DAS KÜNSTLERISCHE SCHAFFEN
DIE GROSSEN SCHLOSSBAUTEN
Hanau
Bernhard schrieb 1747, daß Schloß Philippsruhe (Abb. 7) „im Kleinen das königlicbe
französische Versailles vorstellte“ (S. 713). Der gräfliche Biograph hob damit den fran-
zösischen Charakter des Bauwerks hervor und referierte den Wunsch des Bauherrn, ein
Louis Le Grand en miniature zu sein. Aber die künstlerische Vorlage war nicht das
Königsschloß Versailles, sondern das Lustschloß in Clagny (Abb. 8 f.). Schon M. Weidner
wies, ohne den Philippsruher Grundriß zu kennen, auf die enge Verwandtschaft hin, die
etwa in der Flügeldisposition, in der Dreigeschossigkeit des Triklinums und der Einge-
schossigkeit der Seitenflügel hervortritt. Auch Einzelheiten gleichen sich, z. B. das Man-
sarddach mit den abgesetzten Pavillondädiern, die Dreiachsigkeit der Risalite und Pavil-
lons; die Mansartschen Mittelrisalite der Hoffliigel kehren reduziert in den Rothweil-
schen Seitenportalen des Corps de Logis wieder. Natiirlidr vergröbert Philippsruhe das
Vorbild in vielfacher Hinsicht. Besonders ähnlich ist bis in die Details die Grundrißbil-
dung (Abb. 6, 11), wenn auch die beriihmte Seitengalerie von Clagny in Philippsruhe zu
einem schmächtigen, fast korridorartigen Raum eingesdirumpft ist.
Abgesehen von diesen speziellen Beziehungen zu Clagny, steht Philippsruhe auch in
seiner Gesamtform französischer Kunst nahe. Zum Beweis dient jedes beliebige franzö-
sisdie Werk äus dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Aufschlußreich sind besonders
die weniger anspruchsvollen Bauten aus dem Umkreis Hardouin-Mansarts, etwa Choisy-
le-Roy (Abb. 10). Dieses Schloß und der Hanauer Entwurf (Abb. 4), der die Details
und Proportionen besser wiedergibt als die Stiche Gärtners oder Persons, zeigen die
gleiche glatte, flädiige, jede Plastik vermeidende Gliederung, die gerade, kantige, jeder
Rundung und Unterbrechung abholde Linienführung und die ruhige, spannungslose La-
gerung des Baukörpers. Fast alle Einzelheiten stimmen überein, von den umlaufenden
Gesimsbändern bis zu dem sichtbaren Backstein der Schornsteine, von der regelmäßigen
Eckquaderung bis zu der Gaupenform.
So starke Obereinstimmungen geben dem Schloß Rothweils einen markant französischen
Charakter, durch den es sich nicht nur von den gleichzeitigen Bauten Westdeutschlands
— Rastatt, Bonn, Bensberg —, sondern auch von den zeitgenössischen Schlössern öster-
reichs, Bayerns und Frankens abhebt. Rothweil ist damit einer der frühesten Künder
französischer Kunstsprache in Deutschland. Seinen Zeitgenossen muß Philippsruhe und
seine mode ä la franjaise hödrst fortschrittlich erschienen sein. Die schon vor der Voll-
endung des Schlossses publizierten Stiche verbreiteten schnell den Ruhm des Bauwerkes
in den deutschen Landen.
Doch bei aller Verwandtschaft mit der französischen Kunst dürfen nicht die gewichtigen
Unterschiede übersehen werden, die zwischen Clagny und Philippsruhe z. B. im Grund-
riß bestehen. Rothweil mühte sich, seinen Grundriß den geänderten Bedingungen anzu-
passen; denn erstens ist Philippsruhe nicht das Lustschloß einer Maitresse, sondern das
DIE GROSSEN SCHLOSSBAUTEN
Hanau
Bernhard schrieb 1747, daß Schloß Philippsruhe (Abb. 7) „im Kleinen das königlicbe
französische Versailles vorstellte“ (S. 713). Der gräfliche Biograph hob damit den fran-
zösischen Charakter des Bauwerks hervor und referierte den Wunsch des Bauherrn, ein
Louis Le Grand en miniature zu sein. Aber die künstlerische Vorlage war nicht das
Königsschloß Versailles, sondern das Lustschloß in Clagny (Abb. 8 f.). Schon M. Weidner
wies, ohne den Philippsruher Grundriß zu kennen, auf die enge Verwandtschaft hin, die
etwa in der Flügeldisposition, in der Dreigeschossigkeit des Triklinums und der Einge-
schossigkeit der Seitenflügel hervortritt. Auch Einzelheiten gleichen sich, z. B. das Man-
sarddach mit den abgesetzten Pavillondädiern, die Dreiachsigkeit der Risalite und Pavil-
lons; die Mansartschen Mittelrisalite der Hoffliigel kehren reduziert in den Rothweil-
schen Seitenportalen des Corps de Logis wieder. Natiirlidr vergröbert Philippsruhe das
Vorbild in vielfacher Hinsicht. Besonders ähnlich ist bis in die Details die Grundrißbil-
dung (Abb. 6, 11), wenn auch die beriihmte Seitengalerie von Clagny in Philippsruhe zu
einem schmächtigen, fast korridorartigen Raum eingesdirumpft ist.
Abgesehen von diesen speziellen Beziehungen zu Clagny, steht Philippsruhe auch in
seiner Gesamtform französischer Kunst nahe. Zum Beweis dient jedes beliebige franzö-
sisdie Werk äus dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Aufschlußreich sind besonders
die weniger anspruchsvollen Bauten aus dem Umkreis Hardouin-Mansarts, etwa Choisy-
le-Roy (Abb. 10). Dieses Schloß und der Hanauer Entwurf (Abb. 4), der die Details
und Proportionen besser wiedergibt als die Stiche Gärtners oder Persons, zeigen die
gleiche glatte, flädiige, jede Plastik vermeidende Gliederung, die gerade, kantige, jeder
Rundung und Unterbrechung abholde Linienführung und die ruhige, spannungslose La-
gerung des Baukörpers. Fast alle Einzelheiten stimmen überein, von den umlaufenden
Gesimsbändern bis zu dem sichtbaren Backstein der Schornsteine, von der regelmäßigen
Eckquaderung bis zu der Gaupenform.
So starke Obereinstimmungen geben dem Schloß Rothweils einen markant französischen
Charakter, durch den es sich nicht nur von den gleichzeitigen Bauten Westdeutschlands
— Rastatt, Bonn, Bensberg —, sondern auch von den zeitgenössischen Schlössern öster-
reichs, Bayerns und Frankens abhebt. Rothweil ist damit einer der frühesten Künder
französischer Kunstsprache in Deutschland. Seinen Zeitgenossen muß Philippsruhe und
seine mode ä la franjaise hödrst fortschrittlich erschienen sein. Die schon vor der Voll-
endung des Schlossses publizierten Stiche verbreiteten schnell den Ruhm des Bauwerkes
in den deutschen Landen.
Doch bei aller Verwandtschaft mit der französischen Kunst dürfen nicht die gewichtigen
Unterschiede übersehen werden, die zwischen Clagny und Philippsruhe z. B. im Grund-
riß bestehen. Rothweil mühte sich, seinen Grundriß den geänderten Bedingungen anzu-
passen; denn erstens ist Philippsruhe nicht das Lustschloß einer Maitresse, sondern das