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Heidelberg College [Hrsg.]
Alt-Heidelberg: Heidelberg College magazine — 1887

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— 208

Perkes.


Heut Owend hält also
's Chrischtkind'l, deß schun
daage- un wochelang so sehn-
lichst erwart't werd vun Jung
nn Alt endlich sein Einzug
bei uns. Wie viel Schtunde
bei Daag un Nacht sin ge-
opfert worre, um de Weih-
nachtsdisch orndlich garnire zu
könne mit all denne Sache,
die Aag odder Herz erfreue.
Mit müdem Haupt un ge-
röthete Aaage hott sich manchs
Menschckind, deß seine Ange-
hörige e unerwarteti Freid
bereite will in de letschte Daage
vielleicht lang noch Mitter-
nacht erscht in's Bett gelegt,
um sich im Geischt die Uewer-
am Chrischt-
vorzuträume. D'r
günschtige Witterung Wege, die
korz vor Weihnacht eingetrete
is, schlägt endlich 's gschäft-

liche Lewe unserer Schtadt sein mächtige Woge. Sogar
's anschpruchloseschte Schaufenschter is weihnachtlich gschmückt
un en blendender Lichterglanz ergießt sich iwer jedes Waare-
lager. In de Owendschtunde herrscht iweral e Woge un
Dränge, wie wann die ganz Schtadt en eenziger Jahrmarkt
wär. Norr noch e paar Schtund un andächtig umschteht
die hoffend Kinnerschaar de ewe angezündete Weihnachtsbaam:
„O du fröhliche, o du selige, gnadebringende Weihnachtszeit"
singe se so inschprünschtig, daß es eem 's Wasser in die
Aage treibt, weil m'r in dem selige Moment jo selwer widder
jung, selwer e Kind werd, deß noch nix weeß vun denne
schwere Schtürm des Lewens. Leis lischpelt jedes die schöne
Worte for sich hin:

Nun weht des Himmels Weihnachtswonne
In Tannendüften erdenwärts
Und aus der Kerzen Strahlenbronne,
Ergießt sie sich in jedes Herz.

Und aus der Glocken Hellem Munde
Ertönet sie in jedes Ohr,
Und bringt dem Menschen frohe Kunde
Sie trägt zum Himmel ihn empor.

Geschlossen zwischen Erd' und Himmel
Ist wiederum der frohe Bund,
Und leuchtend wie ein Sterngewimmel
Thut jeder Weihnachtsbaum es kund.
Und wie mit engelgleichem Triebe
Erfüllet sich der Menschen Brust,
Und überall erweckt die Liebe
Auf Erden reine Himmelslust!

Wie is doch die Welt so reich an schöne Dinge, denkt
aach die bleich Mutter im ärmliche Kleed, die in Gedanke
versunke an cmme Helle, prächtig ausgschattete Schaufenschter
schteht. Die Thräne rinnere langsam die Backe nunner, dann
sie kann vun all dene Schätze nix erwerwe, Hott se sich doch
zu wehre 's däglich Brod for ihr Häufele hungriger — - awer
aach so liewer — Kinnerche uffzubringe. Wer werd ihre un
ihre arme Kinnerche am heilige Owend dscheere? Wer ihne
de Chrischtbaam uff de Disch stelle? Niederg'schlage geht se
Heem. Wie MH werd se vun de Ihre, dene se d'r eenzige

Ernährer is, empfange. Sic warte jo schun lang usf'K
Nachtesse vun ihrer Hand. „Mutter, was kriege dann mir
Heut' Owend zu Weihnächte?" fragt, wie schunn ost in de
letschte Däg deß odder soll vun de Kinner, dene anere reichere
vun ihre Hoffnunge un Wünsch verzeehlt hawe, weil selte
der Unnerschied zwische arm un reich unner de Kinner, wann
se so zammekumme zu bemerke is. Armes Kind! For dich
is leider ken Dannebaam gewachse, wann nit mildherzige
Mensche deiner gedenke. So viel Tausend armer Kinnen
gehe dem Fescht d'r „Liebe" mit so frohe Hoffnunge cntgege,
awer am Weihnachtsowend is leider manch's Fenschter ewe
so dunkel wie gewöhnlich, weil die Sunn der Liewe nit so-
weit reicht.
Nicht überall erglänzen Kerzen
Und dunkel bleibt's an manchem Ort
Ja dunkel bleibt's in manchem Herzen,
Aus dem das Glück gezogen fort.
Das Glück, das wohl in schönen Stunden
Die schönste Zukunft mild verhieß
Und trügerisch gar bald entschwunden
Und Trauer nur und Thränen ließ.
Auf manches müde Antlitz sendet
Sich der Erinnerung Wehmuthflor.
Die arme Mutter weinend denket
Des Gatten, den sie jung verlor.
Wer soll des Herzens Kummer lindern,
Wer tritt für die Berlassne ein,
Wer wird nun den verwaisten Kindern
Ein Vater und Ernährer sein?
Kein Tannenbäumchen, keine Gabe
Prangt für die Kinder auf dem Tisch.
Und zaghaft steht von fern der Knabe,
Er schaut zur Mutter träumerisch.
Noch saßt er kaum der Theureu Schmerzen,.
Doch als der Mutter Thräne rann,
Da fühlt er in dem Kinderherzen
Das Weh, daß er nicht helfen kann.
Ihr deren Lust kein Leid vergiftet
Und keines Mangels Machtgebot
O heilt die Wunden, Freude stiftet
Und lindert jener Armen Noth.
Und wenn das Leid euch nicht begegnet,
Sucht aus die Hütten, tretet ein,
Und euer Eingang wird gesegnet,
Gesegnet euer Ausgang sein.
Den Gruß von ihren theuren Todten
Erwecke eurer Liebe Macht,
Dann werdet ihr die Himmelsboten
Die ihnen künden: „Wcihenacht."
Auflösung des Arithmogryphs in voriger Nummer:
Ludwig Kühne.
Richtig gelöst von: Franz Keidel, Oskar K., Gg. Wittlinger, Fritz
Link und Wilh. Jörg von hier, Otto Pantlen in Neckargemünd, Johann
Heiß in Schönau, PH. Conr. Lutz in Neckarschwarzach, Georg Oesterlein in
Eberstadt bei Buchen, Heinrich Bopp in Lahr, (Baden) uud Maria Herion
in Nußloch.
Auflösung des Räthsels in voriger Nummer:
Zahlmeister.
Richtig gelöst von: Gebhard in Auerbach.
Verantwortlicher Redakteur: Philipp Klausner, Heidelberg.
Druck und Verlag von WuruHM^fesser iiMMMMW»M»WE


^ 52 Ersch-uu^^mEg at- Sonntag, den 25. Dezember ^-Mmm°^ ! M87.

Gin Verbittertes Herz.
Roman von Adolph v. Plattensteiner.
3) (Fortsetzung.)
Die Gnädige blickte besorgt auf den Bruder, der sich, als
Ellen sich so schnell entfernte, tief aufseufzend in den Anblick
der großen Quaderschalen vertiefte.
„Wenn sie ihn nicht lieben könnte?" zuckte es blitzartig
durch ihre Seele.
„Wenn sich die von mir genährten Hoffnungen nicht ver-
wirklichten? — O, mein Gott, nur das nicht — ich wüßte
nicht, wie ich es ertrüge!"
Ihre Gesichtszüge hatten etwas Steinernes angenommen,
nur die tiefliegenden Augeu wetterleuchteten nach der gegen-
überliegenden Anhöhe.
„Sie wird, sie muß ihn lieben!" stieß sic plötzlich Hervor.
„Da bin ich wieder!" rief Ellen, wie Gabriele im
„Nachtlager" und reichte Kathinka den Hut.
In diesem Augenblick fuhr auch Mops um die Ecke.
Der Rittmeister half den Damen in den Wagen, er selbst
aber nahm auf dem Bocke Platz. Mops reichte ihm die
Zügel und dann bestieg er das Coups. Die feurigen, wohl-
genährten Thiere zogen an und nun ging es langsam zwischen
dem Schloß und dem Verwalterhause hindurch. Der Ver-
walter mit seinen schwermüthigen Zügen grüßte ehrerbietig
zum Fenster herab, und die Frau Verwalterin knixte sich unter
der Hausthüre fast müde. Nun aber ging es bergauf. Die
Rappen legten sich voll in's Geschirr und die Räder sanken
tief in den durchnäßten, lehmigen Boden ein.
Auf der Höhe vor dem Wald ließ der Rittmeister die
Pferde verschnaufen. Bis hieher wurde auch kein Wort ge-
sprochen, denn der Rittmeister Hatte zu viel mit den Pferden
zu thun, die Gnädige schien tief in Gedanken versunken, Ellen
konnte sich an der schönen, fruchtbaren Gegend nicht satt sehen
und Mops Hatte nur Augen für seinen Herrn.
Von dieser Stelle aus genoß man den freiesten Neber-
blick. Das Kirchdorf lag, wie schon gesagt, in Mitte der
muldenförmigen Gegend. Weit drüben von der Höhe schimmerte
das Schloß der Spreng herüber und diesseits lag das freund-
liche Stollberg mit seinen grünen Jalousien und der saft-
grünen Terrasse mit den gelben Kieswegen und dahinter der
hochliegende Tannenwald mit seiner hohen Tannengasse, wie
sie in dortiger Gegend von Jung und Alt genannt wird. —
Durch sie gelangte man zur nächsten Bahnstation, durch welche

die Abgeschlossenen auf's Neue mit der großen Welt ver-
bunden wurden. —
„Tante, wem gehört des hübsche Schloß da drüben?"
fragte Ellen, als sie längere Zeit hinübergeblickt.
Die Gnädige zuckte zusammen, als sei sie auf Nebenge-
danken ertappt worden. Der Rittmeister führte einen leichten
Schlag auf die Pferde, die nun den Wagen durch einen hef-
tigen Ruck zum Gehen brachten und Mops veranlaße, sich
bequemer zurückzulegen.
„Das Schloß gehört Denen von Spreng!" sagte der
Rittmeister, mit der Peitsche eine Bremse verscheuchend, die
man vom Fond des Wagens nicht sehen konnte.
„Von Spreng?" sagte sinnend Ellen. „Ist mir doch,
als hätte ich diesen Namen schon nennen Hören."
„Möglich!" gab die Gnädige zur Antwort und dann
legte sie sich zurück und schloß die Augen.
Gleich darauf lenkte der Wagen in die hohe Tanneugasse
ein. Die Tannen und Föhren, die rechts und links gleich
einer hohen Mauer an der Straße stehen, verursachten eine
plötzliche Dämmerung. Das Schnauben der Pferde und das
Aechzen der sich unmuthig über Wasserlücken und Wurzeln be-
wegenden Räder klingt dumpfer und hohler, ja selbst die
Stimme des Menschen nimmt eine liefere Klangfarbe an.
Blickt man gegen den Himmel, so scheint es, als fahre man
durch einen Säulengang, der sein Ende dort oben findet.
Der Rittmeister rückte, um den Damen mehr Aussicht
und sich mehr Einsicht zu gönnen, auf die eine Seite des
Bockes. Die Gnädige hielt noch immer die Augen geschlossen,
um so mehr aber hatte Ellen in sich aufzunehmen. Mops
löste die verschränkten Arme, um den Zeigefinger des einen
unter die Nase zu bringen.
So ging es weiter und weiter hinein.
„Herrlich, herrlich ist es hier!" rief Ellen, in das dunkle
Grün blickend, das rechts und links den Boden bedeckte. „Und
sieh' nur Tante, diese vielen, vielen Erdbeeren, — ach, wenn
Du mich nur aussteigen ließest?"
„Es ist noch zu naß, Ellen, die Gasse braucht immer
mehrere Tage, um trocken zu werden," meinte die Gnädige,
sich geradesetzend.
Der Rittmeister zog die Zügel an.
„Mops, zu den Pferden!" befahl er, die Peitsche in dem
Rohre bergend.
Mops hielt die Pferde und der Rittmeister schwang sich
vom Bocke und schritt über die Straße zu den Erdbeeren hinüber.
 
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