Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 621

Decretum Gratiani cum glossa

Pergament · 3, 349, 2 Bll. · 32,8 × 23 cm · Oberrhein (?) · 1. Viertel 13. Jh.


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Decretum.
Entstehungsort
Oberrhein (?).
Entstehungszeit
1. Viertel 13. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
3, 349, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
32,8 × 23 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + I3a + 14a + 43 IV344 + II348 + 1349* + (I-1)350*. 1a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl., 350* bildet mit dem Hinterspiegel ein Doppelbl.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–348). Vor- und Nachsatzbll. ungez., weshalb hier Zählung der Digitialisate übernommen wird (1a–4a, 349*–350*). Keinerlei Reklamanten oder Kustoden. 169a sowie nach 313v, 319v, 330v, 335v, 337v und 344v beschriebenes bzw. illuminiertes Pergament mit Schrift von jüngerer Hand als Falzverstärkung eingebunden.
Zustand
Guter Erhaltungszustand, wenige Flecken, auf den ersten Seiten Wurmfraß. Einige Löcher und Risse, die sich bereits vor der Niederschrift im Pergament befanden. Die Risse wurden in der Regel genäht. 348 leichter Wasserschaden.

Schriftraum
23,6 × 15–18 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
37–43 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Bei der Schrift handelt es sich, bezogen auf das Oberrheingebiet, um ein frühes Beispiel einer Textualis, die in diesem Fall von zwei Händen ausgeführt wurde. Die Buchstaben sind bereits gebrochen und drängen ins Vertikale, das Mittelband wird betont. Die Schaftanfänge sind noch in einer Dreieckform, die untere Schlaufe des g ist bereits geschlossen.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Der Text ist zweispaltig angelegt, begleitet von kurzen Marginal- und Interlinearglossen. Die Einführung beginnt mit einer Bildeinschlussinitiale, jeder der drei Teile des eigentlichen Decretum mit einer Ornamentinitiale. Im ersten und im dritten Teil sind die Anfänge einer jeden Distinctio mit einer D-Majuskel und der dazugehörigen lateinischen Ziffer auf dem Rand kenntlich gemacht. Die Capitulumsüberschriften sind rubriziert, jeder Anfang eines Capitulums ist mit einer Versalie kenntlich gemacht. Im ersten Teil ist die Synthese Gratians zudem mit einem Paragrafenzeichen hervorgehoben. Im zweiten Teil steht in der Kopftitelzeile auf der Versoseite ein rotes C als Abkürzung für ‚Causa‘, auf der Rectoseite ist der Causa an gleicher Stelle die jeweilige lateinische Ziffer in Rot zugeordnet. Zudem ist im Fließtext der Anfang einer jeden Causa mit einer reich verzierten Initiale gekennzeichnet, von denen manche mit einem grünen Gewebe geschützt sind. Die Paragrafenzeichen in Blau leiten Gratians Synthese ein. Die Versalien und Paragrafenzeichen sind alternierend in Blau und Rot im ersten Teil, im dritten durchgängig in Blau gehalten. Zuweilen sind Passagen auf Rasur geschrieben.
Buchschmuck
Die Miniatur auf 88v zeigt ein Schema mit Säulenrahmung, darin das lateinische und griechische Alphabet samt entsprechenden Zahlen, in Blau, Gelb, Grau und Rot. Die äußeren Säulen werden von schlangenähnlichen Wesen umschlungen, an deren Basis sich ein weiteres Tier befindet. Die Miniatur auf 322v zeigt einen Arbor consanguinitatis, ausgeführt in Blau, Braun, Gelb und Rot. Das Stemma wird dabei von einem bekrönten Herrscher gehalten, der mit einem roten, hermelingefütterten Mantel angetan ist. S. auch die Bildbeschreibung in heidICON. Ferner beginnen die Anfänge der drei Teile sowie im zweiten Teil jede Causa mit einer illuminierten Initiale, darunter befinden sich bewohnte Initialen, Bildeinschlussinitialen bzw. historisierte Initialen mit Figuren, Tieren und Fabelwesen oder Rankeninitialen mit Oktopusblättern.

Nachträge und Benutzungsspuren
Marginal- und Interlinearglosse des 13. Jhs. Von weiterer Hand Seitentitel von 14v bis 65r nachgetragen. Auf 4a in gotischer Kursive kurze inhaltliche Zusammenfassung in Hexametern mit Datierung 1474. 348vb metrisch verfasste Inhaltsangabe.

Einband
Pappe mit weißem Pergament überzogen, auf dem Rücken rotes Schild mit aktueller Signatur, zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit aktueller Signatur sowie die Wappenstempel in Gold von Papst Pius XII. und dem Kardinal und Bibliothekar Giovanni Mercati (1866–1957), gefertigt in Rom zwischen 1939 und 1957 (Schunke, Einbände 2.2, S. 846).
Provenienz
Worms / Zisterzienserkloster Schönau / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf 1r Capsa-Nummer: C. 69. Auf Vorderspiegel blaues Schildchen mit aktueller Signatur und Titel der Handschrift DECRETVM GRATIANI auf kleinem Pergamentstreifen, der wohl aus dem alten Buchrücken herausgeschnitten wurde. Alte Signaturen auf 3ar 747 sowie auf 4ar 1960 [durchgestrichen] und 611. Auf 4ar Hinweis auf Vorbesitzer: Eberhardus de Hirzberg, canonicus sancti Petri Wormatiensis, dedit Sconaugie. Es handelt sich dabei um einen Eberhard aus der Familie derer von Hirschberg mit ihrem Stammsitz auf der Hirschburg bei Leutershausen an der Bergstraße, wahrscheinlich um jenen, der zwischen 1200 und 1216 als Domherr zu Worms belegt ist (Johann Friedrich Schannat, Historia Episcopatus Wormatiensis, Frankfurt am Main 1734, Bd. 1, S. 103; ebd., Bd. 2, S. 94). Er könnte mit der Entstehung des Codex in Verbindung stehen. Dieser war es zumindest, der den Codex dem Zisterzienserkloster Schönau bei Heidelberg schenkte. Auf einen Verbleib in Schönau weisen auch die Besitzeinträge auf 1ra und 348rb hin: Iste liber est beate Marie uirginis in Schonaugia, Cisterciensis ordinis, Wormaciensis dyocesis. Bei der Säkularisation des Klosters 1557/58 kam dessen Bibliothek an Kurfürst Ottheinrich und damit in die Bibliotheca Palatina.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_621
Literatur
BioBib Jurists, Gratianus (a242); Die gotischen Handschriften der württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Teil 1, Vom späten 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert, bearb. von Christine Sauer, Stuttgart 1996 (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 3), S. 11, 76; Fried, Rezeption, hier S. 119; Gugumus, Erforschung, S. 139; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Krämer, Handschriftenerbe 1.2, S. 715; Kuttner, Repertorium, S. 4, 56; Titus Lenherr, Arbeiten mit Gratians Dekret, in: AfkKR 151 (1982), S. 140–166, hier S. 165f.; Nardi, Studi, S. 46 A. 65; OVL, Pal.lat.621; Pace, Storia, S. 235 A. 93; Johanna Petersmann, Die kanonistische Überlieferung des Constitutum Constantini bis zum Dekret Gratians, in: DA 30 (1974), S. 356–449, hier S. 409–411; Scano, I manoscritti, S. 21f.; Schadt, Darstellungen, S. 153, 164, 170, 172, 192; Schmugge, Dekretale, S. 59 A. 75, 66 A. 119; Soetermeer, Utrumque ius, S. 303 A. 37; Schunke, Einbände 2.2, S. 846; Stevenson, Latini, S. 224; Rudolf Weigand, Frühe Glossen zu D. 11 pr. c. 6 des Dekrets Gratians, in: ZRG KA 95 (1978), S. 73–94, hier S. 75–91; Weigand, Glossen 4, S. 963f.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–14rb Digitalisat

Titel
In prima parte agitur.
Angaben zum Text
Nach den Anfangsworten benannte Einführung zum Decretum Gratiani.
Rubrik
1ra ›Incipiunt capitula decretorum a Gratiano in ordine redactorum et primum prime partis humanum genus duobus regitur‹.
Incipit
1ra ›In prima parteagitur de iusticia naturali et positiua tam constituta quam inconstituta, que cui preponatur
Explicit
14rb … In tricesima vi. causa De raptoribus agitur qui sint raptores et que penitencia sit imponenda et an rapte post rapinam purgatam raptoribus suis licite copulari ualeant.
Edition
Die Einleitung des Texts ist ediert bei Carlos Larrainzar, Notas sobre las introducciones In prima parte agitur y Hoc opus inscribitur, in: Medieval Church Law and the Origins of the Western Legal Tradition. A Tribute to Kenneth Pennington, hrsg. von Wolfgang P. Müller / Mary E. Sommar, Washington, D.C. 2006, S. 134–153, hier S. 151–153.

2) 14rb–348rb Digitalisat

Verfasser
Gratian (GND-Nr.: 118541625).
Titel
Decretum cum glossa.
Angaben zum Text
Text mit sehr frühen Interlinear- und Marginalglossen (Kuttner, Repertorium, S. 56; Weigand, Glossen 4, S. 963f.): (14rb–114vb) Teil I; (114vb–326ra) Teil II; (326ra–348rb) Teil III.
Incipit
14rb ›Humanvmgenus duobus regitur, naturali videlicet iure et moribus
Explicit
348rb … Cui simile et de se ipso saluator ait: Sicut audio et iudico, et alibi: Non potest filius a se facere quicquam, nisi quod uiderit patrem facientem.
Edition
Corpus iuris canonici 1, Sp. 1–1424; Zu den Interlinear- und Marginalglossen existiert keine Edition.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 621. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.