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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Voepel, Otto: Baukunst und handwerkliche Schulung
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0088
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Alfred Fischer (B.D.A.),
Essen (Ruhr)

Diele im Wohn-
haus Böker

des modernen Lebens nicht allzu-
lange auf sich warten läßt!
Ebenfalls aus dem Handwerk-
lichen, aber von vornherein in
spezifisch bautechnischem Sinne,
führt die Baugewerkschule ihre
Zöglinge zur Baukunst. Sie, die
früher — nicht ganz mit Unrecht
— zum Sündenbock für die bau-
liche Verunstaltung in Land und
Stadt gemacht wurde, hat in den
letzten Jahren durch eine völlige
Neugestaltung des Lehrplanes und
unter verständnisvoller Fürsorge
der Behörden eine ganz erstaunliche
Entwicklung aufzuweisen. Die Kürze
der Lehrzeit (fünf Semester) zwingen
Lehrer und Schüler zu äußerster
Konzentration. Jedes Fach muß
unter steter Beschränkung auf das
für die Praxis Notwendige mit päd-
agogisch vollendeter Lehrweise ge-
trieben werden. Daß dabei eine
gründliche Vertiefung sehr wohl
erreicht werden kann, beweisen die
ausgezeichneten Durchschni ttser-
folge in der Baukonstruktionslehre.
Hier wird systematisch in der
fünften Klasse damit begonnen,
ein zunächst kleines, einfaches
Haus in seine Teile zu zerlegen;
also vom Ganzen auf das Einzelne
zu gehen. Im Zerlegen dieser Einzel-
heiten kann dann im Laufe von fünf

richt die Meisterlehre unterstützt und ergänzt. Welch
segensreichen Einfluß diese Schulung auf die Er-
tüchtigung des gesamten Handwerks, besonders
auch des Bauhandwerkes, ausübt, wird sich erst nach
Verlauf einiger Jahrzehnte ganz ermessen lassen.
Neben diesem Pflichtunterricht bietet die Gewerbe-
schule strebsamen Lehrlingen und Gehilfen Gelegen-
heit, sich in freiwilligen Abendkursen besonders in
künstlerischer Richtung weiterzubilden (die in diesem
Heft gezeigten Leistungen von der Stuttgarter Ge-
werbeschule entstammen solchem Pflicht- und frei-
willigen Unterricht). Und von da bis zur Kunst-
gewerbeschule ist für den Begabten dann kein allzu
großer Schritt, der ihm aber eine ungeahnte Er-
weiterung seines Horizontes über das eng Fachliche
hinaus bringen kann. Daß dieses sinngemäße Fort-
schreiten vom Handwerk zur Kunst, vom Einzelnen
zum Ganzen eine ganz vorzügliche Grundlage für
die Tätigkeit des Architekten geben kann, beweisen
die Erfolge der Düsseldorfer und der Essener Kunst-
gewerbeschule. Der Grad der Leistungen ist freilich
hier in ganz besonderem Maße abhängig von der
Leitung; hoffen wir, daß die Verjüngung und An-
passung auch älterer Anstalten an die Bedürfnisse

Semestern schon Erkleckliches geleistet werden.
Dabei ist es interessant, die Arbeitsweise des Bau-
gewerkschülers mit der des Hochschulstudierenden
zu vergleichen: jener leistet zeichnerisch in der
gleichen Zeit etwa das Doppelte von diesem.
Es fehlt hier leider der Raum, die so erfolgreichen
Unterrichtsmethoden der Baugewerkschulen im ein-
zelnen zu schildern.*) Die in diesem Hefte gezeigten
Ergebnisse des Unterrichts — nicht etwa Parade-,
sondern Durchschnittsleistungen — mögen dartun,
wie wenig die früher erhobenen Vorwürfe heute noch
für die fortschrittlichen Baugewerkschulen zutreffen.
Gerade für die Pflege heimatlicher Bauweise wirken
sie durch erzieherische Einwirkung auf die Bau-
gewerbetreibenden ganz außerordentlich segensreich.
,,Unser Ziel ist, die Bauberatungsstellen überflüssig
zu machen;“ mit diesen Worten bezeichnete ein
arbeitsfreudiger Leiter einer solchen Anstalt zu-
treffend sein Programm. Der Einfluß der verschieden-
artigen heimatlichen Überlieferung ist an den Ar-
beiten aus Nord- und Süddeutschland unschwer zu
erkennen.
*) Vergl. auch Prof. Peters über „Städtebau an fortschritt-
lichen Baugewerkschulen“ auf S. 63 d. J.

Architektonische Rundschau 1914
Seite 76
 
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