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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Voepel, Otto: Ausbildung und Prüfungen des Architekten
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0015
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nach fünf Semestern in praktischer Statik, Bau-
konstruktionslehre und Baustoffkunde dasselbe —
in Baukonstruktionslehre sogar durchweg mehr —
leistet wie der Akademiker nach mindestens acht
Semestern in Vor- und Hauptprüfung zusammen.
Jenem kommt freilich die gründlichere praktische Vor-
bildung zugute, während dieser unter falsch verstan-
dener „Wissenschaftlichkeit“ der Ausbildung leidet.
Diese unbestrittene Ebenbürtigkeit oder gar Über-
legenheit der Baugewerkschule inbezug auf praktisch-
technische Vorbildung legt die Frage nahe, wel-
chen Zweck die Be¬
handlung genau des
gleichen Unterrichts¬
stoffes auf zweierlei ver¬
schiedenen Bildungs¬
anstalten hat. Wäre
es nicht möglich, die
gesamte vorbereitende
Ausbildung bis zur Vor¬
prüfung der Bauge¬
werkschule zu über¬
lassen? Oder, um zu¬
nächst weniger radikal
vorzugehen, dem Stu¬
dierenden bis zur Vor¬
prüfung die Wahl zu
lassen, ob er diese Se¬
mester an der Bauge¬
werkschule oder an
der Technischen Hoch¬
schule arbeiten will.
Ich bin überzeugt, daß
der vorurteilsfreie Stu¬
dierende , dem es in
erster Linie auf Tüchtig¬
keit seiner Ausbildung
ankommt und der sich
frei fühlt vom akademi¬
schen Dünkel, in vielen
Fällen auf den Rat äl¬
terer Kollegen heute der
Baugewerkschule den
Vorzug geben würde.
Da es in der Prüfung lediglich auf die nachgewie-
senen Kenntnisse ankommt, nicht aber darauf, wo
sie der Kandidat erworben hat, so sollten einer An-
rechnung der Baugewerkschulsemester (wohl ge-
merkt: bis zur Vorprüfung) eigentlich keinerlei Be-
denken entgegenstehen. Erweisen sich dann die dort
erworbenen Kenntnisse als ebenbürtig, so könnte
man bald einen Schritt weiter gehen und die Reife-
prüfung der Baugewerkschule (selbstverständlich
Maturum vorausgesetzt) der akademischen Vorprü-
fung gleichstellen. Schließlich vielleicht die ganze
Ausbildung in den vorbereitenden Fächern auf die
Baugewerkschule verlegen. Die heute bereits von
verschiedenen Seiten eindringlich erhobene Forderung

des Einjährigenzeugnisses für den Besuch der Bau-
gewerkschulen und der Verweisung des minder gut
vorgebildeten Schülermateriales an die Gewerbe-
schulen würde bei ihrer Erfüllung zu einer weiteren
Klärung in dem ausgeführten Sinne wesentlich bei-
tragen. (NB.! Wieviel Hochschuldozenten, die heute
über diesen Vorschlag die Achsel zucken, kennen
die Leistungen der in den letzten Jahren geradezu
erstaunlich fortgeschrittenen besseren Gewerbe- und
Baugewerkschulen aus eigener Anschauung?)
Die Ausbildung des höher gebildeten Architekten
würde dann dort ein-
setzen, wo die des Bau-
technikers aufhört. Das
würde den erfreulichen
Nebenerfolg haben, daß
eine klare Scheidung
der Wirkungsgebiete
beider wesentlich geför-
dert würde. Dem Tech-
niker und auch dem
Publikum würde viel
mehr als jetzt zum
Bewußtsein kommen,
in welchen Fällen sie
der Hilfe des Architek-
ten bedürfen.
Doch eine derartige
Umgestaltung des Un-
terrichtswesens im Bau-
fach wird zunächst
noch lange ein from-
mer Wunsch bleiben.
Einstweilen muß ver-
sucht werden, inner-
halb der bestehenden
Verhältnisse eine Ver-
besserung der prakti-
schen und theoretischen
Ausbildung des Archi-
tekten zu erzielen.
Fassen wir zunächst
nur den ersten Ab-
schnitt des Studiums
ins Auge, so ergeben sich nach dem Gesagten
folgende Hauptforderungen:
1. Gegenüber der jetzt verlangten achtwöchigen
„Tätigkeit auf einer Baustelle“ eine mindestens ein-
jährige gründliche Betätigung auf allen Gebieten
des Bauhandwerkes in derselben Weise, wie sie vom
Maschineningenieur gefordert wird.
2. Gründliche und erschöpfende Behandlung der
vorbereitenden Fächer in der ersten Hälfte der theore-
tischen Ausbildung, d. h. bis zur Vorprüfung inner-
halb von vier bis fünf Semestern. Wie dieses Ziel
zu erreichen ist, soll im Folgenden angedeutet
werden.
0 (Fortsetzung und Schluß folgt in dem nächsten Heft) 0

Fritz Bräuning, Einfamilienreihenhaus in Hannover.
Berlin-Tempelhof Treppenaufgang. (Vergl. Tafel 8)


Architektonische Rundschau 1914
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