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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0040
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Das Aren? im Walde.
Novelle von August Schrader.
(Fortsetzung.)
2.
Der Zwillingsbrnder.
Am äußersten Ende der Vorstadt
lag ein schmnckes Häuschen, das rings
von einem Garten eingeschlosseu ward.
Wollte man von der Straße aus zu
ihm gelangen, so mußte man die
Thür eines Holzgitters öffnen, eine
durch Johannisbeersträuche gebildete
Gasse passiren und durch zierliche
Blumenbeete gehen, die, man er-
kannte es auf den ersten Blick, mit
Sorgfalt und Vorliebe gepflegt wur-
den. Neben dem Hause standen ei-
nige Kastanienbäume, die Schatten
und Kühle verbreiteten.
Es war am Morgen nach der
Hochzeit des Grafen Otto von Ra-
venstein mit der Tochter des ersten
Bankiers der Stadt. Die Hitze des
Tages machte sich schon bemerkbar,
obgleich die sechste Stunde kaum vor-
über war. Eine Magd tränkte die
Blumen auf den Beeten aus glän-
zender Gießkanne, die sie an einem
Brunnen füllte. Aus dem Fenster
des Erdgeschosses sah eine Frau im
tiefsten Morgennegligse; sie trug eine
große weiße Haube mit breiten Bän-
dern, die nachlässig auf die Schul-
tern herabhingen. Ihr Haar war
noch voll und braun, obgleich sie
bereits dreiundfünfzig Jahre zählte.
Das volle runde Gesicht mit gerö-
theten Wangen verrieth ein behag-
liches, von Sorgen freies Leben.
— Drude! rief die Fran mit
dünner, durchdringender Stimme.
Die Magd sah ans.


—Was befiehlt Madam? fragte sie.
— Du bist heute wieder einmal
sehr spät aufgestanden.
Das hagere, fast häßliche Mäd-
chen, das zweiundzwanzig Jahre zäh-
len mochte, entfernte das wirr her-
abhängende Haar aus der Stirn und
fragte naiv:
— Warum denn, Madame?
— Die Blumen hätten längst
begossen sein müssen.
— Das wohl! antwortete Drude
einfältig.
— Du hast die Zeit verschlafen!
keifte die Alte, indem sie die Bänder
der Haube unter dem fetten Kinn
zusammenband.
— Weil ich die Nacht lange ge-
wacht habe.
— So?
— Ja, Madame!
— Ist Herr Julian spät nach
Hause gekommen?
Drude setzte die Gießkanne zu
Boden.
— Nein! antwortete sie, mit
dem Aermel des Hemds ihre braune
Stirn trocknend.
— Und doch bist Du faul gewesen.
— Kann nicht dafür, liebe Ma-
dame.
— Einfältiges Geschöpf!
— Herr Julian ist noch gar
nicht zu Hause!
Die Frau erschrak.
— Wie, er ist nicht zu Hause?
— Ich habe ihn wenigstens nicht
gesehen, das weiß ich ganz genau
. . . habe die ganze Nacht in der
Stube gesessen und habe nicht ge-
hört, daß Jemand die Klingel ge-
zogen ... die Gitterthüre ist noch

Daniel und der König David. Nach Raphael.

verschlossen,

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