Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]: Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Kanzel von Ludwig Münstermann in Rodenkirchen (Hameln: Niemeyer, Heft 37.2011)

23

Knaben, der über alle Völker herrschen soll. Da ein
Drache, der in der Johannesoffenbarung das Wider-
göttliche verkörpert, den Knaben verschlingen will,
wird dieser zu Gott entrückt. Darauf wendet sich der
Drache gegen die Frau. Doch diese erhält von Gott
zwei große Adlerflügel, mit denen sie in die Wüste an
einen sicheren Ort fliegt (Apk 12, 14) (Abb. 75).
Diese geheimnisvolle Vorhersage legt Luther in einem
heute kaum mehr bekannten Lied aus, das die Über-
schrift trägt Ein Lied von der heiligen christlichen
Kirche aus dem 12. Kapitel der Offenbarung4. Es
wurde 1535 im sogenannten Klugschen Gesangbuch
gedruckt, ist aber wahrscheinlich schon früher ent-
standen. Es lautet folgendermaßen:
1 Sie ist mir lieb, die werte Magd,
und kann ihr' nicht vergessen.
Lob, Ehr und Zucht von ihr man sagt;
sie hat mein Herz besessen.
Ich bin ihr hold,
und wenn ich sollt
groß Unglück han,
da liegt nichts dran;
sie will mich des ergetzen
mit ihrer Lieb und Treu an mir,
die sie zu mir will setzen,
und tun all mein Begier.
2 Sie trägt von Gold so rein ein Kron,
da leuchten drin zwölf Sterne.
Ihr Kleid ist wie die Sonne schön;
das glänzet hell und ferne.
Und auf dem Mon
ihr Füße stöhn.
Sie ist die Braut,
dem Herrn vertraut.
Ihr ist weh und muß gebären
ein schönes Kind, den edlen Sohn
und aller Welt ein Herren.
Dem ist sie untertan.
3 Das tut dem alten Drachen Zorn;
er will das Kind verschlingen.
Sein Toben ist doch ganz verlorn;
es kann ihm nicht gelingen.
Das Kind ist doch
gen Himmel hoch
genommen hin
und lässet ihn
auf Erden gar sehr wüten.
Die Mutter muß sein ganz allein;
doch will sie Gott behüten
und der recht Vater sein.
Obwohl der Anfang einem weltlichen Liebeslied ähn-
lich ist, so lässt doch die Überschrift keinen Zweifel

23 Ecclesia (Kirche), aufgenommen während der
Restaurierung.


daran, dass mit der werten Magd die christliche Kir-
che gemeint ist. Die erste Strophe besagt deshalb,
dass der Christ seine Kirche liebt. Und umgekehrt:
Wenn er im Unglück steckt, hört die Kirche nicht auf,
ihn zu trösten und ihm zu helfen.
Die zweite Strophe beginnt mit der Paraphrase von
Apk 12, 1: Die Kirche ist mit der Sonne bekleidet und
steht auf dem Mond. Auf dem Haupt trägt sie eine
Krone aus zwölf Sternen. Die Zwölfzahl der Sterne
weist nicht nur auf die zwölf Apostel hin als die