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IV

Daraus ergaben sich ganz von selbst die normativen Konse-
quenzen. Alle jene einander widersprechenden Werturteile über
Kunstwerke, alle jene kontroversen ästhetischen Systeme
sind gar nicht einander widersprechend, sind gar nicht kon-
trovers. Sie sind bloß einseitig. Jedes dieser Systeme, jedes
dieser Urteile gilt für seine Betrachtungsart, ist also bedingter-
weise berechtigt; nämlich dann, aber auch nur dann berech-
tigt, wenn unter bestimmten besonderen Umständen diese
besondere Betrachtungsart, dieses besondere Schaffensmotiv
anderen vorzuziehen ist. Wer glaubt, allgemein mehr be-
haupten zu können, wer insbesondere absolute Kunstnormen
setzen will — und es geschieht an allen Ecken und Enden,
in der populär kunsttheoretisierenden wie in der wissenschaft-
lich ästhetischen Literatur, im Atelier und auf der Straße —,
der irrt theoretisch und hemmt praktisch. Denn die ,,Be-
dingungen“, die Betrachtungsarten wechseln und müssen
wechseln.

So ist diese normative These, in welcher die nachfol-
genden Ausführungen gipfeln, nicht ein „Einfall“, zu dem
dann hinterher die Beweise gesucht wurden, sondern sie ist
— dies sei in der Vorbemerkung zu einer Arbeit, die im
übrigen der deduktiven Methode ,,von oben“ mehr Raum
gönnt, als es heute auf dem Gebiet der Ästhetik üblich ist,
betont — wahrhaft induktiv gewonnen. Die These selbst
mag — einmal ausgesprochen — vielleicht selbstverständlich
klingen. Aber sie ist eine „Selbstverständlichkeit“, die
nirgends in der ästhetischen Literatur anerkannt, geschweige
denn bewiesen, in ihren Gründen erklärt und in ihren Kon-
sequenzen dargelegt wurde. Sie ist eine „Selbstverständ-
lichkeit“, die im Kampf gegen zwei Fronten, gegen ästhe-
tischen Dogmatismus einerseits und gegen ästhetischen Nihi-
lismus andererseits, um Geltung ringen muß.

Dies durchzuführen war auf dem Boden einer Ästhetik
im herkömmlichen Wortsinn freilich nicht möglich. Denn
der Ästhetik ist ja gerade Grundvoraussetzung, was hier zu
 
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