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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 21
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Avenarius, Ferdinand: Die Furcht vor der Farbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0335

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Lrstes Augustbckt 1996.

21. Dett.

Lrsch eint

am Anfang und in der Mitte

Dcrausgebcr:

Ferdtnand Nvenarius.

Bezugspreis:
Bierteljährlich 2P2 Mark.

9. Zadrg.


Die Furekt vor der Fnrbe

uch in dem Vorort von Dresden. in dem
ich wohne, wurden die Straßenbahnen
elektrisch gemacht; rechts und links erheben
sich nun die mächtigen Eisenrohrpfähle, den Drähten
Halt zu schafsen. Da gab's eines Tags einen über-
aus munteren Anblick: sie waren alle mit Mennige
bestrichen, und nun lachte das sreundliche Rot über
und zwischen dem Grün der Gartenbüsche und Wipsel-
kronen, spielte dann srisch aus den Mauern der
Häuser herum, grüßte mit hellen Tupsen noch ganz
von serne die Straße her. Ach, ich wußte ja schon,
das war „natürlich nur gegen den Rost". Zwei
Tage daraus sand ich alles „eisensarben" ; ein sinsteres
und mißtöniges Grauschwarz hatte all die Augenlust
tot gemacht. Aber die Streicher musterten besriedigt ihr
! Werk, es war nun sertig und konnte so bleiben. Jch
will nicht sagen, daß man die Psähle ganz rot hätte
lassen sollen, das hätte des Guten doch wohl aus die
Dauer zu viel gebracht. Aber sie sind nicht bloße
Röhren, sie sind mit Wulsten und Kugelspitze ausge-
stattet — warum ließ man nicht wenigstens das
obere Fünstel oder Sechstel rot und gab dem untern
statt des öden Schmiertons etwa ein dunkles Blau
oder Grün? Man hätte dadurch im Straßenbilde
eine wunderhübsche Betonung der „elektrischen Linie"
bekommen. Warum also that man's nicht? Je
nun, es zeigte sich hier wieder einmal die Angst
vor der Farbe, eine der tragikomischesten Erschein-

ungen unsrer öfsentlichen und privaten „Schönheits-
pslege'ü

Was sür ein Wunderding ist die Farbe! Jch
will heute kein hohes Lied anstimmen auf das zer-
legte Sonnenlicht, das jegliches Stück der sreien Welt
mit einem Festgewande umhüllt, so schön allüberall,
daß einmal dafür erschlossene Augen mit ihren Blicken
! wie in leisem, seligem Ransche durch die Gotteswelt
schweisen. Jch will nüchtern bleiben und nur von
den Farben sprechen, die beim Händler in Tuben
oder Pulvern höchst irdisch zu kausen sind. Jch sage
dennoch: was sür ein Wunderding ist die Farbe!
Eine besonders schöne Form zu gestalten, ist ost
eine schwierige, zeitraubende und kostbare Sache, aber
sür ein paar Groschen Farbstoss genügt, auch das
schlicht Gesormte den Blicken lieblich zu machen.

! Mein Zaun, mein Brunnen, meine Wand, mein
Rahmen gesallen mir nicht —- ein Billiges, und ich
kann aus dem Jnhalt der bescheidenen Düten und
der wohlbeleibten Firnisslasche den Zaubersast brauen,
der Behagen und Stimmung über das ehedem Lang-
weilige ausströmen läßt. Es ist gar keine Bedingung
dabei, als die kleine, daß ich verstehen muß, wie
man's macht.

Jst das nun gar so schrecklich schwer? Sehen
wir denen zu, die noch mit einsachen oder gar keinen
Kleidern sern Europens übertünchter Höslichkeit durch
die Wälder streisen, blicken wir aus die Naturvölker,
 
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