Perkeo.
Widder emool schtehn m'r
an ere Johreswend un zwar
an keenere gewöhnliche. Wie
m'r sunschtige Johre mit'm
Bewußtsein des Friedens vum
alte ins neie Johr Hott nein-
gucke könne, frogt m'r sich an
dem Sylveschter in de Werrths-
häuser, uff d'r Schtrooß un
in d'r Kasern: „Werd's noch
Heewe bis Oschtern?" Ja
Männer die politisch Aussicht
is trüb, ich hab's Euch letscht-
hin schun emool gsagt un heit
is se noch trüber, deß kann
jeder versichert sein, der am
Sylveschter mit e bißl poli-
tische Gedanke ins neie Johr
niwerrutscht. Is die Politik
flau, so gehts mit de Gschäfte
allem was drum un dran
hängt grad so, drum wärs
«sWzs^--s^ - besser, daß wann's emool
rabble soll, es gleich rabblt,
dann je gschwinder daß e bitteri Medizin verschluckt werd,
desto besser is es. So wie noch menschlicher Berechnung die
politisch Lag im Allgemeine is, könne mir Deutsche grad nit
sage, daß mir uff dem Schauplatz e angcnehm's Plätz'l an-
gewiese kriegt hätte; im Gegentheil, m'r sitze in emme Haus,
deß jeder Nochbar gern in die Luft schprenge dhät, wann's
nit gegen Dynamit un annere Dinger gfeit wär. 'S Fun-
dament an dem Haus — d'r ächt deutsche Sinn, die Maure
— unser Armee, un d'r Hausverwalter — unser deitscher
Kaiser, sin drei Factoore, mit dene m'r rechne muß, un die
d'r gsammt europäische Nochbarschaft, wann's emool wirklich
Händ'l gäb e harti Nuß usizuknacke gäbe. Ging die ganz
nachbarlich Gsellschast, wie Russe, Franzose, Türke un so
weiter un so weiter an uns, so wäre natürlich viel Hund
des Hasen Tod, un ich müßt aach die Flint in's Korn werfen
un wehmüthig d'r schterbende deitsche Eich, die d'r europäisch
Schturm geknickt hätt, zurufe:
Sturmwind kam herangejagt
Wild über Hügel und Heide.
„Neigt Euch!" rief die Erle verzagt,
„Beugt Euch" rief die Weide.
Sturmwind rast durch's Baumgeäst,
Zweige knarren und knacken;
Nur die Eiche steht trotzig und fest,
Beugt nicht Haupt und Nacken. —
Singend sein wildes Siegeslied
Weiter durch Wald und Wiese
Zog der Sturm. — In Moos und Ried
Lag der entwurzelte Riese.
Pnd die Erle zur Weide sprach:
„Siehe wir leben alle,
Doch die Eiche, die deutsche brach,
Uebermacht bracht sie zu Falle."
Todwund sprach der gewaltige Baum:
„Will euch das Leben nicht neiden,
Sterben muß ich, ich schaffe Raum,
Schmiegsamen Erlen und Weiden.
Wieget im Winde das grüne Haar
Ueber der modernden Leiche.
Erlen und Weiden, ihr dauert — ich war,
Aber, ich war die Eiche."
Deß wär ungfähr d'r Schwanegsang an unser deitschi
Eich', an unser schtarks Vatterland mit seine gsunde Lünder-
äscht. Ich hoff awer, daß ich deß Lied nit zu singe brauch, sundern
wann's Noth dhut unser wehrhaftig Jugend anschporn, daß
se nein haut, wie Blücher un daß schtatt daß se die deitsch
Eich fälle vun denne wo's mit uns hawe die Fetze fliege,
durch ächt deitsche Hieb, wie se anno Siewezig mit Glanz
un Schneid ausgedeehlt worre sin. Wanns Noth dhut geh
ich aach mit un wäsch nein, so kleen ich bin, is es nit mit
em Schwert, so schpitz ich die Feder, deß wirkt grad so, wie
wann m'r sunscht neinwäscht; ich will se schun an ihr deitsche
Pflichte mahne wann's gilt, un e guts patriotischs Wort,
find immer sein gute Ort, wann aach leider mancher deitsche
Scheereschleifer daab is dafor, die Raß läßt m'r in Zeite
d'r Noth entweder links liege, odder in de Schpieg'l vun
anno 1813 gucke, daß se sehe, wie hibsch se sich ausnemme.
— So, deß wäre ungfähr die deßjährige Sylvesternacht-Ge-
danke vun emme Deitsche; sin se zwar aach e bißl duschter
uffgetrage, so sin se doch keen Phantasie, dann die Lag is
ernscht Männer, hawe m'r zu schwarz in die Zukunft gsehe,
so is es e Glück for uns, un grad deß Glück wünsch ich
em deitsche Volk vun ganzem Herze. All meine liewe Lese-
rinnen un Leser awer wünsch ich ganz bsunders im kummende
Johr alles, was se sich selwer wünsche: Gsundheit, Glück un
Friede, hawe se deß, so knüpf ich noch e ganz bscheide
Wünsch'che dran, daß se aach im kummende Johr mein
Schnooke un Gschichte so freundlich uffnemme wie deß Johr.
Aach im kummende Johr werr ich bemüht sein, recht viel
Luschtigs un Gemüthlich's zu verzeehle, damit die Leser zu-
frieden sin mit m'r. For heit un deß Johr awer scheid'
ich vunenne mitemme herzliche „Prosit Neujohr!"
Homonym.
Ein Kaufmann und ein Offizier,
Die saßen jüngst bei Tisch mit mir,
Ich gab in des Gespräches Lauf
Den beiden Herren Räthsel auf.
Da kam mir in den Sinn ein Wort —
Zum Räthsel formt' ich es sofort
Und sprach: „Für Sie hat's guten Sinn,
„Ich weiß, Ihr Reichthum liegt darin.
„Von Ihnen wird, Herr Lieutenant,
„Mit Abscheu nur das Wort genannt!"
Sie riethen lange hin und Her. —
Hältst Du das Räthsel auch für schwer?
Lesefrucht.
Weißt Du, was die Liebe ist?
Ach, ein Kind mit leisen Schwingen;
Schwärmend bald und bald voll Schmerz,
Müht es sich, in jedes Herz
Los und luftig einzudringen.
Zagend jetzt, und jetzt voll Muth,
Launig jetzt, und jetzt voll Glut.
Kennst Du es, das ist die Liebe.
Verantwortlicher Redakteur: Philipp Klausner, Heidelberg.
Druck und Verlag von Wurm L Pfeffer in Heidelberg.
MM
1887
Erscheint jeden -Sonntag als
Gratis Beilage.
rsrmÄnrE
UvDsvv^
Einzelne Nummern 5 Pfennig
mit Haupt-Blatt 10 Pfg.
!IIIIIIIIII»HMNMl«N!ttlII!ttI,II!II
6unt-ä6-^6r, der Salon-Bandit.
Pariser Polizei-Roman von Henri Demesse.
16) (Fortsetzung.)
„Fürwahr, Ihre Kühnheit überschreitet alle Grenzen!"
rief sie aus, indem sie sich gegen den Ausgang wandte.
„Wohin wollen Sie?" fragte der Graf, ruhig vor sie
hintretend.
„Ich gehe zu meinem Gatten, um mich selbst anzuklagen,
ihn gegen Sie aufzurufen, und Ihre Bestrafung herbeizu-
führen. Geben Sie mir den Weg frei, oder ich rufe um
Hülfe!"
„Nicht vom Fleck, Madame! Ich habe es Ihnen be-
reits angedeutet und wiederhole es: Sowohl Sie, wie Ihr
Gemahl, der Marquis de Roqueville, sind in meiner Gewalt!"
Die Marquise erbebte von Neuem.
„Ihren Gemahl vermag ich für immer unschädlich zu
machen. Ein Wort von mir, einen meiner Beweise, die ich
mehrfach gegen ihn habe, — und der Mar quis de Roqueville,
der Träger eines edlen Namens, dessen Ahnen über acht-
hundert Jahre zählen, wird den Rest seines Lebens im Bagno
zubringen."
Frau de Roqueville stieß einen markerschütternden
Schrei aus.
„Großer Gott, was wagen Sie zu behaupten?"
„Nichts, das ich nicht zu beweisen vermöchte", erwiderte
der Graf schlagfertig.
„Und dennoch muß es Lüge sein"! rief die Marquise
aus. „Denn kommt es nicht aus Ihrem Munde? Warum
schleudern Sie diese Beschuldigung dem Marquis de Roque-
ville nicht in's Antlitz? Er würde Sie zu beantworten wissen
und Sie für diese Beleidigung züchtigen. Ich aber vermag
Nichts anzufangen, um ihn zu rächen!"
Der Graf de Ribauval lachte diabolisch.
„Der Marquis!" sagte er sarkastisch. „Der Marquis!
Madame, glauben Sie mir, daß er Alles aufbieten wird,
jeden Streit mit mir zu vermeiden —"
„Sie wagen zu behaupten —?"
Mit langsamer Stimme antwortete der Graf:
„Ich wage es zu behaupten, Krau Marquise, daß Sie
beide in meinen Händen sind. Begeben Sie sich zu dem
Herrn Marquis und erzählen Sie ihm von dem Komman-
danten Alphons de Logny. Ihr Herr Gemahl mag Sie
j tödten, verstoßen, gleichviel. Hortense wird um jeden Preis
mir angehören, denn Herr de Roqueville hat mir die Hand
seiner Tochter feierlich zugesagt. Genehmigen also auch Sie
diese Verbindung; wenn nicht, so ist für Sie Alles verloren,
denn ich werde kein Geheimniß mehr aus Dem machen, was
ich weiß, wenn Sie mir zu trotzen wagen!"
„Welche Anschuldigung vermögen Sie gegen meinen Ge-
mahl zu erheben? Sprechen Sie, ich bin auf das Schlimmste
gefaßt!"
„Wie, Sie wollen, daß ich es Ihnen sage?" fragte
Ribauval mit entsetzter Ruhe. „Sie verlangen, daß ich den
Schleier hinwegziehe von dem Geheimniß der Vergangenheit
und Ihnen die Wahrheit unverhüllt zeige, die Wahrheit, was
sie auch enthalten mag? Sie bestehen darauf es wissen zu
wollen ?"
„Ja, ich bestehe darauf!" antwortete die Marquise fest,
sich stolz aufrichtend. „Sei es, was es wolle, ich will es
wissen, Alles, Alles! Reden Sie!"
„Um Ihnen Alles zu erklären, muß ich in die Ver-
gangenheit zurückgreifen!" begann der Graf nach minuten-
langem, wohl berechnetem Schweigen. „Sind Ihnen, Frau
Marqmse, die früheren Beziehungen Ihres Gemahls zu einer
Wittwe bekannt, welche Millionen besaß?"
„Nein, davon weiß ich Nichts," anwortete die Marquise.
„So ist es Ihnen ebenfalls unbekannt geblieben, daß
der Marquis aus diesem Verhältniß Vater eines Zwillings-
paares ward ?"
Dieser neue Schlag traf mit furchtbarer Wucht das
ahnungslose Haupt der Marquise.
„Vater eines Zwillingspaares?" wiederholte sie tonlos.
„Ja," fuhr der Graf unerbitterlich fort, „Vater zweier
Kinder: eines Knaben und eines Mädchens!"
„Großer Gott!" hauchte die Marquise.
„Und diese Kinder sind von ihrem Vater anerkannt, so
daß sie seinen Namen zu führen berechtigt sind."
„Beide sind am Leben ?"
Ribauval bejahte.
„Und das Geheimniß Ihrer Geburt ist Ihnen bekannt?"
forschte die Marquise angstzitternd.
„Nein !"
„Kennen Sie diese Unglücklichen?" fragte die Marquise."
„Ich kenne den Einen, den Sohn!"
„Wer — was ist er?"
Widder emool schtehn m'r
an ere Johreswend un zwar
an keenere gewöhnliche. Wie
m'r sunschtige Johre mit'm
Bewußtsein des Friedens vum
alte ins neie Johr Hott nein-
gucke könne, frogt m'r sich an
dem Sylveschter in de Werrths-
häuser, uff d'r Schtrooß un
in d'r Kasern: „Werd's noch
Heewe bis Oschtern?" Ja
Männer die politisch Aussicht
is trüb, ich hab's Euch letscht-
hin schun emool gsagt un heit
is se noch trüber, deß kann
jeder versichert sein, der am
Sylveschter mit e bißl poli-
tische Gedanke ins neie Johr
niwerrutscht. Is die Politik
flau, so gehts mit de Gschäfte
allem was drum un dran
hängt grad so, drum wärs
«sWzs^--s^ - besser, daß wann's emool
rabble soll, es gleich rabblt,
dann je gschwinder daß e bitteri Medizin verschluckt werd,
desto besser is es. So wie noch menschlicher Berechnung die
politisch Lag im Allgemeine is, könne mir Deutsche grad nit
sage, daß mir uff dem Schauplatz e angcnehm's Plätz'l an-
gewiese kriegt hätte; im Gegentheil, m'r sitze in emme Haus,
deß jeder Nochbar gern in die Luft schprenge dhät, wann's
nit gegen Dynamit un annere Dinger gfeit wär. 'S Fun-
dament an dem Haus — d'r ächt deutsche Sinn, die Maure
— unser Armee, un d'r Hausverwalter — unser deitscher
Kaiser, sin drei Factoore, mit dene m'r rechne muß, un die
d'r gsammt europäische Nochbarschaft, wann's emool wirklich
Händ'l gäb e harti Nuß usizuknacke gäbe. Ging die ganz
nachbarlich Gsellschast, wie Russe, Franzose, Türke un so
weiter un so weiter an uns, so wäre natürlich viel Hund
des Hasen Tod, un ich müßt aach die Flint in's Korn werfen
un wehmüthig d'r schterbende deitsche Eich, die d'r europäisch
Schturm geknickt hätt, zurufe:
Sturmwind kam herangejagt
Wild über Hügel und Heide.
„Neigt Euch!" rief die Erle verzagt,
„Beugt Euch" rief die Weide.
Sturmwind rast durch's Baumgeäst,
Zweige knarren und knacken;
Nur die Eiche steht trotzig und fest,
Beugt nicht Haupt und Nacken. —
Singend sein wildes Siegeslied
Weiter durch Wald und Wiese
Zog der Sturm. — In Moos und Ried
Lag der entwurzelte Riese.
Pnd die Erle zur Weide sprach:
„Siehe wir leben alle,
Doch die Eiche, die deutsche brach,
Uebermacht bracht sie zu Falle."
Todwund sprach der gewaltige Baum:
„Will euch das Leben nicht neiden,
Sterben muß ich, ich schaffe Raum,
Schmiegsamen Erlen und Weiden.
Wieget im Winde das grüne Haar
Ueber der modernden Leiche.
Erlen und Weiden, ihr dauert — ich war,
Aber, ich war die Eiche."
Deß wär ungfähr d'r Schwanegsang an unser deitschi
Eich', an unser schtarks Vatterland mit seine gsunde Lünder-
äscht. Ich hoff awer, daß ich deß Lied nit zu singe brauch, sundern
wann's Noth dhut unser wehrhaftig Jugend anschporn, daß
se nein haut, wie Blücher un daß schtatt daß se die deitsch
Eich fälle vun denne wo's mit uns hawe die Fetze fliege,
durch ächt deitsche Hieb, wie se anno Siewezig mit Glanz
un Schneid ausgedeehlt worre sin. Wanns Noth dhut geh
ich aach mit un wäsch nein, so kleen ich bin, is es nit mit
em Schwert, so schpitz ich die Feder, deß wirkt grad so, wie
wann m'r sunscht neinwäscht; ich will se schun an ihr deitsche
Pflichte mahne wann's gilt, un e guts patriotischs Wort,
find immer sein gute Ort, wann aach leider mancher deitsche
Scheereschleifer daab is dafor, die Raß läßt m'r in Zeite
d'r Noth entweder links liege, odder in de Schpieg'l vun
anno 1813 gucke, daß se sehe, wie hibsch se sich ausnemme.
— So, deß wäre ungfähr die deßjährige Sylvesternacht-Ge-
danke vun emme Deitsche; sin se zwar aach e bißl duschter
uffgetrage, so sin se doch keen Phantasie, dann die Lag is
ernscht Männer, hawe m'r zu schwarz in die Zukunft gsehe,
so is es e Glück for uns, un grad deß Glück wünsch ich
em deitsche Volk vun ganzem Herze. All meine liewe Lese-
rinnen un Leser awer wünsch ich ganz bsunders im kummende
Johr alles, was se sich selwer wünsche: Gsundheit, Glück un
Friede, hawe se deß, so knüpf ich noch e ganz bscheide
Wünsch'che dran, daß se aach im kummende Johr mein
Schnooke un Gschichte so freundlich uffnemme wie deß Johr.
Aach im kummende Johr werr ich bemüht sein, recht viel
Luschtigs un Gemüthlich's zu verzeehle, damit die Leser zu-
frieden sin mit m'r. For heit un deß Johr awer scheid'
ich vunenne mitemme herzliche „Prosit Neujohr!"
Homonym.
Ein Kaufmann und ein Offizier,
Die saßen jüngst bei Tisch mit mir,
Ich gab in des Gespräches Lauf
Den beiden Herren Räthsel auf.
Da kam mir in den Sinn ein Wort —
Zum Räthsel formt' ich es sofort
Und sprach: „Für Sie hat's guten Sinn,
„Ich weiß, Ihr Reichthum liegt darin.
„Von Ihnen wird, Herr Lieutenant,
„Mit Abscheu nur das Wort genannt!"
Sie riethen lange hin und Her. —
Hältst Du das Räthsel auch für schwer?
Lesefrucht.
Weißt Du, was die Liebe ist?
Ach, ein Kind mit leisen Schwingen;
Schwärmend bald und bald voll Schmerz,
Müht es sich, in jedes Herz
Los und luftig einzudringen.
Zagend jetzt, und jetzt voll Muth,
Launig jetzt, und jetzt voll Glut.
Kennst Du es, das ist die Liebe.
Verantwortlicher Redakteur: Philipp Klausner, Heidelberg.
Druck und Verlag von Wurm L Pfeffer in Heidelberg.
MM
1887
Erscheint jeden -Sonntag als
Gratis Beilage.
rsrmÄnrE
UvDsvv^
Einzelne Nummern 5 Pfennig
mit Haupt-Blatt 10 Pfg.
!IIIIIIIIII»HMNMl«N!ttlII!ttI,II!II
6unt-ä6-^6r, der Salon-Bandit.
Pariser Polizei-Roman von Henri Demesse.
16) (Fortsetzung.)
„Fürwahr, Ihre Kühnheit überschreitet alle Grenzen!"
rief sie aus, indem sie sich gegen den Ausgang wandte.
„Wohin wollen Sie?" fragte der Graf, ruhig vor sie
hintretend.
„Ich gehe zu meinem Gatten, um mich selbst anzuklagen,
ihn gegen Sie aufzurufen, und Ihre Bestrafung herbeizu-
führen. Geben Sie mir den Weg frei, oder ich rufe um
Hülfe!"
„Nicht vom Fleck, Madame! Ich habe es Ihnen be-
reits angedeutet und wiederhole es: Sowohl Sie, wie Ihr
Gemahl, der Marquis de Roqueville, sind in meiner Gewalt!"
Die Marquise erbebte von Neuem.
„Ihren Gemahl vermag ich für immer unschädlich zu
machen. Ein Wort von mir, einen meiner Beweise, die ich
mehrfach gegen ihn habe, — und der Mar quis de Roqueville,
der Träger eines edlen Namens, dessen Ahnen über acht-
hundert Jahre zählen, wird den Rest seines Lebens im Bagno
zubringen."
Frau de Roqueville stieß einen markerschütternden
Schrei aus.
„Großer Gott, was wagen Sie zu behaupten?"
„Nichts, das ich nicht zu beweisen vermöchte", erwiderte
der Graf schlagfertig.
„Und dennoch muß es Lüge sein"! rief die Marquise
aus. „Denn kommt es nicht aus Ihrem Munde? Warum
schleudern Sie diese Beschuldigung dem Marquis de Roque-
ville nicht in's Antlitz? Er würde Sie zu beantworten wissen
und Sie für diese Beleidigung züchtigen. Ich aber vermag
Nichts anzufangen, um ihn zu rächen!"
Der Graf de Ribauval lachte diabolisch.
„Der Marquis!" sagte er sarkastisch. „Der Marquis!
Madame, glauben Sie mir, daß er Alles aufbieten wird,
jeden Streit mit mir zu vermeiden —"
„Sie wagen zu behaupten —?"
Mit langsamer Stimme antwortete der Graf:
„Ich wage es zu behaupten, Krau Marquise, daß Sie
beide in meinen Händen sind. Begeben Sie sich zu dem
Herrn Marquis und erzählen Sie ihm von dem Komman-
danten Alphons de Logny. Ihr Herr Gemahl mag Sie
j tödten, verstoßen, gleichviel. Hortense wird um jeden Preis
mir angehören, denn Herr de Roqueville hat mir die Hand
seiner Tochter feierlich zugesagt. Genehmigen also auch Sie
diese Verbindung; wenn nicht, so ist für Sie Alles verloren,
denn ich werde kein Geheimniß mehr aus Dem machen, was
ich weiß, wenn Sie mir zu trotzen wagen!"
„Welche Anschuldigung vermögen Sie gegen meinen Ge-
mahl zu erheben? Sprechen Sie, ich bin auf das Schlimmste
gefaßt!"
„Wie, Sie wollen, daß ich es Ihnen sage?" fragte
Ribauval mit entsetzter Ruhe. „Sie verlangen, daß ich den
Schleier hinwegziehe von dem Geheimniß der Vergangenheit
und Ihnen die Wahrheit unverhüllt zeige, die Wahrheit, was
sie auch enthalten mag? Sie bestehen darauf es wissen zu
wollen ?"
„Ja, ich bestehe darauf!" antwortete die Marquise fest,
sich stolz aufrichtend. „Sei es, was es wolle, ich will es
wissen, Alles, Alles! Reden Sie!"
„Um Ihnen Alles zu erklären, muß ich in die Ver-
gangenheit zurückgreifen!" begann der Graf nach minuten-
langem, wohl berechnetem Schweigen. „Sind Ihnen, Frau
Marqmse, die früheren Beziehungen Ihres Gemahls zu einer
Wittwe bekannt, welche Millionen besaß?"
„Nein, davon weiß ich Nichts," anwortete die Marquise.
„So ist es Ihnen ebenfalls unbekannt geblieben, daß
der Marquis aus diesem Verhältniß Vater eines Zwillings-
paares ward ?"
Dieser neue Schlag traf mit furchtbarer Wucht das
ahnungslose Haupt der Marquise.
„Vater eines Zwillingspaares?" wiederholte sie tonlos.
„Ja," fuhr der Graf unerbitterlich fort, „Vater zweier
Kinder: eines Knaben und eines Mädchens!"
„Großer Gott!" hauchte die Marquise.
„Und diese Kinder sind von ihrem Vater anerkannt, so
daß sie seinen Namen zu führen berechtigt sind."
„Beide sind am Leben ?"
Ribauval bejahte.
„Und das Geheimniß Ihrer Geburt ist Ihnen bekannt?"
forschte die Marquise angstzitternd.
„Nein !"
„Kennen Sie diese Unglücklichen?" fragte die Marquise."
„Ich kenne den Einen, den Sohn!"
„Wer — was ist er?"