Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

DOI Artikel:
Voepel, Otto: Ausbildung und Prüfungen des Architekten, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0028
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Friedrich Schultz, Stadt- Kapelle des Sennefriedhofes in Biele-
baurat in Bielefeld feld. Rückseite. (Vergl. Tafel 21—23)


tionslehre), wachsen z. B.
an der vorhin erwähnten
Hochschule diese sieben
Fächer zu zwölfen an, in
denen neun Dozenten den
unglücklichen Kandidaten
1372 Stunden hindurch (da-
von 6 bis 7 Stunden an
einem Tage!) prüfen. Der
Kuriosität halber seien diese
zwölf Fächer hier aufgeführt.
Es prüfen
je ein Dozent in:
I Baugeschichte des Altertums 1
• ,, ,, Mittelalters 1
(Landwirtschaftliche Baukunde 1

Heizung und Lüftung . . . 1
.Formenlehre der Antike und
< Renaissance.1
(Städtische Bauten . . . . 1
Kunstgeschichte.1
Eisenbetonbau (Konstruktio¬
nen und Statik) . . . . 1
Baugeschichte der Renaissance 1
Eisenkonstruktionen u. Statik 1
/Baukonstruktionslehre und
. Statik.i'/->
'Baustoffkunde.1
Formenlehre des Mittelalters 1

Zusammen 1372
Diese mündliche Prüfung,
die sich so viel mehr in die
Breite als in die Tiefe er-
streckt, ist weiter nichts
als eine Art Gedächtnisakro-
batik; sie bietet aber keiner-
lei Möglichkeit, die wirk-
lichen Fähigkeiten eines Kan-
didaten zu beurteilen; auch
die häusliche Diplomarbeit
ist dazu wenig geeignet, da
sie unter ganz unkontrollier-
baren Einflüssen entsteht.

schulen (Stuttgart, München) nähern sich dem hier
skizzierten Programm bereits in erfreulicher Weise.
Im Norden dagegen hegt man unter dem Einfluß
Preußens eine ganz entgegengesetzte Auffassung
von der Ausbildung des Architekten. Hier wird
das Hauptgewicht nicht auf das Können, sondern
auf das eingepaukte Wissen gelegt. Schon die
Prüfungsvorschriften lassen dies erkennen. Außer
einer in ihrem Wert ziemlich problematischen häus-
lichen Diplomarbeit (die man in Bayern und Würt-
temberg nicht kennt) wird nur eine flüchtige (etwa
sechsstündige) Klausur vorgeschrieben; dagegen eine
mündliche Prüfung in sieben verschiedenen Fächern;
dadurch, daß in einzelne dieser Fächer sich mehrere
Dozenten teilen müssen (siehe oben: Baukonstruk-

So kann es geschehen, daß
der „mit Auszeichnung“ bestandene Diplomingenieur,
vor die erste, einfache Aufgabe der Praxis gestellt,
eine ziemlich klägliche Figur macht. Mancher
Bureauchef weiß ein Lied davon zu singen.
Wie gesagt, besteht die hier skizzierte
Prüfungspraxis in Preußen und in der unter preußi-
schem Einfluß stehenden Braunschweiger Hoch-
schule. In den übrigen Bundesstaaten ergeben sich
wesentliche Abweichungen. Es wurde schon vorhin
erwähnt, daß in Bayern und Württemberg eine
häusliche Diplomarbeit nicht gefordert wird; dafür
ist die Zahl der verlangten Studienzeichnungen
ziemlich hoch und genau festgesetzt, was bei den
an der Münchener und besonders an der Stuttgarter
Hochschule wirkenden jüngeren, als schöpferische

Architektonische Rundschau 1914
Seite 16
 
Annotationen