der
eigenen Seele die Seele der Natur sinden. Es
sind die Leute, die nicht posen. Hat ihnen der Himmel
eine überragend starke Eigenpersönlichkeit versagt, so
werden sie doch niemals schauspielern, wo sichs um
wirkliches Leben handelt. Glimmt aber der göttliche
Funke in ihnen, so wird er sicherer zur krästigen
Dauerslamme werden, wenn er in braver Arbeit
genährt wird mit tüchtigem Brennstoff, als wenn der
Blasebalg mehr thun soll^ als das Holz.

Jmmerhin, auch wo diese Blätter der Jugend
bedeutende neue Gedanken oder große Persönlichkeiten
nur in Nachhall oder Abglanz vermitteln, können
wir Älteren aus ihnen lernen. Was die Jugend
sreudig empsangen hat, ist unserer Teilnahme an .und
sür sich schon wert. Dann werden wir eben zu unter-
scheiden haben, ehe wir der Einsührung des Neuen
ins große Getriebe auch unsere Kräste widmen. Der
Jugend das Sammeln, dem Mannesalter das Sichten.
Und uns allen gemeinsam der Kampf gegen Alles,
was unter irgend welcher Fahne uns wehren will,
zu sagen und zu vertreten, was zu sagen und zu
vertreten unser Gewissen uns ausruft. N.

1K u ti d scb a u.

DLcdtung.

Hcböne Literatur.

Gedichte von Otto E r n st. Zweite durchge-
sehene Auflage. Mit dem Bilde des Dichters. (Hamburg,
Konrad Kloß. Z Mk.)

Es sind die ersten Gedichte von Otto Ernst, die da
in zweiter Auflage vorliegen, die Gedichte des Ringenden
und Werdenden. Das Ringen und Kämpfen bleibt ja

kaum einem von uns erspart, aber Otto Ernst, der be-
kanntlich Hamburger Volksschullehrer ift, ist es vielleicht
viel fchwerer geworden als uns anderen. Darauf
deuten gewisse grollende und anklagende Töne dieser Ge-
dichte deutlich hin; der Dichter versank jedoch nicht in
Groll und Pesfimismus, er hatte eine mitsühlende Seele,
ein Weib zur Seite, und neben jenen Tönen erklingt
denn in dieser Sammlung in immer neuer Variation der
 
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