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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Denkmalpflege im ländlichen Raum — Heft 1.1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.50202#0097
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Westdeutscher Rundfunk 3
Forum West — 17.9.1980 — 18.05 bis 18.30 Uhr
„Bauen und Bewahren auf dem Lande“
von Hartwig Surbier
Es gilt weithin als typische Einstellung auf dem Lande, am
Althergebrachten festzuhalten und allen Neuerungen gegen-
über mißtrauisch zu sein. Aber auch in der Landwirtschaft
sind in den letzten Jahrzehnten große Veränderungen einge-
treten. Die Rationalisierung der Arbeit und die Spezialisie-
rung auf nur wenige Produkte von Ackerbau und Viehzucht
haben den bäuerlichen Alltag radikal gewandelt. Das macht
manche Gebäude, die ein Bauernhof früher brauchte, über-
flüssig und traditionelle Siedlungsformen immer unprakti-
scher. Und damit beginnen ganze Gegenden ihr eigenständi-
ges Gesicht zu verlieren. Auf einer Pressefahrt im westlichen
Niedersachsen hat jetzt das Nationalkomitee für Denkmal-
schutz Alarm geschlagen.
Landkreis Osnabrück, Großgemeinde Badbergen. Hier ist
das Kerngebiet des Artlandes, eines besonders fruchtbaren
Landstriches im nordwestlichen Niedersachsen: eine grüne,
durch Baumgruppen und Hecken gegliederte Parkland-
schaft mit wenigen Kirchdörfern. Denn charakteristisch ist
seit fränkischer Zeit die Besiedlung mit Einzelhofanlagen.
Ein Netz solcher Groß-Höfe überzieht bis heute diese Ge-
gend. Wo sie zu finden sind, markiert in der Regel ein Ei-
chenkamp mit hohen Bäumen. Die mächtigen Fachwerk-
und Ziegelgebäude in diesen Bauminseln bezeugen durch
Größe und Fachwerkqualität den Reichtum der Erbauer, die
im 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert lebten.
Auf dem Hof Elting-Bußmeer, einem der prächtigsten und
gebäudereichsten Anlagen der Dorfschaft Vehs, wird gerade
der dreifach gestaffelt vorkragende Fachwerkgiebel des
Haupthauses von 1744 renoviert. Vor diesem Haupthaus
mit dem großen Einfahrtstor für die Erntewagen liegt der
Wirtschaftshof in der hier typischen Form: rechteckig, ge-
pflastert in alter Manier mit kleineren, zu Mustern gelegten
Feldsteinen und allseitig eingefaßt von Wirtschaftsgebäu-
den, die sämtlich auch Fachwerk zeigen: zwei Scheunen und
ein Stallgebäude. Links hinter dem Hauptgebäude liegt noch
ein zweiter, hauswirtschaftlich genutzter Hof mit einem klei-
neren Fachwerkspeicher, einem Brunnen und dem Backhaus
von 1787, das bis vor etlichen Jahren zumindest noch als
Pflaumendörre benutzt worden ist.
Früher war dies ein Bauernhof mit der vollen Palette des
hier üblichen Getreide- und Hackfruchtanbaus sowie dem
dazugehörigen Milch- und Zugvieh. Heute ist der Hof spe-
zialisiert auf Bullenmast und Schweineaufzucht, für die ent-
sprechendes Silofutter angebaut wird. Dafür wird gerade ein
großes Lager neu gebaut. Die schönen Altbauten taugen
dazu nicht. Das alte Backhaus auf dem Hof Elting und der
Speicher mit Lehmwänden aus der Mitte des 17. Jahrhun-
derts, der auf dem Nachbar-Hof Roeßmann immer noch
steht, sind, weil ungenutzt, am meisten abbruchgefährdet.
Wo sich nicht, wie auf dem Hof Elting-Bußmeer, ein Bauer

mit Sinn für das Bauerbe findet, sind sie meist schon abge-
brochen. Die Gesamtanlage dieser Höfe bröckelt damit aus-
einander. Fazit der niedersächsischen Denkmalpfleger, die
die Situation vorführten: „Bei der Vielzahl ähnlicher Fälle
ist die für Speicher beziehungsweise Wirtschaftsgiebel vor-
gesehene Bezuschussung nur ein Tropfen auf dem heißen
Stein. Die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes für ländliche
Großobjekte durch die Denkmalpflege und eine stärkere fi-
nanzielle Mithilfe der Allgemeinheit scheint dringend gebo-
ten.“
Ganz anders ist die Landschaft und die Siedlungsweise im
Marschland Ostfrieslands. Doch die Probleme sind ver-
gleichbar, weil die Ursachen identisch sind.
Hier, in der sogenannten Krummhörn, beherrschen ge-
schlossene Dorfanlagen die Gegend. Sie beherrschen sie,
weil sie auf vier bis sechs Meter hohen künstlichen Hügeln,
den Wurten, erbaut worden sind, um in diesem dem Meer
abgerungenen Tiefland Schutz vor Überflutungen zu haben.
Manslagt im Landkreis Aurich, nicht weit von der kleinen
Hafenstadt Greetsiel gelegen, ist eine solche für die Krumm-
hörn typische Wurtensiedlung, in der sich die Häuser um die
Kirche in der Mitte scharen. Charakteristisch für die Dorf-
bebauung ist die von weither schon sichtbare Tatsache, daß
die bäuerlichen Großgehöfte, die Wohntrakt, Stall und Ern-
tespeicher vereinen, am Dorfrand mit der Rückfront zu den
angrenzenden Feldern liegen. Sie bilden somit einen ziegel-
roten Kranz mächtiger, breit gelagerter Bauwerke rund um
das Dorf. Zu diesen sogenannten Gulfhäusern gehören klei-
nere Wohngebäude, in denen einst die Heuerlinge, also Mie-
tarbeiter, wohnten. Diese Klasse von Landarbeitern gibt es
heute nicht mehr. Die kleinen Katen sind meist von alten
Leuten bewohnt. Ihnen droht der Abriß oder ein Schicksal
als Ferienwohnung: Beides wird die Dorfstruktur einschnei-
dend verändern. Wegen des landwirtschaftlichen Struktur-
wandels stehen auch die Gulfhäuser schon teilweise leer,
oder sie werden bald nicht mehr gebraucht, wenn die Höfe
draußen im Feld als Spezialbetriebe neu gebaut werden. Ei-
ner Zukunft mit Flachdachvillen, Bungalows und Mietshäu-
sern, die diesen Orten droht, soll durch ein Gesamtkonzept
entgegengewirkt werden, zu dessen Erarbeitung gegenwärtig
bau- und sozialgeschichtliche Voruntersuchungen laufen.
Eine bloße Bestandsaufnahme der Bebauung ohne Einbezie-
hung von deren kulturgeschichtlichem Umfeld, aus dem
auch die Identifikation der Bewohner mit ihren Bauten und
damit Erhaltungswille erwächst, scheint den Verantwortli-
chen unzureichend. Ziel dieses ehrgeizigen Projektes ist es,
„die kulturelle Eigenart nicht nur eines Gebäudes, eines
Platzes oder eines Ortes, sondern einer ganzen Region zu er-
halten“ — trotz der Strukturveränderungen auf dem Lande.
Ein Ansatz, der zum Modell werden kann und Schule ma-
chen sollte.

Der dem Informationsmaterial für die Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz beigefügte Aufsatz
von Manfred Mosel „Unser Dorf soll schöner werden“ sowie Abhandlungen über Dorferneuerung in Niedersachsen sind in
Heft 2, Februar 1981, 54. Jg., der „Bauverwaltung“ abgedruckt.

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