Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 623
Decretum Gratiani cum Glossa ordinaria
Pergament · 1, 367, 1 Bll. · 49,2 × 30,2 cm · Bologna · 1335–1345
- Schlagwörter (GND)
- Kanonisches Recht / Decretum.
- Entstehungsort
- Bologna.
- Entstehungszeit
- 1335–1345.
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Pergament.
- Umfang
- 1, 367, 1 Bll.
- Format (Blattgröße)
- 49,2 × 30,2 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 10 V99 + II103 + 18 V282 + IV290 + 7 V360 + 5 (?)365 (unklar, da Bindung defekt) + (I-1)366*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 366*. Zählfehler: nach 49 und 120 ungez. Bl.
- Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
- Die letzte Lage ist unklar, da die Bindung an dieser Stelle defekt ist. Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–365). Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier, wie bei den ungez. Bll. nach 49 und 120, Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 49a, 120a, 366*). Reklamanten durchgängig mittig auf dem Fußsteg, Kustoden fast durchgängig, unter den Reklamanten platziert.
- Zustand
- Am Kopfsteg Wasserschaden, der sich ab 360 über das ganze Bl. zieht; wenige Gebrauchsspuren, ansonsten gut erhalten. Riss auf 339 mit Klebeband restauriert.
- Schriftraum
- 32,5 × 17 cm (Legaltext); 40 × 24 cm (Klammerglosse).
- Spaltenanzahl
- 4 Spalten.
- Zeilenanzahl
- 40–70 Zeilen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Bei der Schrift handelt es sich um ein typisches Beispiel der Littera Bononiensis. Entsprechend dem reichen Buchschmuck ist auch die Schrift kalligrafisch anspruchsvoll gestaltet und zeigt nur wenige Korrekturen auf. Aufgrund der Standardisierung der Schrift ist eine Händescheidung kaum möglich.
- Buchgestaltung
- Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Der zweispaltig mittig angelegte Legaltext wird von der Klammerglosse umflossen, die über das ganze Werk betrachtet sehr präzise in ihrer Aufteilung berechnet wurde. Jeder Teil beginnt mit einer Miniatur, dazwischengeschaltet auf 291r weitere Miniatur. Alle Capitulumsüberschriften sind durchgängig rubriziert. An jedem Anfang eines Capitulums steht eine Bildeinschlussinitiale mit Person, meist im Schulterstück, oder eine blaue Lombarde mit rotem Fleuronné. Synthesen Gratians bzw. Zitate Gelehrter werden mit Paragrafenzeichen, alternierend in Blau und Rot, eingeführt, im zweiten und dritten Teil mit einer Satzmajuskel. In der Klammerglosse Rankeninitialen, Lombarden oder Paragrafenzeichen. Im ersten Teil steht in der Kopftitelzeile ein P auf der Versoseite und die Ziffer I auf der Rectoseite, als Abkürzung für ‚Pars I‘. Der Beginn einer Distinctio wird mit einem d und der entsprechenden Ziffer in der Klammerglosse sowie als Kolumnentitel angegeben. Im zweiten Teil steht in der Kopftitelzeile ein CA für ‚Causa‘ auf der Versoseite, die entsprechende Ziffer auf der Rectoseite. Die Initialen zu den Anfängen der Causae wurden beim Anlegen des Texts eingeplant, aber nicht ausgeführt. Im dritten Teil als Seitentitel ein DE auf der Versoseite und ein CO auf der Rectoseite, den Titel ‚De consecratione‘ abkürzend.
- Buchschmuck
- Der Meister des B 18 (2. Meister von San Domenico) fertigte die Miniaturen auf 1rb–c und 104rb–c, wobei auf 1rb–c der thronende Christus dargestellt ist, auf der oberen Darstellung umgeben von sechs Heiligen, darunter umgeben vom Papst auf der einen Seite und einem weltlichen Herrscher auf der anderen Seite, die jeweils verschiedene Personen ihres geistlichen bzw. weltlichen Standes in ihrer Entourage haben. Auf 104r bieten zwei durch ihre Mitren als Bischöfe Dargestellte zwei thronenden Personen, der eine von ihnen ist mit einer Tiara als Papst kenntlich gemacht, ihre Bücher dar. Im Hintergrund stehen Geistliche, gekennzeichnet durch ihre Tonsur. Stefano Azzi werden die Miniaturen auf 291rb–c und 333vb–c zugeschrieben. Auf 291r predigt eine mit einer Mitra als Bischof kenntlich gemachte Person auf einer Kanzel dem Volk, während unter einer baldachinartigen Architektur zwei Franziskanermönche ihren seelsorgerischen und priesterlichen Aufgaben nachkommen. Auf 333vb–c zelebriert ein durch eine Mitra als Bischof Dargestellter, umgeben von verschiedenen Personen, eine Messe. Auf 1r, 291r und 333v ist zudem ein Wappen, wahrscheinlich des Auftraggebers, ausgeführt: Im Schildhaupt zwei silberne Sterne auf blauem Grund, darunter ein silberner Schrägbalken auf rotem Grund, als Helmzier ein rotbezungter goldener Drachenkopf mit das Wappen wiederholender Helmdecke. Des Weiteren ist der gesamte Text mit zahlreichen Bildeinschluss- und Rankeninitialen ausgeschmückt. S. auch die Bildbeschreibung in heidICON.
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Korrekturen ober- bzw. unterhalb des Textblocks nachgetragen. Marginalglossen von Huguccio von Pisa (†1210) (9r, 13r, 19r–166v), Johannes de Phintona (2. Hälfte 13. Jh.) (19r, 21r), Guglielmo Caneti (Bischof von Pavia um 1256–1272) (19v), Guido da Baisio (um 1250–1313) (20r, 37v, 40v, 53r, 112r, 204r), Iacopo da Albenga (13. Jh.) (21r, 41r), João de Deus (um 1190–1267) (38v, 43r, 104r–292r), Raimund von Peñafort (um 1175–1275) (49r) (vgl. OVL). Ferner zahlreiche Verweiszeichen.
- Einband
- Pappe mit weißem Pergament überzogen, auf dem Rücken rotes Schild und blaues aufgeklebtes Schildchen mit aktueller Signatur sowie die Wappenstempel in Gold von Papst Leo XIII. und dem Kardinal und Bibliothekar Jean-Baptiste Pitra (1812–1889). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Angefertigt in Rom zwischen 1878 und 1889 (widersprüchliche Angaben bei Schunke, Einbände 2.2, S. 846).
- Provenienz
- Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Auf Vorderspiegel blaues aufgeklebtes Schildchen mit aktueller Signatur. Ältere Signatur 523 auf 1r. Hergestellt wurde die Hs. an der Universität Bologna. Dafür spricht neben dem Buchschmuck und der Schrift die für die Hochschule typische Herstellung im Peciensystem, was z. B. auf dem Bundsteg von 5vd ersichtlich wird: cor des Korrektors für correxi bzw. correcta, darunter finitur prima pecia. Weitere Pecienvermerke finden sich beispielsweise auf 9rb, 11vc, 12rd. Der Codex könnte von Kurfürst Ludwig III. 1420 in Paris erstanden worden sein und wäre in diesem Fall 1438 durch seine letztwillige Verfügung an das Heiliggeiststift und auf diesem Weg in die Bibliotheca Palatina gelangt. Auch Pal. lat. 624, 625, 626 kommen theoretisch dafür in Frage, sie sind allerdings schlichter gestaltet, weshalb die aufgebrachten 86 Gulden am ehesten mit Pal. lat. 623 in Verbindung zu bringen sind (Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Jeudy, Manuscrits achetés, S. 38). Aufgrund des großen Verlusts an Büchern innerhalb der Bestände der Universität (s. Einleitung) ist diese Provenienz als eine Möglichkeit unter vielen anzusehen.
- Literatur
- Baldani, La Pittura, hier S.
406f.; BioBib Jurists, Gratianus (a242); Paola Elena Boccalatte, Il decretum Gratiani ms.
I.I.8 tra Bologna, Lombardia e Piemonte, in: Annali della Scuola Normale
Superiore di Pisa. Classe di lettere e filosofia 7, 1 (2002), S. 203–233,
hier S. 217 A. 34; Conti, La miniatura, S. 86; García y García, Laurentius, S.
21f., 29–41, 61, 65; Hanselmann, Bücherschenkung, S.
125; Jeudy, Manuscrits achetés, S.
38; Kuttner, Repertorium, S. 115,
118f.; Stephan Kuttner, Master of B 18, the Roermond Volumen Parvum,
and Early Fourteenth-Century Illumination in Bologna, in: Codices
manuscripti 52/53 (2005), S. 1–20, hier S. 10; L’Engle, Illumination, S.
300; Murano, Opere, S. 346, 353; Félix Olivier-Martin, Manuscrits bolonais du décret
de Gratien conservés à la bibliothèque Vaticane, in: Mélanges de l’école
française de Rome 45 (1928), 215–257, hier S. 252f.; Paul Ourliac, Sur un manuscrit du Décret de
Gratien, in: Studia Gratiana 20 (1976), S. 255–268, hier S. 264 A.
41; OVL,
Pal.lat.623; Pace, Storia, S. 235 A. 93; Scano, I manoscritti, S.
24–26; Schunke, Einbände 2.2, S.
846; Soetermeer, Famille de copistes,
S. 469 A. 226; Soetermeer, Utrumque ius, S. 307, 346 A. 16; Stevenson, Latini, S. 225.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
1) 1rb–365rc
- Beteiligte Personen
- Johannes Teutonicus (GND-Nr.: 100950477) / Bartholomäus von Brescia (GND-Nr.: 100937365) / Laurentius Hispanus (GND-Nr.: 100951643).
- Titel
- Decretum cum Glossa ordinaria.
- Angaben zum Text
- Text mit der Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus (um 1170–1245) in der Überarbeitung des Bartholomäus von Brescia (um 1200–1258) nach dem Typus des Laurentius Hispanus (1180–1248) (Kuttner, Repertorium, S. 115, 118f.): (1rb–103rc) Teil I; (103v) leer; (104rb–290rc) Teil II, beginnend mit Causa II, bis zu C. 33 q. 2, c. 19; (290v) leer; (291rb–323rc) zweite Hälfte von Teil II, beginnend mit ‚De poenitentia‘ (D. 1, c. 1 de poen.); (333vb–365rc) Teil III.
- Rubrik
- 1rb ›Incipit concordia discordantium canonum ac primum de iure [Füllzeichen] nature et humane constitutionis‹.
- Incipit
- 1rb ›Hvmanum‹ genus duobus regitur, naturali uidelicet iure et moribvs …
- Explicit
- 365rc … Cui simile est quod de semetipso saluator ait: Sicut audio et iudico, et alibi: Non potest filius a se facere quicquam, nisi quod uiderit patrem facientem. Explicit textus Decreti domini Gratiani.
- Edition
- Corpus iuris canonici 1, Sp. 1–1424; Die Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus liegt in der Bearbeitung des Bartholomäus von Brescia in verschiedenen Wiegendrucken vor (GW 11351–11390).
- Bearbeitet von
- Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 623. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.
- Katalogisierungsrichtlinien
- Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.