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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Haeuselmann, Johann Friedrich: Die Baukunst in der Schweiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0036
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BW 1
•Ha 1

Walter Joß &
Hans Kiauser,
(B.S.A.), Bern

Breitfeldschule in Bern. Blick
gegen das Treppenhaus am
Spielplatz. (Vergl. Taf. 54-56)

mittelalterliche Einfluß an. Die Häuser der Rhein-
uferstädte mit den überkragten Stockwerken, den
Staffelgiebeln weisen deutlich über die Grenze, doch
hat die Vorliebe für kleine Einzelheiten auch hier
reichere Bilder zu erzielen gewußt. In Basel beginnt
der rote Sandstein, die Dächer erhalten Schiefer-
deckung und die Hausflächen Freskoübermalung.
Das Steinhaus im Wallis gibt sich in romanischen
Formen, der Aufbau sitzt in dunklem Lärchen-
holz auf weißem Untergemäuer. Ganz einfach, un-
abhängig in der Form ist das Genfer Haus, während
im vorderen Graubünden die Nähe der Holzhäuser
des Mittellandes eine eigenartige Mischung von
Holz und Stein hervorgebracht hat.
Wir haben gesehen, daß ungeachtet leiser äußerer
Einflüsse in den Grenzgebieten die Schweizer eine
volkstümliche, selbständige Holzbauweise für ihre
Bauernhäuser hervorgebracht haben. Die Kraft
dieser Kunst war stark genug, um auch die städtische
Bauweise zu beeinflussen. Im übrigen jedoch geriet
diese in die Entwicklungswege der europäischen
Stilfolge. In den Einzelheiten läßt sich kaum merk-
baren Veränderungen nachgehen, die munteren
Linien der bäuerlichen Hausformen aber schimmern
selbst in allen größeren städtischen Bauten wieder.
Niedliche Rathäuser sind so entstanden; über be-
häbigen kleinen Kirchen windet sich der schlanke

Turm in die Höhe. Das drolligste ist wohl die an-
standslose Versetzung des heimischen Daches auf
die stilistisch durchgebildeten Hausflächen. Luzern
hat ein Rathaus mit florentinischer Quaderung und
einem Schweizerdach. Als im 18. Jahrhundert in
Bern eine Anzahl Häuser abbrannten, erstanden sie
neu im zartesten Barock und Rokoko mit dem typi-
schen, weit ausladenden Satteldach. Von den großen
Kirchen sind die meisten zur romanischen oder früh-
gotischen Zeit entstanden. Einfache romanische
Kreuzkirchen stehen im Waadtland, Basiliken in
Schaffhausen und in Einsiedeln; Burgen sind im
ganzen Lande verstreut. In frühgotischer Zeit er-
hielten die Städte ihre mit kräftigen Türmen ver-
sehenen Mauern. In Solothurn pflanzen sich vor
die Stadtmauern zwei ulkig gebauchte Tortürme.
Lausanne hat die reinste frühgotische Kathedrale,
vielen Klöstern sind die reizendsten Kreuzgänge er-
halten. So hat auch die Schweiz an der Baukunst
ihrer Nachbarländer teilgenommen, und wie überall
hat auch hier die politische Umordnung im 19. Jahr-
hundert die Wege der Entwicklung zerstört. Auch
die Schweiz hat leidlich gute Rekonstruktoren ge-
habt, die große Masse der Häuser entstand aber in
jener süßwässerigen Renaissance und kitschigen
Holzbauweise, die sich vermöge der Ohnmacht eines
künstlerischen Gewissens sogar die Höhen der Berge
erobern konnte. Die jungen Schweizer Architekten
haben dann die deutschen Hochschulen besucht, und
die empfangenen Lehren verbreiten sie jetzt in Taten,
die es möglich machen, hier eine Sammlung neuerer
Bauwerke zu vereinen, die als reiche Ausbeute ein
schönes Dokument neuerer schweizerischer Baukunst
darstellt.
Alle verzichten sie auf die gequälte Erfindung
eines neuen Stils, sie schöpfen mit weisem Maße
vom Gepräge ihrer alten Kultur und geben dem
Lande Bauten, die sich rhythmisch mit dem einzig-
artigen Naturbilde vereinigen. Der grüne Boden des
Mittellandes, über dem in scharfem Gegensatz gegen
Süden die weißen Firnen und im Norden die kahlen
Juraberge sich erheben, geben dem Maler die reine
Palette, dem Architekten und Bildhauer die scharfe
Linie in der Umgrenzung der äußeren Form. So
entstehen unter dem blauen Himmel Graubündens
wieder die frischen romanischen oder mit Holz durch-
setzten Hausbilder, und auch im Westen beginnt man
auf die Beziehung zum heutigen Paris zu verzichten
und findet den Weg zur Heimat zurück. Bern hat eine
Kolonie feinsinnigster Künstler, in der Mittelschweiz
und im industriereichen Osten sind formensichere
Architekten tätig. Es lebt in der Schweiz, unterstützt
von einer weitverzweigten Vereinigung für Natur-
und Heimatschutz, wieder ein starkes künstlerisches
Gewissen; im Ausland sind eine Anzahl ihrer Söhne
erfolgreich tätig, und dem Verfasser war es eine be-
sondere Freude, an dieser Stelle das Schöne und
Gute seiner alten Heimat beleuchten zu können.

Architektonische Rundschau 1914
Seite 24
 
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