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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 24
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Avenarius, Ferdinand: Ambrosianische Lehren
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0387

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Groschen geben, auf daß er sie auf seinen Karren
steigen lasse, — oder auch, wie wenn Sie mißbräuch-
lich die Eintrittskarte eines anderen benutzen. Es
ist doch nicht das gedruckte Papier, was wir mit
einem Gedichtbuch erwerben, sondern der Genuß der
Dichtung, den dieses gedruckte Papier uns oermittelt.
Wers nicht anders kann, — lieber Gott, mag
er literarischer Zaungast bleiben, wer's aber anders
könnte, den sollte sein Ehrgefühl, sein Stolz
davon abhalten, sich, höslich ausgedrückt, von einem
Poeten was schenken zu lassen. Zumal, da er in
der sehr überwiegenden Mehrzahl der Fälle davon
überzeugt sein kann, daß er durch seine Schäbigkeit
nicht nur den Poeten, sondern auch die Poesie schüdigt.
Denn in einer wirklichen ernsten Dichtung steckt so
viel Arbeit auch und Zeit, daß selbst ein guter
Absatz nur eine bescheidene Entgeltung bedeutet. Die
echten Poeten sammeln keine Reichtümer, und ich spreche
nicht dafür, daß sie welche sammetn sollen; der
Künstler sindet seinen Lohn ja in anderen Dingen
als die Leute vom hohen Trapez oder vom hohen G.
Jch meine nur, ein Volk wie das unsere müßte auch
ihm die Möglichkeit geben können, in ungehetzter
Arbeit sein Talent zu vertiesen und schafsend zu be-
thätigen - nicht um des Poeten, nein, um der
geistigen Güter unseres Volkes willen. Ehe nicht
das Würdelose der jetzigen Leih- und Schnorr-Gebräuche
allgemeiner empsunden wird, kommen wir aber so
weit nicht, daß auch hier dem Arbeiter entgilt, wer

seiner Arbeit genießt, und daß er so weitere gute
Arbeit möglich macht. Wir wundern uns, wenn wir
mit jedem Jahrzehnl Talente verslachen sehen, deren
erste Werke so Tüchtiges hoffen ließen — ein jeder
kennt ja die Namen, aus die ich deute. Dann heißt's:
sie schreiben sür die Masse, sie machen den Pegasus
zum Droschkengaul, der vermiethet wird. Ach, echt
künstlerische Arbeit ist so schön, daß man mit Wonne
bei ihr geblieben würe, statt mit innerem Ekel schreibend
der Lesegier zu srohnen. Aber die Poeten und
Weib und Kind müssen leben, und da man ihre Arbeit
nimmt ohne sie zu bezahlen, so werden Tagelöhner,
die Künstler geworden wären, wenn man ihre ersten
Bücher gekaust hätte, statt sie reihum zu borgen.

Wahrlich, gäbe man endtich unsern Dichtern ihr
Recht, sie verzichteten von Herzen gern aus all die
gelegentlichen Gnaden.

Sind wir von der Lyrik dcr Frau Ambrosius
schließlich auf allzu prosaische Dinge gekommen? Von
dem Gelde, das unser Volk für ihre Verse ausgegeben
hat, hätten zehn wirklich krästige dichterische Talente
je zwei Jahre lang ihrem Beruse leben können —
diese Erwägung allein gewährt hier wohl der Prosa
das Recht aus Beachtung. Sie weist daraus hin,
daß es im letzten Grund außer unsern Künstlern
unsere Kunst ist, was unter solchen Volkslaunen
leidet, wie es die Kunst ist, die leidet, wenn einer
unbedeutenden Erscheinung der Wert kanonischer Größe
angepriesen wird. N.

N u u d

Dicdtung.

* Hcböne Ltteralur.

Der ewige I n d e. Episches Gedicht von Ioseph
Seeber. Dritte Auflage. (Freiburg i. B., Herdersche
Verlagsbuchhandlung, Mk. 2.—, geb. Mk. 3.—)

Jn einem Teile der deutschen und österreichischen
Presse ist dieses epische Gedicht als ein Meisterrverk hingestellt
worden, nicht ohne Erfolg wie es scheint, denn schon liegt
es in dritter Auslage vor. Also muß man sich mit der
Dichtung wohl näher beschäftigen. Als ich ihre ersten
Verse las:

Der Tag versinkt, und eine Nacht, so schwarz
Und sternenleer wie des Verbrechers Herz,

Entfaltet lautlos ihre Riesenschwingen, —
da bekam ich einen Schreck. Der Verfasser hat keine An-
schauung, sagte ich mir, und mer keine Anschauung hat,
ist kein Dichter. Man kann des Verbrechers Herz mit
der schwarzen, sternlosen Nacht vergleichen, aber nimmer-
mehr umgekehrt die Nacht mit dem Herzen. Aber der
erste Eindruck ist nicht immer entscheidend; wenn auch
dergleichen Sünden gegen die Anschauung, die sreilich dem
echten und reifen Dichter kaum möglich und ein Greuel
sind, sich noch öfter wiederholen, so beweisen doch andere
Stellen, daß Seeber im Stande ist, ein Bild konsequent
mit einer gewissen Energie durchzuführen. Er weiß sich


s cl) a u.

auch etwas damit; sast jeden seiner Gesünge leitet ein
Bild im homerischen Stil ein, meist die Allegorie einer
Tageszeit, und bildet in seiner etwas pomphasten Poesie
einen auffallenden Gegensatz zu der oft recht nüchternen
Erzählung. Diese versetzt uns in die Zeit kurz vor dem
Ende aller Dinge und berichtet von der Herrschaft und
dem Untergange des Antichrists Soter, dessen Feldherr
Ahasvcr ist. Der ewige Jude, hier vor allem als Jude
gefaßt, bringt den letzten Papst gefesselt nach Jerusalem,
der Hauptstadt des Weltreichs des Antichrists, das Christen-
tum scheint ausgerottet. Da erklürt sich aber Soter selbst
zum Gott, und nun wird Ahasver, äls Vertreter des
alten Gottesglaubens, den Christen, die wieder eine
Katakombenexistenz führen, näher gebracht, ja, zuletzt wird
er selbst Christ. Dann bricht das Strasgericht über Soter
herein, hinter dem Satan steckt, er wird, als er gen
Himmel fahren will, in den Höllenabgrund hinabge-
schleudert. Mit dem Tode Ahasvers und der Erwartung
des jüngsten Gerichts schließt die Dichtung.

Jch würde ihm eine gewisse Kühnheit der Erfindung
zugestehen, wenn diese Kühnheit nicht so weit ginge, daß
sich die Dichtung selber wieder aufhebt. Christus ver-
dammt der Sage nach den Juden Ahasver zu ewi-
gem Wandern; daß dieser nun wirklich am Leben
bleibt, muß ihm ein Beweis sein, daß Christus — den

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