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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Former, Alexander: Erweiterung von Baudenkmälern
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0083
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Walter Koeppen,
Berlin

Landhaus Koeppen in Hermsdorf. Diele
im Erdgeschoß. (Vergl. Tafel 139—140)

nämlich der Akademische Rat zu Dres-
den an das Ministerium des Innern eine
Eingabe gemacht, die behauptet, daß
„für den Ausbau der Westfront des
Freiberger Domes im Sinne der Wett-
bewerbsentwürfe weder ein praktisches
noch künstlerisches Bedürfnis besteht“,
und die Kommission zur Erhaltung der
Kunstdenkmäler in Sachsen, die bisher
immer einen neuzeitlichen Standpunkt
vertrat, hat sich diesem Urteil ange-
schlossen.
Uns erscheint dieser Entschluß sehr
bedauerlich, besonders wenn man be-
denkt, daß der Freiberger Dom bereits
in seinem trefflichen Vorbau, der Gol-
denen Pforte (von Schilling & Gräbner,
Dresden), einen durchaus befriedigen-
den Anbau in unserer Formensprache
besitzt.
Bei einer derartigen Häufung von
Fällen, die am geschichtlichen Ausbau
von Baudenkmälern festhalten, scheint
es uns geboten, wieder einmal auf diese
Verirrungen hinzuweisen.
Geschichte muß sein, und wir bedauern
jeden, der den Wert der Geschichte ab-
leugnet. Man soll sich aber nicht an die
Äußerlichkeiten der geschichtlichen Auf-
fassung halten, denn diese führen be-
kanntlich zu einem falschen Historizis¬
mus, der jederzeit, wo es auch sein mag,
abzulehnen ist. Nein, wenn man wahre
Geschichte treiben will, dann mache
man es ebenso, wie es die Jahrhunderte
vor uns alle gemacht haben, sie haben auf der einen
Seite die Bauwerke tunlichst erhalten, wenn sie
aber einmal baufällig oder erweiterungsbedürftig
wurden, dann haben sie das in ihrem eigenen Zeit-
geschmack getan, und nur in der Befolgung dieser
geschichtlichen Tendenz können wir eine wahre,
aufrichtige geschichtliche Auffassung erblicken und
in nichts anderem.
Einige Beispiele! Bereits die Antike verfuhr so.
Im Pantheon wurde im Obergeschoß des Inneren
an Stelle der halbkreisförmigen Gliederungen eine
Pilasterstellung eingefügt und außerhalb vor den
Rundbau eine Säulenstellung gestellt. Bernini
baute später zur architektonischen Vermittlung
zwei jetzt wieder entfernte Glockentürme, natürlich
in seiner Formensprache. Wie das Mittelalter ver-
fuhr, sehen wir fast an jeder unserer einheimischen
Kirchen, soweit nicht törichte Wiederherstellungen
diese Zutaten entfernt oder „verbessert“ haben.
Auch die Renaissance bediente sich bei Wiederher-
stellungen und Ergänzungen ihrer eigenen Formen-
sprache. In der gotisch begonnenen Fassade von
Santa Maria Novella in Florenz setzte L.B. Alberti

über die unteren spitzbögigen Nischen Rundbogen-
formen.
Als im 16. Jahrhundert die frühchristliche
Kuppelkirche San Lorenzo in Mailand baufällig ge-
worden war, behielt man wohl die Grundrißform
sowie den Aufbau im wesentlichen bei, es wurde aber
aus dem frühchristlichen Bau ein ausgesprochener
Renaissancebau. Besonders eifrig im „Moderni-
sieren“ mittelalterlicher Kirchenräume war die
Barockzeit, welche ohne Bedenken reich stuckierte
Scheingewölbe unter die gotischen Rippengewölbe
baute, Baßgeigenfenster statt des Maßwerkes ein-
fügte und die vielfach gegliederten gotischen Bündel-
pfeiler durch Ummantelung mit Mörtel und Stuck
zu einer antikisierenden Säule umbildete. Man hatte
damals das Verständnis und die Freude an den herben
gotischen Formen verloren; namentlich waren es
in der Zeit der Gegenreformation die Jesuiten,
welche mit allen Mitteln eines prunkvollen Kirchen-
raumes auf die Gemüter des Volkes einzuwirken
suchten und deshalb mit den effektvollen Formen
des Barockes den altmodisch gewordenen Räumen
zu neuem, bezaubernden Glanze verhelfen wollten.

Architektonische Rundschau 1914
Seite 71
 
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