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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Thiersch, August: "Refinements" in der Baukunst der Altertums und Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0099
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Erwin Kurz, Majolikareliefs an einer Miet-
München hausgruppe in München


in Erbkams „Zeitschrift für Bauwesen“ 1873 war
hauptsächlich gegen die in Deutschland herrschende
Skepsis gerichtet, welche in jenen Kurvaturen
nur die Folge von Bodensenkungen sehen wollte.
Sie faßte alle Argumente, welche die Messungen für
die Ursprünglichkeit der Kurven geliefert haben, zu-
sammen, zog noch weitere Beispiele von Linien-
täuschungen (pseudoskopische Erscheinungen) aus
der physiologischen Optik bei und suchte zu zeigen,
daß auch an dem Stufenbau der Tempel, wo dieser
über dem Auge liegt, die stehenden Säulenlinien eine
einsackende Wirkung auf die Stufenlinien ausüben.
Dagegen wurde die Schiefstellung der Säulen sowie
ihre Schwellung aus der Urteilstäuschung über die
Säulenhöhe, hervorgebracht durch die Verjüngung,
abgeleitet.
In dieser Richtung weitergehend, hat Guido
Hanck in seiner geistreichen Schrift über die sub-
jektive Perspektive, Stuttgart 1879, zwischen pseudo-
skopischen Erscheinungen und perspektivischer Illu-
sion streng unterschieden. Letztere ist nach ihm
ausschlaggebend und wird wesentlich unterstützt
durch die Abnahme der Säulenweiten gegen die
Ecken des Baues. Er glaubte in dieser nur dem
dorischen Tempelbau anhaftenden Ungereimtheit die
Hauptursache der Kurvaturen zu erkennen. In-

dessen sind aber auch an ionischen Tempeln, wie
denen von Lesbos und Pergamon, Kurvaturen nach-
gewiesen worden. Goodyear steht mit seinen Er-
klärungen ganz auf dem Standpunkt Hoffers, indem
er bald die perspektivische Illusion, bald die Ab-
neigung gegen die gerade Linie als eine unnatürliche
Begrenzungsform heranzieht. Goodyears Werk ent-
hält alles, was über diese Dinge geschrieben und
philosophiert worden ist. Mit allzugroßem Ver-
trauen hat er aber auch als neue Beobachtungen
Krümmungen an ägyptischen und römischen Bau-
werken aufgenommen, die schwerlich von Anfang
beabsichtigt^ waren, sondern erst durch den Verfall
entstanden sind. Die Kurvaturen in horizontalem
Sinn sind gewiß nur Ausbiegungen der durch Eisen-
klammern zusammengehaltenen Gesimse, die, durch
Erdbeben oder Einsturz der Decken seitwärts ge-
stoßen, nicht mehr ganz in ihre ursprüngliche Lage
zurückgekehrt sind. In keinem der mitgeteilten
Fälle liegen Untersuchungen über den Steinschnitt
oder die Fugenöffnungen vor, die über die Absicht-
lichkeit jener Krümmungen Rechenschaft geben
könnten. Auch ist kein hinreichender Grund für so
komplizierte Maßregeln, wie sie die Herstellung
doppelt gekrümmter Kurven erfordert, ersichtlich.
Der kleine Effekt des Beleuchtungsunterschiedes am

Architektonische Rundschau 1914

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