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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0222
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214

Auf einem der kleinen Balkone eines der
angeseheneren Hotels am Canal grande — ich
glaube, es war der Lione Bianco — lehnte
ein junger Mann in düsterer nachdenklicher
Stellung und schaute zerstreut auf das Treiben
auf dem dunklen Kanal hinab. Unruhige Ge-
danken schienen in ihm zu gähren, denn seine
Lippen waren zusammengekniffen, seine Fäuste
krampfhaft geballt, und die Stirne in düstere
Falten gelegt.
Plötzlich schrak er zusammen, denn eine kleine
Hand berührte seine Schulter; rasch wandte er sich
um und sah sich einer hochgewachsenen bildschönen
Frau gegenüber, die ihn erstaunt betrachtete.
„Ah, Du bist es, Ida?" murmelte er, noch
halb iu seinen Gedanken versunken; „was willst
Du, meine Liebe?"
— „Fahren wir nicht nach der Piazzetta,
um uns noch einmal dieses bunte Treiben zu
betrachten, dem die Karnevalsfreuden noch er-
höhten Glanz leihen, Albrecht?" fragte die
schöne Frau.
„Hm, wie Du willst, Ida," versetzte der
Herr zerstreut. „Uebrigens wäre mir beinahe
lieber, Du ließest mich hier, meine Liebe, denn
ich habe kroch mancherlei zu besorgen, was mit
unserer Abreise zusammenhängt. Vielleicht kommt
Herr v. Proski oder Hauptmann v. Ellershausen,
um Dich nach dem Markusplatze zu begleiten;
dann will ich bei Moritz bleiben."
— „Nun denn, meinethalben mit dem Einen
oder dem Andern, wenn nicht mit Dir, Albrecht,"
sagte Ida mit leichtem Unmuthe. „Aber sag'
mir, lieber Albrecht, müssen wir denn wirklich
morgen schon reisen?"
„Ja, mein Herz."
— „Keine Möglichkeit, noch acht Tage zu-
zugeben, bis wenigstens der Fasching zu Ende ist?"
„Nein, meine Liebe! Wir müssen abreisen,"
versetzte Albrecht v. Kirchner bestimmt; „es ist
einmal beschlossen und kann nicht abgeändert
werden. Moritz ist damit einverstanden."
Ida warf einen scheuen Blick durch die of-
fene Balkonthüre in den dahinter liegenden Sa-
lon und betrachtete einen Herrn, der in einen
weichen warmenDamenshawl gehüllt auf dem Ruhe-
bett an der Rückwand lag und auf dessen blasse
krankhafte Züge die dreifache Flamme der sil-
bernen Lucerna ihre zitternden Lichter warf.
„Schwager Moritz kann hier nicht in Betracht
kommen, Albrecht," flüsterte die schöne Frau
dann ihrem Gatten zu; „Du weißt ja, Lieber,
daß der Kranke keinen Willen hat. Und ich
fürchte, die Witterung wird morgen sehr ungün-
stig sein für eine Seereise, wir werden rauhes
Wetter haben und Moritz darunter doppelt lei-
den müssen!"
„Einerlei — die Plätze in dem Dampfboot
sind bestellt und bezahlt — wir werden unter
allen Umständen reisen, Ida," versetzte Herr v.
Kirchner kalt.
— „Aber steh' nur dort hin, Albrecht, wie
grell die Lichter dort am Horizont zwischen den
düsteren Wolken!" fuhr Frau Ida fort, welche
ihre seidene Echarpe etwas dichter um die stolzen
vollen Schultern und den üppigen Nacken zog,
und deutete mit der kleinen Hand gen Westen.
„Mir ist, als lauere ein Sturm unter jener
schweren schwarzen Wolkenbank, an deren Säu-
men jene grellen orange-gelben Lichter verglühen.
Und hast Du bemerkt, wie vorhin die Sonne,
einer glühenden Feuerkugel zu vergleichen, hinter
jenen düsteren Wolken unterging? Ich wette,
wir werden morgen noch vor Mittag einen furcht-
baren Sturm bekommen."

„Einerlei, meine Liebe, wir werden unter
allen Umständen und trotz alledem Venedig ver-
lassen," erwiederte Albrecht v. Kirchner bestimmt,
obschon in milderem Tone als zuvor. „Ich
weiß, daß Du gerne hier bleiben möchtest, und
ich würde es Dir gönnen, liebe Ida; ich be-
greife, daß ein Sturm während der Ueberfahrt
nach Triest Moritz's untergrabene Gesundheit
sehr erschüttern kann, allein ich kann nicht an-
ders. Du weißt, mein Herz, um was es sich
handelt. Ich habe Löwenthal versprochen, am
Vierzehnten in Wien zu sein und jene ver-
wünschte Angelegenheit wegen des Wechsels zu
bereinigen — versäume ich den Termin, bringe
ich die Sache nicht pünktlich auf Tag und Stunde
in Ordnung, so ist nicht nur mein guter Name
und Kredit verscherzt, sondern es kann noch ge-
fährlichere Folgen für mich haben!"
— „Und weißt Du keinen andern Ausweg,
Albrecht?" fragte Ida ängstlich flüsternd, und
warf durch die Balkonthüre noch einen Blick auf
den schlummernden Kranken; „kannst Du das
Geld^icht zur Post au Löwenthal schicken?"
„Nein, es geht nicht, ich muß die Sache
selbst ordnen," sagte Albrecht v. Kirchner leise.
„Und Moritz muß mit uns reisen, denn er darf
keinen Augenblick außer Acht gelassen werden."
— „Ach, über diese leidige Abhängigkeit
von ihm!" flüsterte Ida mit einem tiefen Seuf-
zer. „Gab es denn wirklich kein anderes Mit-
tel, Geld aufzutreiben, als das, daß Du Deines
Bruders Unterschrift gebrauchtest?"
„Ich hatte keine andere Wahl mehr," ver-
setzte Albrecht leise, aber mit wildem Zähne-
knirschen; „Du weißt ja woh>, Ida, daß unsere
üppige Lebensweise und meine unseligen Speku-
lationen uns zu Bettlern gemacht haben . . .
Ach, es ist freilich weit mit mir gekommen, Ida!
Ich Hütte niemals geglaubt, daß ich einst noch
so tief sinken würde, die Unterschrift meines Bru-
ders zu fälschen," fügte der starke Mann mit
einem Seufzer hinzu, schlug die Hände vor's
Gesicht und senkte das Haupt auf die Brust.
— „Komm, komm, Albrecht, laß Dich nicht
übermannen!" flüsterte Frau v. Kirchner, legte
ihre rechte Hand auf seine Schulter und schmiegte
sich innig an ihn an. „Hier hilft nun kein Be-
reuen mehr; hier gilt cs, den Kopf oben zu be-
halten! — Uebrigens siehst Du auch die Sache
offenbar in einem allzu ernsten Lichte, mein Lie-
ber; es weiß ja Niemand um diesen kleinen
Fehltritt, als Löwenthal und wir Beide. Dar-
um ermanne Dich und sei besonnen. Du wirst
auch über diesen Berg hinwegkommeu!"
„Das böse Gewissen macht Einen zur Memme,
Ida," versetzte Albrecht bitter und muthlos.
„Ich weiß zwar, daß ich Löwenthal diesmal
decken kann, und das ist unser Glück, denn er
ist ein solch hartgesottener Bursche, daß ihm
Alles zuzutrauen wäre. Allein wenn irgend ein
Zufall uns einen Strich durch die Rechnung
machte, Ida? Wenn Moritz den Streich erführe,
den ich begangen habe?! . . . Beim Himmel,
ich werde wahnsinnig, wenn ich an unsere Zu-
kunft denke! Wir sind Bettler und wollen für-
reich gelten. Wir können nicht länger von Mo-
ritz's Güte und Freigebigkeit leben, wie in diesen
fünf Monaten der Reise. Ich kann es nicht
über mich gewinnen, ihm meinen Ruin zu ge-
stehen. Unsere Kinder werden täglich größer
und haben mehr Bedürfnisse; wir sind an ein
behagliches üppiges Leben gewöhnt, namentlich
Du und Theresie — was soll aus euch Beiden
werden?"
Frau Ida war bleich geworden, ihr Auge

starrte wild und voll Entsetzen in die Nacht hin-
aus, und ihre Züge zuckten, als ob sich finstere
aufregende Gedanken in ihrer Seele jagten.
Dann blickte sie sich scheu und argwöhnisch um,
näherte ihre Lippen dicht dem Ohr ihres Gatten
und flüsterte diesem unhörbare, rasche, beflügelte
Worte zu. Albrecht v. Kirchner schrak zusam-
men, blickte seiner Gattin voll Entsetzen in die
Augen und prallte zurück.
„Unmöglich, Ida!" stammelte er alsdann;
„das wäre furchtbar, ungeheuerlich!"
— „Bah!" erwiederte Frau v. Kirchner
leise; „es sieht nur auf den ersten Anblick so
aus. Erwäge es Dir genauer, und Du wirst
Dich eher mit dem Gedanken vertraut machen.
Und weißt Du etwa ein anderes Mittel, Al-
brecht? . . . Nein? . . . Dann sind Deine Be-
denken thöricht. Du wirst doch nicht glauben,
daß ich dem Kinde nach dem Leben trachten
will? Gott bewahre! Es soll nur beseitigt wer-
den, und wir wollen dann dafür sorgen, daß
seine Zukunft gesichert werde — sicher für unS,
sicher und sorgenfrei für die Kleine. Sagtest
Du mir nicht, daß Du gestern Wyrazek, Deinen
ehemaligen Diener, hier getroffen habest? Wie,
wenn wir den Burschen als Werkzeug gewönnen,
daß er das Kind zu seinen Verwandten nach
Kram brächte und wir es dort erziehen ließen?
In späteren Jahren findet sich dann irgend ein
Kloster, in welches wir das Kind einkaufen kön-
nen. Deinen Bruder machen wir glauben, das
Kind sei ertrunken, und dies wird ihn natürlich
anfangs sehr erschüttern und vielleicht seinen
Zustand verschlimmern. Aber das käme ja uns
ganz erwünscht, denn Du kannst dann die Zügel
in die Hand nehmen, und bist Du erst einmal
Herr über ihn und ihm unentbehrlich geworden,
so wird es nur Deine Schuld sein, wenn Du
jemals wieder Deinen Einfluß auf ihn und Deine
Stellung als Verwalter seines Vermögens auf-
gibst. — Und wer weiß, Albrecht, wie lange
Moritz es überhaupt noch treiben wird?" setzte
sie mit einem ermuthigenden Blicke hinzu. „Wenn
denn kein anderes Mittel helfen kann, so wollen
wir denn abreisen, und ich werde ebenfalls eine
Rolle in dem Stücke übernehmen, das wir spie-
len müssen, um unfern Kredit und unser An-
sehen aufrecht zu erhalten. Ueberlaß cs mir,
die kleine Cora beiseite zu schaffen. Laß uns
morgen reisen, und wenn ein Sturm uns über-
füllt, dann um so besser. Auf Wyrazek kannst
Du Dich verlassen; er ist ein beschränkter, aber
treuer Bursche, und wird Dir mit seinem war-
men Herzen niemals vergessen, daß Du ihm
einst das Leben gerettet hast."
„Ida, Du bist schrecklich!" stammelte Albrecht
beinahe unhörbar in das Ohr der Frau, die sich
noch immer an seine Schulter schmiegte und seine
Hände mit den ihrigen umspannt hielt. „Gro-
ßer Gott, eS ist ein fürchterlicher Plan, und
doch — ich wüßte keinen besseren! Ihr Frauen
seid immer erfinderischer und kaltblütiger in sol-
chen Dingen. Und was bleibt uns am Ende
anderes übrig?"
— „Nur Muth und Vertrauen, Lieber!
Sollen wir untergehen?" . . . flüsterte Ida.
„Papa! Mama!" tönte in diesem Augenblick
eine Helle Kinderstimme drinnen in dem Salon;
„Papa! Mama! Wo seid ihr denn?"
— „Hier, mein Kind!" versetzte Frau v.
Kirchner, sich umwendend; „hier auf dem Bal-
kon! Aber so schweig' doch! Du wirst ja Onkel
Moritz wecken! Was willst Du denn?"
„Herr v. Ellershausen ist drüben, um Mama
zu besuchen," sprach die Kleine herbeieilend.
 
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