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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Probleme der Monumentalarchitektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0081
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Eine solche Spezialisierung der gegebenen Bau-
aufgabe nach der künstlerischen und nach der
konstruktiven Seite, wie sie hier vorgenommen
wurde, ist erst in der jüngsten Zeit üblich geworden.
Die Erscheinung des Bauingenieurs ist als Typus
einer besonderen Berufsklasse etwas Neues; die
fortschreitende Entwicklung der Bautechnik und
die damit verbundene Differenzierung der Kon-
struktionsweisen hat ihn ins Leben gerufen. Bis-
her waren die künstlerischen und die konstruktiven
Probleme der Architektur untrennbar verbunden,
ihre Lösung war ein und derselben Person anver-
traut. Das künstlerische Wollen war das Ent-
scheidende und in jedem Fall das Primäre; das
konstruktive Können war ihm dienstbar unter-
geordnet: die Bautechnik löste die Konstruktions-
probleme, die der Bauwille ihr zu stellen hatte.
So kam es, daß die Kunstformen und die Konstruk-
tionsformen eine integrierende Einheit bildeten, daß
sie sich gegenseitig bedingten. Heute
hat sich das Verhältnis zugunsten der
Ingenieure verschoben, und die Architek-
tur ist, nachdem sie erst einmal bei der
Lösung der konstruktiven Probleme aus-
geschaltet war, allmählich immer äußer-
licher geworden: sie erschöpft sich in
endlosen Variationen eines akademisch
überlieferten Dekorationsschemas.
Solange die Architekten aber nicht
aufhören werden, dieser bequemen, leicht
lehr- und lernbaren Arbeitsmethode zu
huldigen, solange sie immer wieder ihr
ganzes künstlerisches Interesse nur der
Ausbildung schöner Maßverhältnisse zu-
wenden, so lange werden wir verdammt
sein, Epigonen des Renaissanceideals zu
bleiben und uns mit einem epigonen-
haften Klassizismus zu begnügen.
Erst wenn die Architekten den Mut
und die Kraft finden werden, selbst
wieder zu Ingenieuren zu werden, die
konstruktiven Ideen mit architektoni-
schem Geiste zu durchdringen und sich
da zu Herren zu machen, wo sie jetzt
nur subalterne Sklavendienste leisten,
wird sich die Hoffnung auf einen selb-
ständigen monumentalen Baustil viel-
leicht erfüllen. Und wenn etwas zu
dieser kühnen Erwartung berechtigt, so
ist es die prachtvoll primitive Gewalt
und die elementare Triebkraft, die sich
in der modernen Großkonstruktion wirk-
sam zeigt. Es ist durchaus unrichtig,
zu glauben, diese genialen Ingenieur-
werke seien nur das logische Ergeb-
nis gesetzmäßig bestimmter statischer
Berechnungen. Ohne die Mitwirkung
ganz ursprünglicher intuitiver Kräfte an¬

zunehmen, vermag man diesen erfindungsreichen
Schöpfungen kaum gerecht zu werden. Das ge-
waltig gesteigerte monumentale Ausdruckspathos,
von dem sie erfüllt sind, läßt sich in die hergebrachten
klassischen Bauformen nicht mehr bannen. Die
konstruktive Kraft der modernen Bautechnik schickt
sich an, die akademische Überlieferung zu sprengen,
und sie wird unter ihren Trümmern das ehrwürdige
Renaissanceideal begraben, das jahrhundertelang die
Zivilbaukunst Europas tyrannisch beherrscht hat.
Und dann wird man endlich wieder die Probleme der
Monumentalarchitektur frei und unbefangen be-
trachten. Dann wird man es wagen, unbeirrt von
äußeren Einflüssen und von auf gezwungenen re-
präsentativen Wünschen bei der Gestaltung der
Baupläne nicht mehr von fertig überlieferten Formen
auszugehen, sondern vom Bedürfnis und von den
Nützlichkeitsforderungen einer ganz gegenwärtigen
Wirklichkeit. B.


Fritz Bräuning, Gemeindedoppelschule in Berlin-Tempel-
Berlin-Tempelhof hof. Eingang. (Vergl. Tafel 131)

Architektonische Rundschau 1914
Seite 69
 
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