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Peter Königfeld

Kunstgeschichtliche Anmerkungen zur Kanzel

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am Rodenkirchener Altar (Abb. 21) vertiefte und wei-
terführende Erkenntnisse. Danach wurde das Retabel
1629/30 zunächst mit flächendeckend pigmentierten
Leimüberzügen auf allen Holzteilen, ergänzt durch
polychrome Absetzungen in Teilbereichen, aufgestellt.
Die Fassung von 1638 ergänzte diesen Bestand, wo-
bei sie als eine Anreicherung, nicht grundsätzliche
Neukonzeption zu bewerten ist: Vergoldungen und
Versilberungen, farbige Differenzierungen und Inkar-
nats, die ohne dickschichtige Grundierung direkt auf
das Holz aufgetragen wurden, lockerten die strenge
Erscheinung des ersten Zustandes auf.52
Eine Kartierung der am Rodenkirchener Altar verwen-
deten Holzarten53 und der Vergleich mit anderen Bild-
werken, beispielsweise dem Taufdeckel, der Kanzel
und dem Altarretabel in Schwei54 sowie dem Orgel-
prospekt aus Rotenburg/Wümme, zeigte, dass Müns-
termann seine Arbeiten mit sehr sorgfältig und detail-
reich bearbeiteten Oberflächen hergestellt hat, die
grundsätzlich holzsichtig bzw. nicht polychromiert
konzipiert zu sein scheinen. Die Verwendung der
dunkleren Eiche an den architektonischen Teilen ge-
genüber der helleren Linde für Figuren, Medaillons
usw. folgt eindeutig einer gestalterischen Absicht
(Abb. 47).
Die Überzüge sollten wohl den Eindruck vermitteln,
dass drei Holzarten zum Einsatz gekommen seien, da
zusätzlich zu Eiche und Linde die schwarz gefassten
Säulenschäfte und Inschriftenfelder wie Ebenholz
erscheinen. Ob dieser Zustand, der beispielsweise an
der Kanzel in Apen und dem Rotenburger Orgelpro-
spekt Bestand hatte,55 als „Werkstatt-" oder „Inte-
rimsfassung" zu gelten hat oder bereits in dieser
Phase eine weitergehende „Staffierung" geplant war,
muss unbeantwortet bleiben.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bereits seit der
Spätgotik, verstärkt um 1500, hölzerne Bildwerke
ohne die sonst übliche reiche Ausstaffierung gibt, mit
schnitztechnisch hochwertigen Oberflächen, die le-
diglich mit pigmentierten Leimüberzügen und zurück-
haltenden polychromen Absetzungen versehen wur-
den. Solche Kunstwerke, zu denen Münstermanns
Arbeiten zweifellos zu rechnen sind, stellten auch in
nachmittelalterlicher Zeit eine eigene Spezies von
besonderer Materialästhetik dar. Sie waren nicht
ungefasst, sondern durch die Leim- und Ölüberzüge
„veredelt" und ihres natürlichen Materialcharakters
entkleidet. Offenkundig blieb den Auftraggebern die
Entscheidung vorbehalten, die Schnitzereien in die-
sem „holzsichtigen" Zustand zu belassen, teilweise
oder ganzflächig farbig zu fassen.56
Die Aufgabe, die originale Farbigkeit und ggf. ergän-
zende oder vervollkommnende Fassungen der Werke
Münstermann, seiner Werkstatt und seines künstle-
rischen Umfeldes zu erforschen, konnte bisher
nur ansatzweise gelöst werden. Insofern kommt der
aktuellen Restaurierung der Rodenkirchener Kanzel

besondere Bedeutung zu. Auf die Resultate wird in
dieser Publikation durch Uwe Pleninger, S. 78 ff., ge-
sondert eingegangen.
Ludwig Münstermanns Kanzeln
Es sind oben bereits einige der Kanzeln erwähnt wor-
den, die Münstermann für Kirchen im Oldenburger
Land geschaffen hat. Insgesamt sind 14 Kanzeln aus
seiner Werkstatt nachweisbar:
• Acht sind noch vor Ort erhalten: Varel (1613),
Schwei (1618), Hohenkirchen (1628), Apen (um
1625), Rodenkirchen (1631), Heppens (1632), Holle
(1637), Blexen (1638).
• Nur drei sind vollständig mit Schalldeckel und Trep-
pe erhalten geblieben: Rodenkirchen, Apen und Holle.
• Fünf besitzen noch ihren Schalldeckel, haben aber
ihre ursprünglichen Treppen verloren: Rastede,
Schwei, Hohenkirchen, Heppens, Blexen.
• In Tossens ergänzte Münstermann einen Schallde-
ckel zu einer älteren Kanzel.
• In Altenesch ist nur noch der Kanzelkorb existent.
• Von der verloren gegangenen Kanzel der Lamberti-
Kirche in Oldenburg stammt der Kanzelfuß, heute im
Landesmuseum Oldenburg.
• Die Kanzeln in Delmenhorst und Stollhamm sind
verschollen.
Riesebieter weist darauf hin, dass „für die Entwick-
lung des gültigen Kanzeltypus ... die Münstermann-
schen Lösungen, wenn auch durch zahlreiche Ab-
wandlungen stark voneinander geschieden, nichts
durchschlagend Neues zu sagen [vermögen], Im We-
sentlichen ist die Grundform der Kanzel, aus der Nutz-
form logisch entwickelt, im Wechsel der Stile auch die
gleiche geblieben." „Ein gewisser Felder- und Flä-
chenstil war schon in gotischen Kanzeln aus der Poly-
gonalität des Beckens gegeben und so ist der Wechsel
der Dekoration sehr einfach" (Robert Hedicke).57
Es soll hier nicht im Einzelnen auf die Bildprogramme
der Kanzeln eingegangen werden. Sie werden in
Stichworten in der folgenden Liste dargestellt. Der
Auffassung Holger Reimers, wonach es sich „bei
einem Überblick über alle Kanzeln in Kirchen des
lutherischen Protestantismus Norddeutschlands er-
weist ..., dass die Kanzeln Münstermanns kaum von
der Tradition abweichen"58, ist grundsätzlich zuzu-
stimmen. Sie stellen in einem für die lutherische Kan-
zel seit Mitte des 16. Jahrhunderts üblichen formalen
Rahmen das „Normalprogramm" dar-die Evangelis-
ten, Propheten, den Salvator mundi, Apostel, Tugen-
den, Szenen aus dem Leben Christi, Kirchenväter.59
Die Gestaltung der Kanzeln belegt im Übrigen, dass
Münstermann nicht mit einem Parament gerechnet
hat. Dieses hätte wesentliche Teile des Bildschmucks
bzw. für die Erschließung des Inhaltes bedeutungsvol-
le Inschriften zumindest partiell verdeckt. Solche
„Kanzeltücher" kamen erst Mitte es 17. Jahrhunderts
vereinzelt auf.60
 
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