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imstande sind, uns von unseren täglichen Sorgen, unseren
gewöhnlichen Personsgefühlen abzuziehen oder, wie man es
ausgedrückt hat, überhaupt vom eigenen Ich zu erlösen,
ein Umstand, der — auch wenn er niclit als solcher bewußt
ist und betrachtet wird, denn dann entstände wertender
Intellektualgenuß — nicht nur positiven Genuß durch Ab-
wechslung hervorruft, sondern auch negativ unlustver-
hütend wirkt, wenn die Gefühle des Lebens, wie ja so oft,
unangenehmer Natur sind. Freilich ist auch der umge-
kehrte Fall möglich. Es kann vorkommen, daß man durch
bestimmte Werke in bestimmten Lagen durch Zufall oder
aus Absicht an Personsgefühle— auch an momentan aktuelle —
erinnert wird, und daß dies angenehm empfunden wird
(Assoziation und Anteilnahme). Deshalb ist das „uninteres-
sierte Wohlgefallen“ Kants nicht schlechthin Kriterium oder
notwendiges Erfordernis des Kunstgenusses. Und tiefstes
Ergriffensein vermittelt doch nur persönlicher Anteil 1.

Und so rechtfertigt und präzisiert sich der Begriff der
Kunst, von dem diese Untersuchungen ausgegangen sind.
Wenn ein Menschenwerk durch Auge oder Ohr 2 in der Art

1 Interesseloses Wohlgefallen in anderem Sinn gibt es nicht;
man hat Interesse an seinem Wohlgefallen und daher am Werk (frei-
lich kein weiteres). Also erstens nicht vom Standpunkt des Genießenden,
für den das Kunstwerk in demselben Sinne einen hedonistischen und
evolutionistischen Wert bedeutet wie ein Stück Brot. Und dieser
Wert ist auch nicht in dem Sinn unpersönlich, daß er für alle Menschen
gleich wäre, sondern mitunter höchst individuell. Zweitens nicht
vom Standpunkt des Ivünstlers, der bei Tätigkeitsschaffen und bei
manchen Arten des Wirkungsschaffens egoistische, bei den anderen
Arten altruistische (eventuell beide) Ziele hat.

2 Daran können allerdings vorgestellte Empfindungen der anderen
Sinne assoziiert werden (insbesondere „Yerwebungen“ nach Karl
Groos); aber den Eindruck empfangen wir tatsächlich durchAuge und
Ohr. Wenn man den Genuß, den die „niederen“ Sinne vermitteln,
dem Sprachgebrauch und wissenschaftlicher Zweckmäßigkeit folgend,
vom Begriff des Kunstgenusses ausschließen will, so darf man das
nicht auf Umwegen zu tun versuchen,wie z. B. Manfredi Porena (,,Che
 
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