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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Voepel, Otto: Ausbildung und Prüfungen des Architekten
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0014
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Fritz Bräuning, Joachimsthalsches Gymnasium in Templin
Berlin-Tempelhof (Mark). Schülerkasino. (Vergl. Tafel 2—7)


Leider ist diese allein sinngemäße Unterschei-
dung weder in den Studienplänen der einzelnen
Hochschulen (von denen wir zunächst einmal ledig-
lich die norddeutschen, also preußischen, und die
ganz unter preußischem Einfluß stehende Braun-
schweiger berücksichtigen wollen), noch in den
Prüfungsvorschriften mit der wünschenswerten Klar-
heit durchgeführt.
Es erscheint nur als eine selbstverständliche
Forderung der Logik, daß das Studium der vor-
bereitenden Fächer den ersten Abschnitt der prak-
tischen und theoretischen Ausbildung darstellt. Und
daß sich auf der so gewonnenen Beherrschung der
Grundlagen die Ausbildung in der Haupttätigkeit
des Architekten, im Entwerfen, während des
zweiten Hauptabschnittes aufbaut, ohne daß in
dieser Zeit noch wertvolle Zeit auf ganz elementare
Fächer wie Baustofflehre, Statik und Baukonstruk-
tionslehre verwendet werden muß. Ein Vergleich
mit dem Studium des Mediziners liegt nahe, der
vor den klinischen Semestern, die der eigentlichen
Fachausbildung gewidmet sind, die vorbereitenden
Fächer Anatomie und Physiologie in dem Um-
fange studiert haben muß, daß Wiederholungen in
diesem zweiten Abschnitt im Staatsexamen nicht
nötig sind.
Gegenüber dieser Klarheit herrscht in den Studien-
plänen und Prüfungsvorschriften der Technischen
Hochschulen eine merkwürdige Verworrenheit. So
grundlegende Fächer wie Baukonstruktionslehre
und Statik werden ganz willkürlich ohne innere
Notwendigkeit zerrissen, teils in der Vorprüfung,
teils in der Hauptprüfung behandelt und so durch

die ganzen acht Semester des Studiums, nicht ohne
zahlreiche und ermüdende Wiederholungen, hin-
durchgeschleppt. Von der Baukonstruktionslehre
werden zum Beispiel nach preußischem Muster
erst in der Hauptprüfung gefordert: Gründungen,
innerer Ausbau, Eisen- und Eisenbetonbau, und
in der Statik: angewandte Statik der Stein-, Holz-,
Eisen- und Eisenbetonkonstruktionen. Das elemen-
tarste aller Lehrfächer in der Architektur, die Bau-
stofflehre, wird aus schwer begreiflichen Gründen
an das Ende des Studiums gesetzt!
Danach müßte es scheinen, als ob es in den ersten
vier Semestern des Hochschulstudiums nicht möglich
sei, die Baukonstruktionslehre und Statik in ihrem
gesamten Umfange zu bewältigen. Das mag aller-
dings nach dem heute üblichen Lehrsystem der Fall
sein. Der junge Student kommt mit einer ganz un-
genügenden achtwöchigen praktischen Vorbildung
(die er übrigens häufig erst nach den ersten Se-
mestern in den Ferien sich aneignet) zur Hochschule
und muß hier wertvolle Zeit mit einer Repetition
seiner Pennalwissenschaften (Physik und Chemie)
verlieren, während ein so elementares Fach wie dar-
stellende Geometrie in einer Weise in die Breite
gezogen wird, die ihm — nicht immer angenehme —
Erinnerungen an den Lehrbetrieb der Sekunda er-
weckt und ihn zum Bummeln geradezu heraus-
fordert. Wozu regelmäßiger Besuch der Vorlesungen
und Übungen, wenn er sich diese ganze Wissenschaft
mit Leichtigkeit in wenigen Wochen vor dem Examen
ein pauken kann?
Es ist doch eigentlich beschämend, daß der Ab-
solvent der Baugewerkschule mit Volksschulbildung

Architektonische Rundschau 1914
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