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IV. ZUR BILDMETAPHORIR DES GÖTTLICHEN IN
RAPHAELS MADONNEN

In keiner anderen Gattung ist Raphaels künstlerische Entwicklung der vorrömi-
schen Jahre so lückenlos dokumentiert, wie in den Madonnenbildern, die auch für
die Entfaltung seiner Färb- und Bildmetaphorik von großer Bedeutung sind. Der
Meinung, daß Madonnenbilder lediglich »Bücher der Ungebildeten« seien, wider-
spricht schon Lodovico Dolce, indem er betont, daß die Vergegenwärtigung des
Göttlichen grundsätzlich eine der wichtigen Aufgaben der Malerei ist, und hervor-
hebt, daß diese Darstellungen auch die »Gebildeten [...] zur Meditierung dessen,
was sie darstellen, bewegen«2. In dieser Beteiligung des Betrachters über die an-
schauliche Reflexion des Dargestellten ist ein thematischer Mehrwert von Madon-
nenbildern angesprochen, der im folgenden exemplarisch an Raphaels Werken zu
analysieren ist. Es wird dabei zu zeigen sein, daß die seit dem 19. Jahrhundert
gelegentlich unter laizistischen Vorzeichen vorgebrachte Diagnose einer Profanie-
rung des Gottesbildes bei Raphael und in der Renaissance1 zu kurz greift und

L. Dolce, Dialogo della pittura, 1960, S. 161: »Prima non e dubbio ch' e di gran
beneficio agli uomini il veder dipinla la imaginc clel nostro Redentore, della Vergine e
di diversi sanli e sante.«

L. Dolce, Dialog über Malerei, 1970, S. 55; vgl. DERS., Dialogo della pittura, 1960,
S. 162:»Perche le imagini non pur sono, come si dice, libri degl' ignoranti, nia, quasi
piacevolissimi svegliatoi, destano anco a divozione gl' intendenti, qnesti e quelli inalzan-
do alla considerazione di ciö ch' eile rappresentano.«

Ein frühes Dokument für die laizistische Umwertung von Raphaels Darstellungen mil
religiösen Themen sind sicherlich die Ausführungen von Friedrich Nietzsche, Mensch-
liches, Allzumensehliches (1878), 1988, S. 585: Raphael sei »der anspruchsvollen eksta-
tischen Frömmigkeit mancher seiner Besteller nicht einen Schritt weit nachgegangen«,
sondern »der Künstler, der dies Alles erfand, geniesst sich auf diese Weise selber und
giebl seine eigene Freude zur Freude der Kunst-Empfangenden hinzu.« Damit ist
lakonisch eine Sicht umrissen, die in der jüngeren Kunstgeschichte z. 13. in der These
von der »Krise des Bildes« bei H. Belting (Bild und Kult, 1991, S. 510ff.) oder in der
Vorstellung eines Wechsels »From cult images to the cult of images« von S. Ferino
Pagden (1990, S. I65IT.) wieder vorgetragen worden ist. Die vor Ironie funkelnden
Bemerkungen zur Sixtinischen Madonna durch Nietzsche bilden sicherlich einen
Schlüsseltext für eine solche moderne Sicht: »Hier wollte er | Raphael] einmal eine Vision
malen: aber eine solche, wie sie edle junge Männer ohne >Glauben< auch haben dürfen
und haben werden, die Vision der zukünftigen Gattin, eines klugen, seelisch-vornehmen,

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