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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Voepel, Otto: Ausbildung und Prüfungen des Architekten, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0029
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Friedrich Schultz,
Stadtbaurat
in Bielefeld

Einzelgrab auf
dem Sennefried-
hof in Bielefeld

Künstler bekannten Lehrkräften eine erfreuliche
Vertiefung der während des Studiums zu leistenden
Arbeit zur Folge haben kann (in Norddeutschland
würden derartige Vorschriften unter den jetzigen
Umständen zweifellos die bekannte „Bogenfabri-
kation“ noch mehr fördern). Ferner werden in der
Hauptprüfung alle in Betracht kommenden Fächer
bei reichlicher Zeitbemessung schriftlich be-
handelt (fünf- bis sechstägige Klausur), wobei die
Benutzung der Kolleghefte und der Fachliteratur —
entsprechend den Verhältnissen der Praxis — in
gegebenem Umfange gestattet ist. Dadurch, sowie
durch eine ganz erhebliche Verminderung der münd-
lichen Prüfung auf etwa 2 Stunden (in Kunst-
geschichte, Bauhygiene, Baustofflehre) wird dem
Kandidaten das nutzlose Einpauken toten Wissens
vor dem Examen nach Möglichkeit erspart und viel
mehr eine Erziehung zum selbständigen Schaffen,
zum Können, gefördert.
Eine derartige grundverschiedene Auffassung
vom Zweck und Wesen der Diplomprüfung in
Nord- und Süddeutschland gibt immerhin zu denken,
wobei es dem unparteiischen Beurteiler wohl nicht
entgehen kann, daß der frische künstlerische Zug,
der seit einigen Jahren durch unser Bauschaffen
geht, vorwiegend im Süden Anregung und Förde-
rung fand. Während das amtliche Bauschaffen im
Norden sich noch durchaus in den Geleisen der vom
Kaiser bevorzugten Stilarchitektur bewegt.
Zwischen diesen Gegensätzen der preußischen
und bayrisch-württembergischen Kunstauffassung
suchen die Karlsruher, Darmstädter und Dresdener
Hochschule offenbar in ihren Prüfungsvorschriften
einen vermittelnden Standpunkt einzunehmen. Das
Musterländle Baden nähert sich am meisten der

preußischen Auffassung. Ja, es steht noch ein gut
Stück hinter ihr zurück, wenn es (wie leider auch
Sachsen) vom Architekten in der Vorprüfung höhere
Mathematik verlangt. Der Sinn einer derartigen
Vorschrift wird heute wohl kaum noch einem Archi-
tekten einleuchten. Sie ist einfach ein Zopf aus der
Zeit der unseligen Verquickung von Architektur und
Ingenieurbau. Auch Mechanik und Mineralogie
bilden in Karlsruhe besondere Prüfungsfächer, so
daß deren Zahl hier in der Vorprüfung auf 8, in der
Hauptprüfung auf 10 Pflicht- und 4 Wahlfächer
anwächst.
Die Darmstädter Prüfungsvorschriften sind offen-
bar den preußischen nachgebildet. Sie unterscheiden
sich im wesentlichen durch eine Ausdehnung der
Klausur, die in Karlsruhe in der Hauptprüfung weg-
fällt, auf drei Tage sowie durch Beibehaltung des
Prüfungsfaches: Wasser-, Wege-, Brücken- und
Maschinenbau. Kunstgeschichte ist hier Wahlfach,
nur für Staatsdienstanwärter Pflichtfach.
Erfreuliche Selbständigkeit zeigt die Prüfungs-
ordnung der Dresdener Hochschule. Hier erstreckt
sich die mündliche Prüfung (unter Wegfall der
Klausur) lediglich auf vier Fächer: Baukonstruk-
tionen mit Statik, Heizung und Lüftung, Gebäude-
kunde, Baugeschichte.


Friedrich Schultz,
Stadtbaurat
in Bielefeld

6. Bürgerschule an der Weiden-
straße in Bielefeld. Rechter
Eingang. (Vergl.Tafel27—28)

Architektonische Rundschau 1914
Seite 17
 
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