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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0220
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„Und was haben Sie denn Alles in London
gesehen? Nehmen Sie viele Erinnerungen mit?"
„Gewiß, bester Herr Doktor. Ich habe mir
die Westminster-Abtei besehen, al¬
lerdings nur von Außen, sie war
eben verschlossen; auch White-Hall,
und das Fenster, aus welchem
Karl I. oil auf die Straße ge-
schaut hat."
„Waren Sie im Tower?"
„Dazu reichte mir die Zeit
nicht; aber nach der Paulskirche
ließ ich mich führen, an Nelson's
Grab habe ich gestanden."
„Eben bemerke ich, daß Sie
hinken, Herr Forst-Kassen-Rendant?"
„Ja, doch geht es heute besser.
Gestern schon konnte ich wieder
gehen, aber die beiden Tage vor
her vermochte ich nicht einen Stie-
fel anzuziehen; doch sind dieselben
auch nicht ohne leiblichen und gei-
stigen Genuß für mich vorüberge-
gangen: Mrs. Wilton hat mich
mit Hummersalat und Plumpud-
ding bewirthet; es ist doch an-
genehm, sagen zu können, daß
man letzteren echt in London ge-
speist hat. Ja, und einen Band
von Göthe, den ein Deutscher hier
vergessen hat, gab mir Mrs. Wil-
ton; welch' ein Poet ist doch un-
ser Göthe!"
„Ich bin der Ansicht, daß fick
Göthe auch daheim lesen ließe,
jetzt sagen Sie mir aber, warum
Sie hinten?"
„Als ich aus der Paulskirche
kam, versperrten mir an hundert

ich fast eine halbe Stunde im Wagen sitzen
mußte, bis ich das Opernhaus erreichte; ich kam
gerade vor Beginn des letzten Aktes."
„Hahaha! Da haben Sie ja
das schöne Duett nicht gehört, die
schönste Nummer der ganzen Oper."
„Leider! Doch was schadet es,
ich habe das schöne Haus gesehen,
das vortreffliche Orchester gehört,
die Sänger, ich bin vollständig zu
frieden."
„Aus Sie paßt das Sprüch-
wort: Wer zufrieden ist, hat im-
mer genug! Jetzt aber, weither
Landsmann, leben Sie wohl, und
sehen Sie zu, daß Sie heute
Nacht in das richtige Schiff kom-
men, und nicht etwa eins bestei-
gen, welches nach China geht."
„Werde mich schon vorsehen,
Herr Horslcy will übrigens so
freundlich sein, und mich begleiten
bis zum Tower. Ich fahre dies-
mal über Ostende, und sehe also
ein Stück von Belgien und den
Rhein."
„Vergessen Sie nichts beim
Einpacken."
„Ha! Gut, daß Sie mich an
meine kostbare Dose erinnern, ich
habe dieselbe noch in der Rock-
tasche, und bei Nacht, auf dem
Verdeck, man kann nicht wissen —
O heiliger Nepomuck!" und Herr
Braunberg, welcher während die
ier Rede mit der Hand von einer
Rocktasche in die andere gefahren
war, wurde bleich. „Meine Dose:
Meine prachtvolle Dose! Ein Ge
schenk von der Erlaucht! Bevor ich ausging,
besah sie Mr. Horsley noch, unweit der West
minster-Abtei schnupfte ich daraus, dann blieb
ich vor einem Bilderladen stehen, in der Nähr
von Charing Croß, da — Ha! jetzt erinnere
ich mich! Ein Mann stand hinter mir und be
trachtete das Porträt der Königin. O, meine
Dose! O, die verfluchten Taschendiebe!"
Ich bat um eine genaue Beschreibung dieses
Gegenstandes, versicherte, daß ich sofort einem
mir als sehr schlau und thätig bekannten Poli
zeibeamten Anzeige machen wolle, und schied von
Herrn Braunberg mit herzlichem Händedruck,
konnte aber doch die Bemerkung nicht unter
drücken: „Jammern Sie nicht, Bester, Sie haben
sich ja selbst in die Nähe eines Taschendiebes
gewünscht."
Nach wenig Tagen erhielt ich die Dose zu
rück; der Dieb war erwischt worden, als er sie
bei einem Juwelier gegen einen kostbaren Ring
hatte umtauschen wollen. Mit großem Vergnü-
gen spedirte ich das Kleinod an den Eigenthü-
mer. Umgehend erhielt ich ein Dankschreiben.
Herr Braunberg schrieb sehr enthusiastisch über
London, wie er sich immer noch nicht genug
wundern könne, daß er in dieser kurzen Zeit in
der Metropole der Welt so viel gesehen habe.
Am Schluffe sagte er: „Mein Vetter will auch
nächstes Jahr auf zwei Wochen nach London
reisen, nur ist er etwas zaghaft und fürchtet,
daß er sich nicht zurechtfinden wird; aber ich
werde ihm schon Muth machen und erzählen,
was Einer in London sehen kann,
iwenn er es klug anfängt.

: müsse ich im Ballkostüm erscheinen. Wahrhaf-
tig, ich glaubte, der Herr wolle mich foppen,
aber es war doch so, wie er gesagt hatte, der

Lilder Uäthsei.

Auslösung folg! im nächsten Heft.

Auslösung des Lildrr-Läthsrls im sechsten Heft.
Unter den Vögeln ist der Papagei am gescheidtesten

stand, dieser rieth mir, schnell heimzufahren und
mich umzukleiden. Also fuhr ich heim, und
warf mich in meinen besten Anzug. Sehen Sie,
Herr Doktor, es war doch praktisch, daß ich viel
Garderobe mitgenommen hatte, und dann, als
ich mich metamorphosirt, eilte ich nach dem
Opernhause zurück. Leider standen und rollten
in der Nähe desselben so viele Equipagen, dasi

Wagen den Weg; ich wollte vorwärts, da ge- Logenschließer ließ mich nicht ein. Zum Glück
ichah es, daß ein Rad mich, d. h. einen Theil war ein Herr in der Nähe, welcher deutsch ver-
meines Jchs, meinen Fuß streifte oder drückte."
„Herr des Himmels, Mann! Westbalb sind
Sie nicht im Omnibus hin- und zurückgefahren
Was haben Sie wohl Ihrem Führer bezahlt?"
„Nun. ja, ziemlich viel, aber ich wollte doch
das Straßenleben Londons kennen lernen, und
ich hoffte einmal einen von der Polizei verfolg¬
ten Taschendieb zu sehen."
„Zu was solchen Lump?"
„Um zu wissen, in wie starkem Maße sich
im Gesicht eines solchen Menschen die Schlau-
heit abspiegelt. Aber leider habe ich keinen in
meiner Nähe gehabt!" und Herr Braunbera
seufzte nach diesen Worten.
„Also von den zwölf Tagen, die Sie hier¬
waren, haben Sie ungefähr sechs verloren. Meine
Schuld ist es nicht. Haben Sie Mr. Horsley
gesehen? Er spricht ziemlich gut deutsch, ich bat
ihn, sich Ihrer anzunehmen."
„Ein artiger Mann; er kam zu mir, hatte
jedoch wenig Zeit; auch war er so freundlich,
mir ein Billet zur großen Oper zu bringen,
wovon er den Direktor kennt."
„Nun, wie gefiel Ihnen die Oper? Ein
besseres Orchester finden Sie in der ganzen Welt
nicht, bessere Sänger auch kaum. Welche Oper
gab man? Doch ich erinnere mich, es waren
diese Woche die Hugenotten. Was sagen Sie
dazu?"
Nicht ohne einige Verlegenheit erwiederte
Herr Braunberg: „Hm, was die Oper selbst be¬
trifft, so habe ich nur den letzten Akt gesehen;
cs kam mir zu wunderlich vor, als Mr. Horsley
mir sagte, da ich auf einen noblen Platz ginge,
 
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