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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0187
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Das Kreuz im Walde.
Novelle von Wugust Schrader.
(Fortsetzung.)
— Wer sind Sie denn? fragte der Förster.
Der Alte sah zu dem blauen Him-
mel empor.
— Ja, wer ich bin! murmelte er
wie träumend. Das ist eine seltsame
Frage, eine Frage, die ich mir oft selbst
vorgelegt habe, ohne sie beantworten
zu können. Da ziehe ich schon lange
durch die Welt, von Ort zu Ort, ohne
Ruhe und Rast, ohne Heimath . . .
Die Menschen sind hartherzig und
grausam ... sie erblicken in Jedem,
der ankommt, einen Konkurrenten oder
einen lästigen Bettler. Gehe weiter!
rnfen sie. Da mußte ich weiter gehen,
obgleich meine Glieder alt wurden.
Ja, so ist das Leben unter den Men-
schen auf dieser Erde. O, bin ich denn
noch nicht klug geworden, daß ich
mich darüber wundere? Ich will über
dieses Thema nicht mehr nachdenken!
Es ist Alles eitel, sagt der weise Pre-
diger Salomo . . . Auch das Leben,
das bald vergehen wird.
Er nahm die Flasche und trank.
Dann murmelte er lächelnd vor sich hin:
— Ich werde schon weiter kom¬
men, denn ich fühle Kraft in den
Gliedern und Feuer in den Adern!
Das Ziel kann ja nicht mehr weit
sein. Da glänzt die Erde im Hellen
Sonnenlicht und die Vögel singen
prächtig in den grünen Bäumen . . .
Das ist eine Lust und ein Jubel in
der Schöpfung .
Der Greis sang mit zitternder
Stimme ein Lied, dessen Worte sich
nicht verstehen ließen.

— Er ist wahnsinnig! flüsterte Sabine.
— Oder berauscht! meinte der Förster.
Der Alte schob das Brod in den Ranzen,
dessen Deckel er sorgfältig zusammenschnürtc. Die
beiden Personen in der Gartenthür schien er
vergessen zu haben, er bemerkte sie nicht niehr.

Man errieth deutlich, daß er sich zu der Weiter-
reise anschicktc.
— He, Alter! rief Richard.
Und der Alte sah erstaunt zur Seite.
— Was gibt es denn?
— Sic sind mir die Antwort auf meine
Frage noch schuldig.
— Ja, ja! Was haben Sie doch
gefragt.
— Ich möchte wissen, wer Sic
sind.
Jetzt zeigte sich das seltsame Lä-
cheln in dem Antlitz des Greises wieder.
— Wer ich bin . . . Weiß ich es
doch selbst nicht. Da hat schon Man-
cher gefragt, ohne eine Antwort zu
erhalten.
— Sie müssen doch eine Legiti-
mation besitzen, da Sie stets auf Rei-
sen sind.
Er nahm den Hut ab. Ein völlig
kahler Schädel zeigte sich, der von ei-
nem Kranze weißer Locken eingerahmt
ward. Es war ein schönes, ehrwür-
diges Greiscnhaupt, das dem Förster
imponirte.
— Ich bin kein Verbrecher, mur-
melte der Bettler, des;' ist Gott mein
Zeuge! Das Mitleid guter Menschen
nehme ich nur dann in Anspruch,
wenn es die Selbsterhaltung fordert
... Ist das strafbar? Ich glaube
nicht! Und leben muß ich doch, uur
eine kurze Zeit noch ... Ich habe
eine ernste Mission zu erfüllen . . .
darum stärke ich meine Glieder, da-
rum trinke ich aus der Flasche, darum
nage ich an dem trockenen Brod . . .
Nach einem tiefen Seufzer bedeckte
er das Haupt wieder. Dann verblieb
er regungslos, als ob er den ange-
regten Gedanken folgte.
Sabine flüsterte:
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